Fokus In­fla­ti­on, Epi­so­de V: Die un­ab­hän­gi­ge SNB schlägt zu­rück

Die Schweiz kann­te letzt­mals An­fang der 1990er-Jahre re­la­tiv hohe In­fla­ti­ons­ra­ten. Die Be­kämp­fung ge­lang, weil die Schwei­ze­ri­sche Na­tio­nal­bank in hohem Masse un­ab­hän­gig von der Ta­ges­po­li­tik agie­ren konn­te. Eine von der Po­li­tik ab­hän­gi­ge No­ten­bank läuft näm­lich Ge­fahr, viel zu lange mit dem «Zu­rück­schla­gen» zu war­ten. Wie könn­te die SNB heute auf eine stark stei­gen­de In­fla­ti­ons­ra­te re­agie­ren?

Auf Lin­ke­din habe ich mit einem Au­gen­zwin­kern auf den Blog «Fokus In­fla­ti­on IV: Nicht neu­tral, son­dern ganz schön fies» mit der fol­gen­den Ein­lei­tung hin­ge­wie­sen: «Fast so span­nend wie Star Wars Epi­so­de IV...: ein neuer Blog zu den Ver­tei­lungs­wir­kun­gen von In­fla­ti­on in einer Volks­wirt­schaft». In einem Kom­men­tar wurde vor­ge­schla­gen, die nächs­te Epi­so­de V doch der Frage zu wid­men, wie man In­fla­ti­on be­kämp­fen könne. In An­leh­nung an den Titel der Star Wars Epi­so­de V, das Im­pe­ri­um schlägt zu­rück, könne der Titel doch heis­sen: «Epi­so­de V – Die un­ab­hän­gi­ge SNB schlägt zu­rück». Die Idee ist super und daher komme ich die­ser gerne nach.

Schwei­fen wir kurz in die 1980er-Jahre zu­rück. Die Schwei­zer Wirt­schaft brumm­te, der Im­mo­bi­li­en­markt über­hitz­te, die Ar­beits­lo­sig­keit war sehr tief. Die SNB ver­folg­te da­mals ein Geld­men­gen­ziel, ein geld­po­li­ti­sches Kon­zept, das von den so­ge­nann­ten Mo­ne­ta­ris­ten ge­prägt wurde.1

1987 soll­ten drei Er­eig­nis­se dazu füh­ren, dass die In­fla­ti­ons­ra­te in der Schweiz in den Fol­ge­jah­ren stark an­stieg. Ers­tens bra­chen im Ok­to­ber 1987 welt­weit die Bör­sen ein und die Zen­tral­ban­ken pump­ten Li­qui­di­tät in die Märk­te, um diese zu be­ru­hi­gen. Auch die SNB be­tei­lig­te sich daran (aus heu­ti­ger Sicht wurde al­ler­dings mit ver­gleichs­wei­se ho­möo­pa­thi­schen Dosen ge­pumpt). Zwei­tens führ­te die SNB in die­sem Jahr ein neues Clea­ring-Sys­tem ein, wel­ches den Be­darf der Ge­schäfts­ban­ken an Zen­tral­bank­geld re­du­zier­te. Die Ban­ken zogen das Geld ab und konn­ten da­durch die Kre­dit­ver­ga­be er­hö­hen. Und das taten sie auch. Drit­tens führ­te die SNB neue Li­qui­di­täts­vor­schrif­ten für Ban­ken ein, die eben­falls ex­pan­siv wirk­ten. Die Füh­rung der Na­tio­nal­bank un­ter­schätz­te wohl die ex­pan­si­ve Wir­kung die­ser drei Er­eig­nis­se.

Da die Wirt­schaft be­reits stark aus­ge­las­tet war, stieg in der Folge die In­fla­ti­on für Schwei­zer Ver­hält­nis­se sehr stark auf über sechs Pro­zent an. Die Spit­ze der No­ten­bank bekam es mit der Angst zu tun und re­agier­te mit kräf­ti­gen Zins­er­hö­hun­gen, um die Preis­ent­wick­lung zu bre­chen. Das Re­sul­tat war eine Re­zes­si­on. Die In­fla­ti­on sank zwar, aber auf Kos­ten von stei­gen­der Ar­beits­lo­sig­keit. Viele Fir­men muss­ten Kon­kurs an­mel­den. Haus­käu­fer konn­ten ihre Schul­den nicht mehr tra­gen. Die Ban­ken muss­ten gros­se Ver­lus­te aus dem Kre­dit­ge­schäft schul­tern. Rund die Hälf­te der Re­gio­nal­ban­ken, zwei Kan­to­nal­ban­ken und die Schwei­ze­ri­sche Volks­bank ver­lo­ren in­ner­halb we­ni­ger Jahre ihre Selbst­stän­dig­keit. Seit­her wur­den ei­ni­ge Re­ge­lun­gen ein­ge­führt, die eine sol­che ne­ga­ti­ve Ket­ten­re­ak­ti­on heute we­ni­ger wahr­schein­lich ma­chen: hö­he­re Ei­gen­ka­pi­tal­an­for­de­run­gen für Kre­di­te, an­ti­zy­kli­scher Ka­pi­tal­puf­fer oder hö­he­re Ei­gen­ka­pi­tal­de­cke der Ban­ken.

