Die No­ten­ban­ken in den Fän­gen der Po­li­tik

Die For­de­run­gen der Po­li­tik an die No­ten­ban­ken wer­den immer un­ver­blüm­ter. Aus­ge­hend von den USA, über­flu­tet seit 2008 eine un­er­hör­te Geld­men­ge die Welt. Auch in der EU for­dern die Süd­län­der eine Fort­füh­rung der geld­po­li­ti­schen Lo­cke­rung.

Alan Green­span, der Vor­vor­vor­gän­ger von Je­ro­me Powell als Vor­ste­her der ame­ri­ka­ni­schen Zen­tral­bank (Fed), mach­te sich einen Namen als Ret­ter der Fi­nanz­märk­te. Seit­her kön­nen lang­fris­ti­ge An­le­ger, Hedge­fonds, Spe­ku­lan­ten, kurz­um alle In­ves­to­ren an den Bond- und Ak­ti­en­märk­ten, damit rech­nen, dass ihnen bei einem Crash die No­ten­bank zur Seite steht. Nach dem Aus­bruch der Fi­nanz­markt­kri­se be­gnüg­ten sich die gros­sen No­ten­ban­ken aber nicht mehr mit die­ser Rolle: Sie woll­ten nicht nur das In­stru­ment der Zins­sen­kun­gen ein­set­zen, um in Kri­sen­zei­ten für aus­rei­chend Li­qui­di­tät zu sor­gen.

His­to­ri­sches Ex­pe­ri­ment

Mit dem In­stru­ment der quan­ti­ta­ti­ven Lo­cke­rung woll­te und will man die lang­fris­ti­gen Zin­sen drü­cken, indem man gros­se Men­gen an An­lei­hen auf dem Markt auf­kauft. Das his­to­ri­sche Ex­pe­ri­ment wurde vom Fed lan­ciert und von der Eu­ro­päi­schen Zen­tral­bank (EZB) und der Bank of Japan über­nom­men. Die Schwei­ze­ri­sche Na­tio­nal­bank (SNB) muss­te in­ter­ve­nie­ren, damit der Fran­ken nicht durch die Decke schoss. Die un­er­hör­te Geld­men­ge, die die Welt seit 2008 über­flu­tet, brei­te­te sich auf diese Weise un­auf­halt­sam von den USA nach Eu­ro­pa und Asien aus.

Wäh­rend ei­ni­ge Öko­no­men davon aus­ge­hen, dass diese mas­si­ve geld­po­li­ti­sche Lo­cke­rung für das Über­le­ben des welt­wei­ten Fi­nanz­sys­tems nach 2008 nötig ge­we­sen ist, zwei­feln an­de­re ge­ne­rell an des­sen Wirk­sam­keit. Zwar weiss nie­mand, wie sich die Welt­wirt­schaft ohne quan­ti­ta­ti­ve Lo­cke­rung ent­wi­ckelt hätte. Hin­ge­gen wer­den die lang­fris­ti­gen Kol­la­te­ral­schä­den die­ser Po­li­tik immer deut­li­cher. Be­son­ders pro­ble­ma­tisch ist, dass neben den be­kann­ten Ver­zer­rungs­ef­fek­ten an den Im­mo­bi­li­en- und Fi­nanz­märk­ten die In­sti­tu­tio­nen nun selbst unter gros­sen po­li­ti­schen Druck ge­ra­ten.

No­ten­ban­ken zeig­ten, dass die Geld­po­li­tik kurz­fris­tig die Kon­junk­tur sti­mu­lie­ren kann in einem Aus­mass, zu dem die Po­li­tik nicht in der Lage ist.

Die­sen Druck le­dig­lich dem er­stark­ten Po­pu­lis­mus zu­zu­schrei­ben, greift je­doch zu kurz. Die No­ten­ban­ken haben ihren An­teil daran, dass die Po­li­tik stär­ke­ren Ein­fluss auf die Geld­po­li­tik aus­üben will. Denn sie grif­fen nach den Ster­nen und pack­ten dazu die ganz gros­se Ka­no­ne aus. Sie lies­sen die Welt wis­sen, wie mäch­tig sie sind, und zeig­ten, dass die Geld­po­li­tik kurz­fris­tig die Kon­junk­tur sti­mu­lie­ren kann in einem Aus­mass, zu dem die Po­li­tik nicht in der Lage ist. Nei­disch bli­cken des­halb viele Re­gie­run­gen auf diese Ge­walt­fül­le von Funk­tio­nä­ren, die sich in kur­zer Zeit zu Rock­stars mau­ser­ten. Die geld­po­li­ti­sche La­ge­be­ur­tei­lung wurde zum Me­di­en­hype. Seit der Ein­füh­rung des Prin­zips der For­ward Gui­dance – der Be­ein­flus­sung der Er­war­tun­gen von Markt­ak­teu­ren über die Pro­gno­sen der No­ten­bank – kle­ben die Kom­men­ta­to­ren an den Lip­pen des Vor­sit­zen­den und legen jedes Wort auf die Gold­waa­ge.

