Arbeit

Das Märchen einer schlechten Produktivitätsentwicklung

Die Produktivitätsentwicklung der Schweiz ist gut. Das BIP pro Kopf steigt hingegen prozentual weniger stark als in den USA, weil die Menschen hier weniger arbeiten.

Man hört und liest es immer wieder: Die Entwicklung der Arbeitsproduktivität, also wie viel BIP ein einzelner Erwerbstätiger erwirtschaftet, sei in der Schweiz schlecht. Die Rede ist von einem lahmenden Produktivitätswachstums in den letzten Jahren. Deshalb sei das BIP-pro-Kopf-Wachstum bescheiden. Doch diese These bleibt falsch, auch wenn sie noch so oft wiederholt wird.

Die Schweiz wächst nicht nur in die Breite. economiesuisse hat dem Thema bereits ein ganzes dossierpolitik gewidmet. Es liegt zwar auf der Hand, dass bei einer steigenden Zahl an Erwerbstätigen die Wirtschaftsleistung zunimmt. Doch es zeigt sich, dass in der Schweiz auch das BIP-pro-Kopf steigt und damit der Wohlstand der ansässigen Bevölkerung. Auch sie profitiert vom Wirtschaftswachstum. Der Grund dafür ist simpel: Das BIP pro Kopf steigt an, weil die Arbeitsproduktivität steigt. Allerdings könnte diese noch stärker ansteigen, wenn in der Schweiz – wie etwa in den USA – mehr Stunden gearbeitet würden. Doch hat sich die Produktivität wie oft behauptet in der Schweiz in den letzten Jahren wirklich nur geringfügig entwickelt?

Der Arbeitseinsatz wird oft vergessen

Es gibt zwei Möglichkeiten, um das BIP pro Kopf zu steigern: Einerseits können die Erwerbstätigen produktiver werden, d.h. sie produzieren in der gleichen Zeit mehr Output. Andererseits können sie das BIP pro Kopf steigern, indem sie mehr Stunden als vorher arbeiten. Es ist deshalb wichtig, neben der Produktivität auch den Arbeitseinsatz zu berücksichtigen. Und weil sich das BIP pro Kopf auf die gesamte Bevölkerung und nicht nur auf die Erwerbstätigen bezieht, muss auch der Arbeitseinsatz der gesamten Bevölkerung betrachtet werden.

Die nachfolgende Abbildung zeigt die Entwicklung der beiden Komponenten für verschiedene Länder. Offensichtlich ist die gesamtwirtschaftliche Produktivität in den USA stärker gestiegen als in der Schweiz. Aber es zeigt sich, dass dies auch wesentlich darauf zurückzuführen ist, dass in den USA pro Person mehr Stunden gearbeitet wird. Das ist der Grund, dass Länder, wie beispielsweise die USA, punkto BIP pro Kopf bessere Wachstumsraten aufweisen als die Schweiz. Doch daraus eine lahmende Produktivitätsentwicklung abzuleiten, ist falsch. Betrachtet man nur die Arbeitsproduktivität, erzielt die Schweiz seit 2010 im Schnitt gleich hohe jährliche Wachstumsraten wie die USA, Dänemark oder Deutschland (und das, obwohl das Niveau der Arbeitsproduktivität in der Schweiz viel höher ist als in diesen drei Ländern.) In Grossbritannien und der Niederlande fielen die Produktivitätssteigerungen hingegen deutlich geringer aus als in der Schweiz.

Wenn also ein Land ein höheres Wachstum beim BIP pro Kopf aufweist als die Schweiz, heisst das nicht automatisch, dass dieses Land auch bei der Produktivitätsentwicklung besser ist. Der Wachstumsunterschied kann auch auf eine Differenz in der Entwicklung des Arbeitseinsatzes zurückzuführen sein.

Warum sinkt der Arbeitseinsatz in der Schweiz?

Es gibt zwei Erklärungen, weshalb der Arbeitseinsatz in der Schweiz zurückgeht. Einerseits sind die geleisteten Stunden bei den Erwerbstätigen rückläufig. Das bedeutet nichts anderes, als dass die Erwerbsbevölkerung einen Teil des Wohlstands als zusätzliche Freizeit konsumiert. Freizeit wird beim BIP pro Kopf nicht erfasst.

Andererseits haben wir eine demografische Alterung, d.h. ein wachsender Anteil der Bevölkerung ist aufgrund des Alters nicht mehr erwerbstätig. Dadurch sinkt der Arbeitseinsatz der Bevölkerung pro Kopf. Die Zuwanderung, die in der Schweiz mehrheitlich im erwerbsfähigen Alter stattfindet, schwächt diesen Effekt ab. Wie economiesuisse in einem anderen dossierpolitik aufzeigt, würde die Erwerbsbevölkerung ohne Nettozuwanderung seit 2020 schrumpfen. Der negative Effekt eines sinkenden Arbeitseinsatzes auf das BIP pro Kopf würde sich in der Schweiz ohne Nettozuwanderung in den nächsten Jahren deutlich akzentuieren. Es würde letztlich bedeuten, dass trotz Produktivitätswachstum keine oder sogar eine rückläufige Entwicklung beim BIP pro Kopf (man kann auch von Wohlstand sprechen) möglich wäre.