Stel­len wir uns nun aber vor, die In­fla­ti­ons­ra­te würde in der Schweiz im nächs­ten Jahr auf über sechs Pro­zent an­stei­gen und die Schwei­zer Po­li­tik könn­te be­stim­men, wie es wei­ter­ge­hen soll. Wür­den der Bun­des­rat oder das Par­la­ment es zu­las­sen, dass die Drei­mo­nats­zin­sen ähn­lich wie in den 1990er-Jah­ren auf über neun Pro­zent an­stei­gen? Viele Haus­ei­gen­tü­mer mit Hy­po­the­kar­schul­den wür­den for­dern, die Zin­sen ja nicht zu schnell zu er­hö­hen. Hand­wer­ker­fir­men wür­den auf das Ab­wür­gen der Bau­tä­tig­keit hin­wei­sen. Die Ge­werk­schaf­ten wür­den na­tür­lich un­ge­ach­tet eine gross­zü­gi­ge Teue­rungs­an­pas­sung for­dern und die In­fla­ti­ons­pha­se da­durch ver­län­gern. Die Linke würde staat­li­che Im­puls­pro­gram­me lan­cie­ren wol­len, die bei tie­fe­ren Zin­sen ein­fa­cher zu fi­nan­zie­ren sind. Die Rech­te könn­te in den Chor ein­stim­men, so dass Links und Rechts ge­mein­sam for­dern, dass die hö­he­ren Zins­ein­nah­men der No­ten­bank wie­der an die Be­völ­ke­rung ver­teilt wer­den müs­sen, vor­zugs­wei­se in die AHV. Und, und, und. Kurz­um: In einem heil­lo­sen Durch­ein­an­der wäre die Geld­po­li­tik nicht hand­lungs­fä­hig und würde nicht oder zu spät auf die an­zie­hen­de In­fla­ti­on re­agie­ren.

Doch die SNB ist zum Glück (noch und hof­fent­lich noch lange) in hohem Masse von der Po­li­tik un­ab­hän­gig. Sie kann «zu­rück­schla­gen»: Soll­te die In­fla­ti­on wirk­lich stär­ker an­stei­gen, kann sie fol­gen­der­mas­sen vor­ge­hen:

  1. Ver­kauf von aus­län­di­schen Wert­pa­pie­ren
    Der Ver­kauf von aus­län­di­schen Staats­an­lei­hen und Ak­ti­en, die die No­ten­bank in den ver­gan­ge­nen Jah­ren zwecks Ab­schwä­chung des Fran­kens an­ge­häuft hat, würde dazu füh­ren, dass sie ers­tens Fran­ken vom Markt nimmt. Ein we­sent­li­cher Be­glei­tef­fekt für die In­fla­ti­on wäre eine kon­trol­lier­te Auf­wer­tung des Fran­kens, wel­cher die im­por­tier­te In­fla­ti­on dros­selt und den all­ge­mei­nen Preis­auf­trieb dämpft.
     
  2. Zins­er­hö­hun­gen
    So­bald die Eu­ro­päi­sche Zen­tral­bank (EZB) ih­rer­seits etwas re­strik­ti­ver wird, droht von Zins­er­hö­hun­gen in der Schweiz nicht mehr eine schock­ar­ti­ge Auf­wer­tung des Fran­kens aus­zu­ge­hen. Die SNB wird also – zwar etwas ver­zö­gert – Zins­er­hö­hun­gen in der Schweiz durch­set­zen kön­nen. Diese dämp­fen die In­fla­ti­ons­ra­te.
     
  3. Wie­der­ein­füh­rung der SNB-Bills
    Soll­te die EZB zu lange mit Zins­er­hö­hun­gen war­ten, kann die SNB das In­stru­ment der SNB-Bills wie­der ein­set­zen. Diese funk­tio­nie­ren so: Die SNB ver­kauft ver­zins­te Wert­pa­pie­re, die sie sel­ber her­aus­gibt. Die Käu­fer die­ser SNB-Bills zah­len in Schwei­zer Fran­ken. Da­durch sinkt die Geld­men­ge.

