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Kartellgesetzrevision: Weiterhin viele Mythen und Missverständnisse

Die laufende Teilrevision des Kartellgesetzes hat hitzige Debatten entfacht, oft begleitet von Missverständnissen und Fehlinformationen in den Medien. Um Klarheit zu schaffen und die Faktenlage zu stärken, ordnet economiesuisse in einer aktualisierten Übersicht die häufigsten Falschaussagen aus wirtschaftlicher Sicht ein und beantwortet dabei die wichtigsten Fragen.

Die Notwendigkeit einer Revision des Kartellgesetzes ist unbestritten. Wichtige Anpassungen stossen jedoch auf erheblichen politischen Widerstand. Wie die Diskussion im Ständerat gezeigt hat, wird dabei auch nicht davon zurückgeschreckt, mit Fehlbehauptungen Stimmung gegen die Position der Wirtschaft zu machen. Die von Bundesrat und Wirtschaft verlangten Änderungen mögen auf den ersten Blick technisch und komplex erscheinen, sind aber für das Funktionieren des Wettbewerbsrechtes von entscheidender Bedeutung. Damit haben sie auch eine grundlegende Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit und das nachhaltige Wachstum der gesamten Wirtschaft. Das vorliegende FAQ bietet eine Auslegehilfe im Dschungel der verschiedenen Positionen.

FAQ

Nein – Die Wirtschaft erkennt an, dass bestimmte Verhaltensweisen dem Wettbewerb schaden können. Dazu gehören Absprachen zwischen Konkurrenten, die den Wettbewerb beeinträchtigen, missbräuchliches Verhalten von marktbeherrschenden Firmen und bestimmte Zusammenschlüsse. Das Kartellrecht spielt eine wichtige Rolle beim Schutz des Wettbewerbs. Die Wirtschaft setzt sich für ein Kartellrecht ein, das effektiv den Wettbewerb schützt, ohne nützliche Kooperationen zu behindern.

In den letzten Jahren hat sich die Praxis des Kartellrechts verändert und entfernt sich zunehmend vom ursprünglichen Ziel, den Wettbewerb zu schützen. Die Wettbewerbsbehörde unterstellt oft pauschal, dass bestimmte Verhaltensweisen schädlich sind, ohne dies im Einzelfall genau zu prüfen. Diese Vorgehensweise folgt vor allem praktischen Überlegungen, akzeptiert aber das Risiko, dass auch unproblematische Verhaltensweisen sanktioniert werden, die den Wettbewerb nicht beeinträchtigen, sondern ihn oftmals sogar fördern. Angesichts der langen Verfahren und der hohen Strafen, denen Unternehmen ausgesetzt sind, ist diese Praxis für die Wirtschaft inakzeptabel.

Die aktuelle Praxis im Kartellrecht schafft grosse Unsicherheit in der Wirtschaft, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Seit dem GABA-Entscheid werden Unternehmen bestraft, ohne dass sich die Behörden damit auseinandersetzen, ob die fragliche "Abrede" tatsächlich schädliche Auswirkungen auf den Wettbewerb hat. Eine theoretische Schädlichkeit reicht aus. Das führt dazu, dass auch KMU ohne jegliche Marktmacht ins Visier der Wettbewerbsbehörde geraten können. Auch bei der Missbrauchskontrolle gibt es Unsicherheiten, da Verhaltensweisen sanktioniert werden, ohne deren Auswirkungen auf den Wettbewerb klar darzulegen. Diese Rechtsunsicherheit hemmt Fortschritt und Innovation und schadet letztlich uns allen.

Es ist unbestritten, dass der Nachweis eines Schadens nur in wenigen Fällen möglich ist. Es geht vielmehr darum, dass die wirtschaftlichen Zusammenhänge im Einzelfall nachvollziehbar gemacht werden. Durch empirische Analysen erhalten die kartellrechtlichen Entscheidungen somit eine solide ökonomische Grundlage. Ziel ist es, dass die Zulässigkeit eines Marktverhaltens nicht allein auf einer juristischen Kategorie basiert, sondern die spezifischen Umstände des Marktes berücksichtigt werden. So ist die Konzeption des Kartellgesetzes und so wird es auch in der dazugehörigen Botschaft unmissverständlich dargelegt.

