Mit gefalteten Händen sitzen sich zwei Geschäftsmänner gegenüber.

G-20: Di­gi­tal­steu­er droht Kon­flik­te zu be­feu­ern

Das OECD/G-20-Pro­jekt zur Di­gi­tal­steu­er soll Steu­er- und Han­dels­kon­flik­te bei­le­gen. Wie ak­tu­el­le Ent­wick­lun­gen zei­gen, könn­te es sie aber ge­ra­de­zu be­feu­ern. Am Tref­fen der G-20-Fi­nanz­mi­nis­ter in Riad sind die ge­gen­sätz­li­chen In­ter­es­sen er­neut deut­lich ge­wor­den. Be­son­ders die Säule 1 des Pro­jekts ist unter den gros­sen In­dus­trie- und Schwel­len­län­dern um­strit­ten: eine Ge­winn­be­steue­rung für Di­gi­tal- und Kon­sum­gü­ter­fir­men im Ab­satz­land, also am Ort des Kon­sums. Das noch im OECD-Vor­läu­fer­pro­jekt hoch­ge­hal­te­ne Prin­zip der Be­steue­rung am Ort der Wert­schöp­fung wird be­reits wie­der un­ter­lau­fen.

Die USA weh­ren sich gegen die Ab­kehr von der Ge­winn­be­steue­rung am Ort der Wert­schöp­fung. Säule 1 soll für die Un­ter­neh­men nur op­tio­nal als «safe har­bor» ein­ge­führt wer­den, wie Ste­ven Mnu­ch­in in Riad er­neut be­kräf­tig­te. Für die Fi­nanz­mi­nis­ter Deutsch­lands und Frank­reichs bleibt das aus­ge­schlos­sen. Vor­ge­bracht wer­den aber nicht etwa sach­li­che, son­dern vor­nehm­lich po­li­ti­sche Grün­de. Po­li­ti­ker hät­ten ihren Bür­gern eine Di­gi­tal­steu­er ver­spro­chen, dar­auf zu ver­zich­ten sei nicht er­klär­bar. Die ei­ge­ne Rolle der bei­den Haupt­prot­ago­nis­ten im Be­feu­ern der öf­fent­li­chen Wahr­neh­mung an­geb­lich un­ter­be­steu­er­ter Di­gi­tal­fir­men wird nicht hin­ter­fragt. 

Fi­nan­zi­el­le Ar­gu­men­te blei­ben Scholz und Le Maire je­den­falls schul­dig. Ge­mäss einem kürz­lich von der OECD ver­öf­fent­lich­ten Im­pact As­sess­ment soll das Pro­jekt zwar bis zu vier Pro­zent hö­he­re Ge­winn­steu­er­ein­nah­men brin­gen (glo­bal ca. 100 Mil­li­ar­den USD), dies je­doch bei­na­he voll­stän­dig auf­grund der in Säule 2 des Pro­jekts vor­ge­se­he­nen Min­dest­be­steue­rung. Diese auf Daten von 2016 ba­sie­ren­de Schät­zung ist zudem frag­wür­dig. Seit­her ein­ge­führ­te Re­for­men gegen künst­li­che Ge­winn­ver­schie­bung wie die EU Anti-Tax Avo­idance Di­rec­tive (2016), die US Steu­er­re­form (2017) oder auch die Ab­schaf­fung von Steu­er­re­gimes in der Schweiz (2019) dürf­ten einen Gross­teil die­ser Ef­fek­te be­reits aus­ge­löst haben. 

Viel Kom­ple­xi­tät, aber kaum Mehr­ein­nah­men

Das OECD Im­pact As­sess­ment zeigt je­den­falls klar: Säule 1 bringt höchs­tens mar­gi­na­le Ef­fek­te für die Steu­er­ein­nah­men. Es han­delt sich um eine mo­dera­te Um­ver­tei­lung von den An­säs­sig­keits- zu den Markt­staa­ten auf Kos­ten im­men­ser zu­sätz­li­cher Kom­ple­xi­tät. So soll das heu­ti­ge Sys­tem der Ver­rech­nungs­prei­se zwi­schen Kon­zern­ge­sell­schaf­ten voll­stän­dig er­hal­ten blei­ben. Er­gän­zend soll auf einer zwei­ten Ebene ein Teil des kon­zern­wei­ten Grup­pen­ge­winns in den Markt­staa­ten ver­steu­ert wer­den. Wie eine kon­sis­ten­te In­ter­ak­ti­on die­ser bei­den Ebe­nen si­cher­ge­stellt und Dop­pel­be­steue­run­gen ver­hin­dert wer­den, ist noch immer völ­lig un­be­kannt. Si­cher ist, dass Ent­wick­lungs- und Schwel­len­län­der ver­bind­li­che Schieds­ge­rich­te zur Klä­rung der Be­steue­rungs­rech­te ab­leh­nen. 

Die Ver­mei­dung von Dop­pel­be­steue­rung ist nur eines der elf hoch­tech­ni­schen Pro­ble­me, die die OECD ge­mäss dem am­bi­tio­nier­ten Ar­beits­pro­gramm bis An­fang Juli lösen muss. Dann soll an einem Tref­fen des of­fi­zi­el­len Ent­scheid­gre­mi­ums – dem OECD/G-20 In­clu­si­ve Frame­work – die po­li­ti­sche Ei­ni­gung ge­lin­gen. Soll­ten wich­ti­ge tech­ni­sche Fra­gen bis dann nicht ge­löst sein, droht ein all­fäl­li­ges Ab­kom­men von Staa­ten je nach In­ter­es­sen­la­ge un­ter­schied­lich in­ter­pre­tiert und aus­ge­legt zu wer­den. Ba­sie­rend auf einer sol­chen am­bi­va­len­ten Ver­ein­ba­rung droht die­ses Pro­jekt je­doch, uni­la­te­ra­le Mass­nah­men, Steu­er- und Han­dels­krie­ge nicht zu ver­hin­dern, son­dern diese viel­mehr zu be­feu­ern.