Mann vor Laptop mit Taschenrechner

Glo­ba­le Um­ver­tei­lung der Fir­men­steu­ern mit Fra­ge­zei­chen

Die welt­weit 100 gröss­ten und pro­fi­ta­bels­ten Un­ter­neh­men sol­len einen Teil ihrer Ge­win­ne dort ver­steu­ern, wo sie ihre Pro­duk­te ver­kau­fen. Die Staa­ten, in denen die be­trof­fe­nen Fir­men an­säs­sig sind, müss­ten im Ge­gen­zug auf einen Teil ihrer Steu­er­ein­nah­men ver­zich­ten. Für diese sog. «Markt­staa­ten­be­steue­rung» soll dem­nächst ein mul­ti­la­te­ra­les Ab­kom­men zur Un­ter­schrift be­reit­ste­hen. Dar­auf haben sich 138 Re­gie­run­gen im Rah­men der OECD ge­ei­nigt. Für ein In­kraft­tre­ten muss das Ab­kom­men al­ler­dings noch von einer «kri­ti­schen Masse» von Staa­ten ra­ti­fi­ziert wer­den. Dazu ge­hö­ren zwin­gend die USA. Ob das je­mals der Fall sein wird, bleibt höchst un­si­cher. Die Schweiz wäre von der neuen Steu­er­re­gel klar ne­ga­tiv be­trof­fen.

Nach­dem die Stimm­be­völ­ke­rung am 18. Juni der zwei­ten Säule des ak­tu­el­len OECD-Pro­jekts – der Min­dest­be­steue­rung von 15 Pro­zent – mit 78,5 Pro­zent klar zu­ge­stimmt hat, geht es nun in­ter­na­tio­nal bei der ers­ten Säule voran. Nach lang­jäh­ri­gen Ver­zö­ge­run­gen liegt ge­mäss OECD eine Ei­ni­gung für eine glo­ba­le Um­ver­tei­lung der Ge­winn­steu­er vor. Doch nicht alle be­tei­lig­ten Staa­ten haben das ent­spre­chen­de State­ment mit­ge­tra­gen. Ka­na­da, Pa­kis­tan und Sri Lanka haben dar­auf ver­zich­tet. Für die Schweiz wird sich nun die Frage stel­len, ob sie das mul­ti­la­te­ra­le Ab­kom­men un­ter­zeich­nen und ra­ti­fi­zie­ren soll. Damit würde sie zur «kri­ti­schen Masse» von Staa­ten bei­tra­gen und ein Ab­kom­men un­ter­stüt­zen, das sich fi­nan­zi­ell klar nach­tei­lig auf unser Land aus­wirkt. Ob die Ei­ni­gung, wie von der OECD de­kla­riert, tat­säch­lich die in­ter­na­tio­na­le Steu­er­ge­rech­tig­keit för­dert und Kon­flik­te ver­mei­det, darf be­zwei­felt wer­den.

Streit um die Be­steue­rung der di­gi­ta­len Wirt­schaft

Am An­fang stand der Streit um die Steu­ern gros­ser Di­gi­tal­kon­zer­ne. Heute er­folgt deren Be­steue­rung am Ort der Wert­schöp­fung. So­fern Soft­ware­ent­wick­ler, In­ge­nieu­re, Da­ten­ana­lys­ten und Pro­gram­mie­re­rin­nen eines Di­gi­tal­un­ter­neh­mens etwa in den USA tätig sind, fin­det auch die Ge­winn­be­steue­rung mehr­heit­lich in den USA statt. Zahl­rei­che Staa­ten stel­len sich auf den Stand­punkt, dass die Be­steue­rung am Ort der Wert­schöp­fung in die­sem Fall un­ge­recht sei, weil die Ge­win­ne von Di­gi­tal­un­ter­neh­men welt­weit er­wirt­schaf­tet wer­den. Vie­ler­orts wur­den in der Folge na­tio­na­le Di­gi­tal­steu­ern ein­ge­führt. Weil diese Steu­ern im Al­lein­gang er­ho­ben wer­den und in­ter­na­tio­nal nicht ab­ge­stimmt sind, dro­hen Über- bzw. Dop­pel­be­steue­run­gen. Die USA stu­fen sol­che Son­der­steu­ern als dis­kri­mi­nie­rend ein und haben Straf­zöl­le gegen eu­ro­päi­sche Staa­ten an­ge­kün­digt. Um einen Han­dels­krieg zu ver­mei­den, gab der Zu­sam­men­schluss der 20 gröss­ten Wirt­schafts­mäch­te (G20) der OECD das Man­dat, eine Kon­sens­lö­sung auf glo­ba­ler Ebene zu fin­den.