Dabei ist klar: Kaum je­man­dem wird eine sol­che re­strik­ti­ve Po­li­tik wirk­lich ge­fal­len, ob­wohl eine Rück­kehr zur Preis­sta­bi­li­tät not­wen­dig und im lang­fris­ti­gen In­ter­es­se aller ist. Die Ex­port­wirt­schaft würde unter dem stär­ke­ren Fran­ken lei­den, Haus­be­sit­zer kämen in fi­nan­zi­el­le Schwie­rig­kei­ten, die Staats­ein­nah­men sän­ken, die Mie­ten stie­gen und die Ar­beits­lo­sig­keit nähme zu. Und weil alle diese Fol­gen so un­po­pu­lär sind, muss die SNB in einem hohen Masse un­ab­hän­gig von der Po­li­tik agie­ren kön­nen. Nur eine un­ab­hän­gi­ge No­ten­bank schlägt recht­zei­tig zu­rück – im Un­ter­schied zur Star-Wars-Sage aber im Sinne des Guten.

 

1 Nach­dem die In­fla­ti­ons­ra­ten in den 1960er- und 1970er-Jah­ren in vie­len Län­dern hoch waren, setz­te eine in­ten­si­ve De­bat­te dar­über ein, wie man denn In­fla­ti­on am bes­ten lang­fris­tig kon­trol­lie­ren könne. Mil­ton Fried­man, No­bel­preis­trä­ger, for­mu­lier­te es so: «In­fla­ti­on ist immer und über­all ein mo­ne­tä­res Phä­no­men.» Zwar kön­nen Knapp­hei­ten zu vor­über­ge­hen­den Preis­stei­ge­run­gen füh­ren, eine an­hal­ten­de In­fla­ti­on aber sei aus­schliess­lich auf den ein­fa­chen Grund zu­rück­zu­füh­ren: Die Geld­po­li­tik hat zu viel Geld ins Sys­tem ge­pumpt. Anna Schwartz, eine her­vor­ra­gen­de Wis­sen­schaft­le­rin, und Fried­man zei­gen in ihrem be­rühm­ten Buch «A Mo­ne­ta­ry His­to­ry of the United Sta­tes, 1867-1960» auf, dass die Geld­men­ge einen gros­sen Ein­fluss auf die Wirt­schaft aus­übt. Die Ant­wort die­ser so­ge­nann­ten Mo­ne­ta­ris­ten, wo auch der Schwei­zer Karl Brun­ner eine prä­gen­de Rolle spiel­te, war, dass die No­ten­ban­ken eine re­gel­ge­bun­de­ne Geld­po­li­tik ver­fol­gen soll­ten. Sie schlu­gen vor, dass sich die Geld­men­ge im Gleich­schritt mit dem lang­fris­ti­gen Pro­duk­ti­ons­po­ten­zi­al einer Volks­wirt­schaft er­hö­hen solle. Doch der Zu­sam­men­hang zwi­schen der Geld­men­ge und der Preis­ent­wick­lung er­wies sich als zu wenig sta­bil. Die re­gel­ge­bun­de­ne Po­li­tik wurde ab­ge­löst durch das Set­zen von In­fla­ti­ons­zie­len. Was blieb war die Ein­sicht, dass die Un­ab­hän­gig­keit der No­ten­bank von der Po­li­tik zen­tral ist. Die em­pi­ri­sche For­schung zeig­te denn auch, dass un­ab­hän­gi­ge No­ten­ban­ken in aller Regel tie­fe­re In­fla­ti­ons­ra­ten vor­wei­sen kön­nen als sol­che, die im Schlepp­tau der Po­li­tik agie­ren müs­sen.


FOKUS IN­FLA­TI­ON

Folge I: Ach­tung Gel­dil­lu­si­on – Der Fran­ken ist nicht mehr so stark wie 2015 

Folge II: Vier Grün­de für die re­kord­ho­he In­fla­ti­ons­ra­te in den USA

Folge III: «This time is dif­fe­rent» – wirk­lich?

Folge IV: Nicht neu­tral, son­dern ganz schön fies

Folge V: Die un­ab­hän­gi­ge SNB schlägt zu­rück

Folge VI: Wieso schlägt der Öl­preis­an­stieg nicht stär­ker auf die Schweiz durch?

Folge VII: Der Ukrai­ne-Krieg heizt die In­fla­ti­on an

Folge VIII: Der per­fek­te Sturm – so ent­steht eine Hy­per­in­fla­ti­on

Folge IX: Die Geld­po­li­tik der USA und der EZB – ein Spiel mit dem Feuer

Folge X: Ist die Tür­kei auf dem Weg zur Hy­per­in­fla­ti­on?

Fokus XI: Eine Zen­tral­bank muss die Märk­te über­ra­schen dür­fen

Fokus XII: «For­ward Gui­dance» – eine Me­di­zin mit Ne­ben­wir­kun­gen

Fokus XIII: Staats­prei­se ma­chen alles nur schlim­mer

Folge XIV: Rei­chen die Zins­er­hö­hun­gen zur Zäh­mung der Teue­rung?

Folge XV: Ist in den USA ein «Soft Lan­ding» mög­lich?

Folge XVI: Miet­zins­re­ge­lung er­schwert der SNB die Ar­beit