Heute wird davon ausgegangen, dass bestimmte Absprachen immer erheblich und somit unzulässig sind und sanktioniert werden. Die Auswirkungen einer Absprache lassen sich aber nicht von vornerein per se beurteilen. Es gibt neben schädlichen Absprachen auch solche, welche vorteilhaft für die Volkswirtschaft sind. Sprechen beispielsweise zwei Unternehmen Preise ab, die höher sind, als wenn sie im Wettbewerb zueinanderstehen, so schadet dies den Konsumentinnen und Konsumenten. Umgekehrt können die beiden Unternehmen sich aber auch absprechen, um Einkaufsgemeinschaften zu bilden oder gemeinsam Forschung zu betreiben. Beides dient der Volkswirtschaft: Ersteres senkt die Preise, letzteres steigert die Innovationskraft. Daher muss jeder Einzelfall ausgewertet werden.

Das Kartellrecht sollte sich wieder auf seinen Verfassungsauftrag konzentrieren, nämlich volkswirtschaftlich oder sozial schädliche Auswirkungen von Kartellen zu bekämpfen. Kooperationen zwischen Unternehmen sind Teil des wirtschaftlichen Alltags und können Innovation und Effizienz fördern. Einige Absprachen schaden dem Wettbewerb und müssen unterbunden werden, aber die Unterscheidung zwischen nützlichen Kooperationen und schädlichen Absprachen ist oft schwierig. Die pauschale Annahme, dass gewisse Abreden immer schädlich sind, ist falsch und kann dazu führen, dass wettbewerbsfördernde Kooperationen verhindert werden. Der Gesetzgeber sollte sicherstellen, dass die Kartellrechtspraxis die Auswirkungen von Absprachen im Einzelfall prüft.

Die Wirtschaft sieht bei der Kontrolle von marktbeherrschenden Unternehmen Anpassungsbedarf. Es ist wichtig, dass der Wettbewerb nicht durch die Macht grosser Unternehmen beeinträchtigt wird, aber die Kontrolle sollte nicht dazu führen, dass Unternehmen für ihren Erfolg bestraft werden. Stattdessen sollte die wirtschaftliche Freiheit dieser Unternehmen nur eingeschränkt werden, wenn es notwendig ist, um den Wettbewerb zu schützen. Angesichts der langen Verfahren und hohen Strafen muss von den Behörden verlangt werden, dass sie eine konkrete Gefährdung des Wettbewerbs im Einzelfall darlegen (und nicht bloss auf eine mögliche bzw. theoretische Gefährdung abstützen – wie das heute der Fall ist). Es ist nicht so, dass ungerechtfertigte Eingriffe der Wettbewerbsbehörden bei Verhaltensweisen nach Art. 7 KG wettbewerbsneutral sind. Vielmehr können solche Eingriffe sogar negative Auswirkungen auf den Wettbewerb zeitigen.

Ja – eine Gesetzesänderung ist notwendig, um die Fehlentwicklungen in der Kartellrechtspraxis zu korrigieren. In früheren Debatten hatte das Parlament bewusst entschieden, bestimmte Wettbewerbsabreden nicht generell zu verbieten. Dennoch wurde durch den Gaba-Entscheid der Wettbewerbsbehörde und der Gerichte de facto ein solches Verbot eingeführt – entgegen dem klaren Willen des Gesetzgebers. Bereits beim letzten Revisionsversuch im Jahr 2011 wurde eine solche Verschärfung ausdrücklich abgelehnt.

Wenn der Nationalrat nun den Beschlüssen des Ständerats folgt, würde diese problematische Praxis fortbestehen. Das Schweigen des Gesetzgebers könnte von Gerichten und der Wettbewerbskommission als Bestätigung ihrer strikten und formalistischen Auslegung interpretiert werden. Dies käme einer stillschweigenden Abkehr von der ursprünglichen parlamentarischen Entscheidung gleich und würde die rechtliche Unsicherheit für die Wirtschaft weiter verschärfen. Starre Regelungen würden den Wettbewerb unnötig einschränken und die Handlungsfreiheit der Marktteilnehmer erheblich beeinträchtigen.

Aus unserer Sicht hatte der Gesetzgeber gute Gründe, auf sogenannte Teilkartellverbote zu verzichten. Es ist entscheidend, dass er an dieser Linie festhält und durch gezielte gesetzliche Klarstellungen sicherstellt, dass die Praxis mit seinem ursprünglichen Willen in Einklang gebracht wird. Das Parlament hat jetzt die Gelegenheit, im Rahmen der laufenden Kartellgesetzrevision den ursprünglichen gesetzgeberischen Willen wiederherzustellen.