Markt­staa­ten­be­steue­rung für 100 Gross­kon­zer­ne

Nach mehr­jäh­ri­gen Ver­hand­lun­gen ei­nig­ten sich im Juli 2021 über 130 Staa­ten auf eine «Markt­staa­ten­be­steue­rung» für die 100 gröss­ten und pro­fi­ta­bels­ten Un­ter­neh­men der Welt. Kon­kret be­trof­fen sind Un­ter­neh­men, die welt­weit einen Um­satz von mehr als 20 Mil­li­ar­den Euro er­wirt­schaf­ten. Diese Fir­men sol­len 25 Pro­zent des­je­ni­gen Ge­winns, der über einer «nor­ma­len» Pro­fit­mar­ge von 10 Pro­zent liegt, in den Markt­staa­ten ver­steu­ern. Um eine dop­pel­te Be­steue­rung zu ver­mei­den, müs­sen die An­säs­sig­keits­staa­ten den bis­her dort be­steu­er­ten Ge­winn ver­rin­gern. Die Steu­ern der rund 100 gröss­ten Un­ter­neh­men wer­den somit in Tei­len von den Pro­duk­ti­ons- in die Markt­staa­ten ver­scho­ben. Im Ge­gen­zug – so die Ei­ni­gung – sol­len uni­la­te­ra­le Di­gi­tal­steu­ern ver­bo­ten und die be­trof­fe­nen Un­ter­neh­men vor Dop­pel­be­steue­run­gen ge­schützt wer­den.

Die kon­kre­te Um­set­zung die­ser glo­ba­len Um­ver­tei­lung stell­te sich als un­ge­mein kom­plex her­aus. Erst heute, rund zwei Jahre spä­ter, konn­te man sich in den wich­tigs­ten Punk­ten ei­ni­gen. Ein fi­na­ler Ab­kom­mens­text, der mit da­zu­ge­hö­ri­gem Kom­men­tar dem Ver­neh­men nach rund 1000 (!) Sei­ten um­fas­sen soll, liegt noch immer nicht vor.

Schweiz droht der Ver­lust von Steu­er­ein­nah­men

Als Markt­staat er­hiel­te die Schweiz das Recht, einen Teil der Ge­win­ne von US-Di­gi­tal­kon­zer­nen und an­de­rer gros­ser aus­län­di­scher Kon­zer­ne zu be­steu­ern (ba­sie­rend auf dem Um­satz, den diese Fir­men in der Schweiz er­zie­len). Die USA und an­de­re Staa­ten be­kä­men im Ge­gen­zug das Recht, Ge­win­ne der gröss­ten Schwei­zer Kon­zer­ne zu be­steu­ern (ba­sie­rend auf dem Um­satz, den diese in den je­wei­li­gen Staa­ten er­zie­len).

Als klei­ner Markt könn­te die Schweiz nur be­grenzt vom neuen Be­steue­rungs­recht pro­fi­tie­ren. Gleich­zei­tig müss­te sie als An­säs­sig­keits­staat ei­ni­ger der welt­weit gröss­ten Un­ter­neh­men mit si­gni­fi­kan­ten Steu­er­ein­bus­sen rech­nen. Erste, ru­di­men­tä­re Schät­zun­gen gehen für Bund und Kan­to­ne von Net­to­ein­bus­sen im drei­stel­li­gen Mil­lio­nen­be­reich aus.

Hohe po­li­ti­sche Hürde der Ra­ti­fi­zie­rung

Das mul­ti­la­te­ra­le Ab­kom­men tritt erst in Kraft, wenn es von min­des­tens 30 Staa­ten ra­ti­fi­ziert wird, die zu­sam­men über 60 Pro­zent der be­trof­fe­nen Kon­zer­ne be­hei­ma­ten. Zwin­gend ist damit na­ment­lich die Ra­ti­fi­ka­ti­on durch die USA, wo sich die Haupt­sit­ze von knapp der Hälf­te der be­trof­fe­nen Kon­zer­ne be­fin­den. Die für die Ra­ti­fi­ka­ti­on not­wen­di­ge Zwei­drit­tel­mehr­heit im US-Senat gilt als sehr hohe Hürde. Ob die Markt­staa­ten­be­steue­rung des­halb je­mals um­ge­setzt wird, er­scheint un­si­cher. Soll­te sie schei­tern, könn­ten die im Mo­ment sis­tier­ten Di­gi­tal­steu­ern wie­der ak­ti­viert wer­den. An­hän­ger des OECD-Pro­jekts fürch­ten in die­sem Fall neue Han­dels­kon­flik­te.

Kon­flik­te dro­hen je­doch auch bei Um­set­zung der Markt­staa­ten­be­steue­rung. Diese über­aus kom­ple­xe Steu­er ist mit so vie­len Aus­le­gungs­fra­gen be­haf­tet, dass Streit um Be­steue­rungs­rech­te un­ver­meid­lich er­scheint.