Das Erfolgsmodell sichern: Auf dem Weg zu den «Bilateralen III»

Für die exportorientierte Basler Life Sciences Branche ist die Europäische Union (EU) als wichtigster Absatzmarkt von grosser Bedeutung. Auch dringend benötigte Fachkräfte aus dem europäischen Ausland spielen eine zentrale Rolle für den internationalen Erfolg der ansässigen Unternehmen. So gilt es nun, die schweizerisch-europäische Zusammenarbeit wieder auf eine sichere Basis zu stellen. Das Vertragspaket «Bilaterale III», das der Bundesrat mit der EU auszuhandeln gedenkt, ist der richtige Weg, um die Teilnahme der Schweiz am europäischen Binnenmarkt langfristig zu sichern.

Die Europäische Union – Handelspartnerin, Nachbarin, Verbündete

Auf welchem Kontinent liegt die Schweiz?

Diese Frage stellte ich an einem Anlass im Jahr 2015. Damals wie heute irritiert die banale Frage. Die Antwort darauf ist so unverrückbar wie das Amen in der Kirche: Die Schweiz liegt in Europa. Damals lag das Ja zur Masseneinwanderungsinitiative knapp ein Jahr zurück – ein Bruch sondergleichen in den schweizerisch-europäischen Beziehungen. Angesichts dieser besorgniserregenden politischen Entwicklungen fühlte ich mich verpflichtet, das Publikum an diesen unveränderlichen Fakt zu erinnern: Die Schweiz liegt in Europa - und zwar mittendrin.

Heute – acht Jahre später – kann nahtlos an die Lektion von damals angeknüpft werden. Auch heute gilt es immer wieder daran zu erinnern, dass die EU unsere mit Abstand wichtigste Handelspartnerin, Nachbarin und Verbündete ist. Gerade in geopolitisch und weltwirtschaftlich unsicheren Zeiten ist es zentral, dass die europäischen Staaten gut miteinander kooperieren und vernetzt sind. Angesichts dessen ist es unverständlich, ja für unser Land schädlich, wenn wir nicht rasch unsere Beziehungen zur EU stabilisieren und langfristig auf ein solides Fundament stellen.

Für die Wirtschaft ist deswegen klar: Ohne geregelte Beziehungen zur EU gerät unser Standort zunehmend in Bedrängnis. Die hindernisfreie Teilnahme am EU-Binnenmarkt hat insbesondere für die Schweizer Exportwirtschaft höchste Priorität. Auch für den heimischen Strommarkt, die Lebensmittelindustrie und die länderübergreifende Zusammenarbeit in der Forschung und Bildung braucht es Lösungen.

Europa für den Life Sciences Standort Basel

Gerade für Basel als Life Sciences Standort ist die Zusammenarbeit im Bereich der Forschung und Bildung zentral. Denn am wichtigsten Forschungsrahmenprogramm «Horizon Europe» kann die Schweiz als nicht-assoziierter Drittstaat nur sehr eingeschränkt teilnehmen. Das schwächt die Innovationsfähigkeit der forschenden Pharmaindustrie und schadet dem Life Sciences Standort. Ein erster Lichtblick ist die kürzlich verkündete Annäherung der Schweiz und der EU in der wichtigen Frage der Forschungszusammenarbeit. Im Rahmen von technischen Gesprächen soll ein Wiedereintritt der Schweiz ins EU-Forschungsprogramm diskutiert werden. Fortschritte wie dieser sind wichtig, denn die Metropolitanregion Basel ist weit über die Landesgrenzen hinaus als führender Forschungs- und Life Sciences Standort bekannt. Die Innovationsfähigkeit und Technologieführerschaft der hier ansässigen Unternehmen haben die Region an die Weltspitze befördert. Und nicht nur Basel profitiert: Mit einem direkten Anteil von rund fünf Prozent am Bruttoinlandprodukt (BIP) und einem überdurchschnittlichen Wertschöpfungswachstum trägt die Pharmaindustrie massgeblich zum Wohlstand der Schweiz bei.

Der Erfolg der Basler Life Sciences Branche kommt nicht von ungefähr. Die besonders vorteilhafte Kombination von Standortfaktoren macht die Region so attraktiv wie kaum eine andere. Die Nähe zu Deutschland und Frankreich, zu den schweizerischen Rheinhäfen sowie zum internationalen Flughafen Basel-Mulhouse-Freiburg bieten einen ausgezeichneten Zugang zu allen bedeutenden Verkehrswegen. Auch der direkte Zugang zum europäischen Binnenmarkt ist von grosser Bedeutung. Fast die Hälfte aller Exporte der Schweizer Pharmaindustrie erfolgt in EU-Länder. Europa ist und bleibt damit der wichtigste Absatzmarkt der Branche.

Auch mit Blick auf die Fachkräfte der Basler Pharmaindustrie spielt Europa eine bedeutende Rolle. Angezogen vom Renommée und den vielfältigen Möglichkeiten, die ihnen der Life Sciences Standort Basel bietet, kommen hochqualifizierte Arbeitnehmende aus dem nahen Ausland als Grenzgänger in die Schweiz. Für die forschungsintensive Pharmaindustrie wiederum ist die Verfügbarkeit von hochqualifizierten Arbeitskräften von grösster Wichtigkeit. Sie sichern die internationale Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit der Branche.