Das Kartellrecht erlaubt es theoretisch, Wettbewerbsabreden zu rechtfertigen, wenn sie nachweislich zu Effizienzgewinnen führen. Diese scheinbare Ausnahme wird oft als Beleg dafür angeführt, dass kein generelles Kartellverbot besteht. Doch in der Praxis ist die Effizienzeinrede nahezu unerreichbar. Mit dem Altimum-Urteil hat das Bundesgericht die Hürden so hoch gelegt, dass sie faktisch unüberwindbar sind: Eine Abrede wird nur akzeptiert, wenn keine alternative, weniger wettbewerbsbeschränkende Massnahme den gleichen Effekt erzielt. Diese strengen Vorgaben machen es Unternehmen äusserst schwierig, die Effizienz-Ausnahme erfolgreich geltend zu machen.

Der Fall des Skiherstellers Stöckli verdeutlicht dies eindrucksvoll. Das Unternehmen argumentierte, dass Mindestpreise notwendig seien, um sicherheitsrelevante Beratungs- und Serviceleistungen im Einzelhandel zu gewährleisten. Die Wettbewerbskommission lehnte dies ab, da solche Dienstleistungen auch separat in Rechnung gestellt werden könnten—eine Lösung, die als weniger wettbewerbsbeschränkend angesehen wurde.

Diese Praxis führt de facto zu einer Beweislastumkehr: Unternehmen müssen darlegen, dass ihre Abreden einen positiven Wettbewerbseffekt haben, während die Behörde nicht mehr darlegen muss, dass die Abrede schädlich ist. Angesichts der potenziell existenzbedrohenden Bussgelder im Kartellrecht ist diese Situation untragbar.

Nein – Die geforderten Anpassungen ändern nichts an den Massnahmen, die im Zuge der Fair-Preis-Initiative in das Kartellrecht eingeführt wurden. Der Gesetzgeber hat klar vorgegeben, welche Verhaltensweisen unzulässig sind. Die vorgeschlagenen Änderungen bei Art. 7 Abs. 3 KG haben darauf keinen Einfluss.

Die Vorstellung, dass das EU-Kartellrecht eine engere Auslegung von Art. 7 KG erfordert, ist eine stark vereinfachte Sichtweise. Tatsächlich haben das Gericht der Europäischen Union und der Europäische Gerichtshof klargestellt, dass eine auswirkungsbezogene Analyse notwendig ist. Auch bei Wettbewerbsabreden gibt es Unterschiede zwischen der europäischen und der schweizerischen Praxis. Die EU-Rechtsprechung betont, dass die Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden müssen, um zu prüfen, ob eine Abrede tatsächlich den Wettbewerb einschränkt. Eine Anwendung des schweizerischen Kartellrechts im Einklang mit dem EU-Recht würde daher vielmehr eine einzelfallbezogene Analyse nahelegen. Dies wurde jüngst durch den «Intel» Entscheid des EuGH höchstrichterlich bestätigt. Eine dahingehende Korrektur hätte überhaupt keinen Einfluss auf die Kompatibilität mit der EU Rechtsprechung. Im Gegenteil.

Die Unzufriedenheit der Wirtschaft betrifft sowohl die institutionellen Probleme der Wettbewerbsbehörde als auch das materielle Kartellrecht – insbesondere das Richterrecht. Beide Aspekte sind eng miteinander verknüpft und beeinflussen sich gegenseitig. Materielle Probleme können nicht durch institutionelle Anpassungen gelöst werden. Es ist daher die Aufgabe des Gesetzgebers, in beiden Bereichen aktiv zu werden. In diesem Zusammenhang begrüsst die Wirtschaft den Auftrag des Bundesrats an das WBF, eine entsprechende Vernehmlassungsvorlage zu erarbeiten.

Die Teilrevision des Kartellgesetzes und die geplante Institutionenreform sind eng miteinander verknüpft und beeinflussen sich gegenseitig. Die Defizite im materiellen Recht haben die Schwächen der institutionellen Strukturen—wie unzureichende Kontrollmechanismen und problematische Anreizsysteme—deutlich offengelegt. Diese institutionellen Mängel können jedoch nicht allein durch die laufende Teilrevision des materiellen Kartellrechts behoben werden. Umgekehrt vermag auch eine Institutionenreform die strukturellen Probleme des materiellen Rechts nicht vollständig zu lösen.

Deshalb müssen Teilrevision und Institutionenreform als komplementäre Massnahmen betrachtet werden, die sich gegenseitig stärken, aber nicht ersetzen können. Ziele, die im Rahmen der materiellen Reform unerreicht bleiben, müssen umso entschlossener in der Institutionenreform angegangen werden, um ein kohärentes und zukunftsfähiges Kartellrecht zu schaffen, das den Anforderungen einer modernen Wirtschaft gerecht wird.