Immer mehr ent­stand in den letz­ten Jah­ren so der Ein­druck, dass nicht die Po­li­tik für Voll­be­schäf­ti­gung und Sta­bi­li­tät zu­stän­dig sei, son­dern die No­ten­ban­ken. Diese sind ja of­fen­sicht­lich in der Lage, die Märk­te zu be­we­gen. Hier end­lo­se Bud­get­de­bat­ten mit ein­ge­spiel­ten Checks and Ba­lan­ces, die eine aus­ufern­de Staats­ver­schul­dung ei­gent­lich ver­hin­dern soll­ten. Da ein nicht de­mo­kra­tisch ge­wähl­tes Kol­le­gi­um, das ein An­lei­he­kauf­pro­gramm in Mil­li­ar­den­hö­he über Nacht be­schlies­sen kann. Hier lange Zeit­ver­zö­ge­run­gen, bis eine Mass­nah­me wirkt, da un­mit­tel­ba­re Aus­wir­kun­gen auf die Fi­nan­zie­rung von In­ves­ti­tio­nen. Vom Ret­ter in der Not avan­cier­ten die No­ten­ban­ken zum Ret­ter für alles.

No­ten­ban­ken sind mit­schul­dig

Doch lei­der ging dar­über ver­ges­sen, dass Geld­po­li­tik zwar kurz­fris­tig sti­mu­lie­ren kann, lang­fris­ti­ges Wachs­tum einer Volks­wirt­schaft aber durch fun­da­men­ta­le Fak­to­ren wie un­ter­neh­me­ri­schen Frei­raum, die Ver­füg­bar­keit von Fach­kräf­ten, den Zu­gang zu aus­län­di­schen Märk­ten, eine gute In­fra­struk­tur, hoch­ste­hen­de For­schung, eine mo­dera­te Steu­er­be­las­tung oder einen mög­lichst li­be­ra­len Ar­beits­markt be­stimmt wird. Gute Wirt­schafts­po­li­tik ist al­ler­dings Kno­chen­ar­beit und für den po­pu­lis­ti­schen Schnell­schuss kaum ge­eig­net.

Und wenn die No­ten­ban­ken schon bei einem Crash zu Hilfe eilen, hohe Staats­schul­den durch tiefe Zin­sen er­träg­lich ma­chen oder ma­ro­de Ban­ken vor dem Un­ter­gang be­wah­ren, wieso soll­ten sie dann nicht die Po­li­tik di­rekt un­ter­stüt­zen? Die For­de­run­gen der Po­li­tik an die No­ten­ban­ken sind denn auch un­ver­blümt: Das Fed solle die Zin­sen doch um 0,5 Ba­sis­punk­te sen­ken, for­der­te Prä­si­dent Trump kürz­lich. Die Geld­po­li­tik solle den im Han­dels­kon­flikt mit China ent­ste­hen­den volks­wirt­schaft­li­chen Scha­den aus­ba­den. Als Powell die Zin­sen um 0,25 Punk­te senk­te, be­grün­de­te er die­sen Schritt denn auch vor allem mit den Un­si­cher­hei­ten des Han­dels­kon­flikts. Auch in der EU wird vor allem sei­tens der Süd­län­der eine Fort­füh­rung der geld­po­li­ti­schen Lo­cke­rung ge­for­dert. Die Un­ab­hän­gig­keit der Bank of Japan wurde schon vor Jah­ren stark ein­ge­schränkt. Die gros­sen No­ten­ban­ken ge­ra­ten immer mehr in die Fänge der Po­li­tik.

«Die ich rief, die Geis­ter, werd ich nun nicht los.»

Noch sind nicht alle Dämme ge­bro­chen. Aber der An­griff auf die No­ten­ban­ken wird immer stär­ker. So irr­lich­tert der­zeit eine neue «Theo­rie» von Ame­ri­ka her nach Eu­ro­pa. Ge­mäss der Mo­dern Mo­ne­ta­ry Theo­ry soll der Staat gänz­lich von Bud­get­sor­gen be­freit wer­den, denn die No­ten­bank kann ja end­los Geld für Staats­aus­ga­ben zur Ver­fü­gung stel­len. In Eu­ro­pa kann sich der «Club Med» wei­ter­hin auf die EZB-Spit­ze ver­las­sen, auch wenn die Deut­schen mit die­ser Po­li­tik un­zu­frie­den sind. Koste es, was es wolle.

Auch hier­zu­lan­de ge­lüs­tet es man­che Po­li­ti­ker da­nach, die SNB für par­tei­po­li­ti­sche For­de­run­gen zu in­stru­men­ta­li­sie­ren. Wäh­rend wir in der Schweiz die geld­po­li­ti­schen Ex­pe­ri­men­te der gros­sen No­ten­ban­ken nicht be­ein­flus­sen kön­nen, kön­nen wir im­mer­hin un­se­re Auf­ga­ben er­le­di­gen: Es ist in die­sen Zei­ten wich­ti­ger als je zuvor, die Un­ab­hän­gig­keit der SNB zu ver­tei­di­gen.

 

Hin­weis: Die­ser Bei­trag ist am Sams­tag, 9. Au­gust, be­reits in der «NZZ» pu­bli­ziert wor­den.