Die Personenfreizügigkeit als Teil der Lösung

Diese Arbeitnehmenden sind auch mit Blick auf die Zukunft des Schweizer Arbeitsmarktes und der Altersvorsorge von grosser Bedeutung. Denn der demografische Wandel stellt die Schweiz wie auch die meisten anderen europäischen Länder vor enorme Herausforderungen. Es gehen Jahr für Jahr mehr Menschen in Pension, als Junge in den Arbeitsmarkt nachrücken. Das hat weitreichende Folgen: economiesuisse legte erst kürzlich dar, dass bis 2040 mindestens 430'000 Menschen auf dem Schweizer Arbeitsmarkt fehlen werden – selbst wenn kein einziger zusätzlicher Job geschaffen würde. Die Personenfreizügigkeit mit der EU lindert das Problem des Arbeitskräftemangels massiv. Vier von fünf aus EU/Efta-Ländern in die Schweiz zugewanderte Personen sind erwerbstätig.

Demografische Lücke auf dem Arbeitsmarkt

Auch die schweizerische Altersvorsorge ist vom demografischen Wandel betroffen: Das Verhältnis der Personen über 65 Jahren und den Personen im erwerbsfähigen Alter entwickelt sich immer mehr zu Ungunsten der Erwerbsbevölkerung. 2050 wird es gemäss Prognose des Bundes noch etwa zwei erwerbstätige Personen pro Rentnerin und Rentner geben. Die Personenfreizügigkeit lindert kurz- bis mittelfristig das Finanzierungsproblembei der Altersvorsorge. Die zugewanderten Personen sind mehrheitlich zwischen 20 und 39 Jahre alt. Sie kompensieren zumindest teilweise den Wegfall der geburtenstarken Jahrgänge und leisten so einen wichtigen Beitrag zur Finanzierung unserer AHV. Sie sehen: Die Personenfreizügigkeit ist ein wichtiger Teil der Lösung.

Mit einem ausgewogenen Paketansatz zum Erfolg

Die Personenfreizügigkeit hat ihren Ursprung in den bilateralen Verträgen zwischen der Schweiz und der EU, die um die Jahrtausendwende abgeschlossen wurden. Seither hat sich der bilaterale Weg für die Schweiz in vielerlei Hinsicht als Erfolgsmodell erwiesen. Umso wichtiger ist es, sich zwei Jahrzehnte später dessen Weiterentwicklung anzunehmen. So begrüsst economiesuisse die rasche Aufnahme von Verhandlungen, den vorgestellten Paketansatz und die Suche nach vertikalen, sektorbezogenen Lösungen mit der EU. Das Verhandlungspaket der Bilateralen III umfasst unter anderem die Aktualisierung der fünf bestehenden Binnenmarktabkommen zur Personenfreizügigkeit, zum Abbau technischer Handelshemmnisse, Landverkehr, Luftverkehr sowie zur Landwirtschaft. Zudem sollen zwei neue Binnenmarktabkommen zu Strom und Lebensmittelsicherheit abgeschlossen werden. In den Bereichen Forschung, Bildung und Gesundheit sieht das Paket Kooperationen mit der EU vor.

Bilaterale III

Die Hauptziele der Schweizer Wirtschaft können mit den Bilateralen III zweifelsfrei erreicht werden. Dazu zählen insbesondere die langfristige Sicherung der Teilnahme der Schweiz am EU-Binnenmarkt, die Stärkung der Versorgungssicherheit durch den Abschluss eines Stromabkommens sowie die Teilnahme am europäischen Forschungsprogramm «Horizon Europe». Ohne ein geregeltes Verhältnis mit der wichtigsten Handelspartnerin droht hingegen eine weitere Erosion des bilateralen Wegs zum Nachteil der Schweizer Unternehmen und mit schwerwiegenden Folgen für den Wirtschaftsstandort Schweiz.

Die Bilateralen III sichern ein langjähriges Erfolgsmodell

Wie gelingt es der Schweiz und im Speziellen der Region Basel, bestmögliche Rahmenbedingungen und Entwicklungsmöglichkeiten für den Standort zu schaffen? Indem endlich eine europapolitische Lösung erzielt wird, welche die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Beziehungen mit der EU auf eine sichere Basis stellt. Es gilt nun, das Ruder in die Hand zu nehmen und mit den Verhandlungen baldmöglichst zu beginnen. Spätestens bis im Sommer 2024 müssen die Verhandlungen mit der EU abgeschlossen werden und die innenpolitische Unterstützung sichergestellt sein. Denn nur so kann das neue Paket noch mit der jetzigen EU-Kommission abgeschlossen werden, deren Mandat nach der Europawahl 2024 ausläuft. Und nur so können sich Parlament und Stimmvolk endlich mit konkreten Lösungen befassen. Das Ziel ist definiert, die Richtung stimmt. Nun muss es vorwärts gehen: mit Nachdruck, Schritt für Schritt, bis die Zukunft der Schweiz in Europa gesichert ist.

 

Die Erstpublikation dieses Beitrags erfolgte am 18. Dezember 2023 im metrobasel report 2023.