Bessere Wachstumsaussichten trotz verhaltener Weltwirtschaft

Gemäss der aktuellen Prognose für das Schweizer Wirtschaftswachstum, die economiesuisse-Chefökonom Rudolf Minsch heute präsentierte, ist der Wechselkursschock weitgehend überwunden. Die Wertschöpfung im Exportsektor steigt wieder, für konjunkturelle Unsicherheit sorgen vor allem die volatilen ausländischen Absatzmärkte. Das Wachstum der Schweizer Wirtschaft wird 2016 weniger durch den Wechselkurs, sondern zunehmend durch die relativ schwache Entwicklung der Weltwirtschaft gebremst. economiesuisse geht davon aus, dass sich die 2015 stark divergierenden Wachstumsraten der verschiedenen Branchen in den kommenden Monaten wieder etwas angleichen. Gleichzeitig steigen die Preise leicht an. Der Wirtschaftsdachverband prognostiziert ein Wachstum des Bruttoinlandprodukts (BIP) um 1,3 Prozent im laufenden Jahr und ein Plus von 1,7 Prozent für 2017.

Nachdem die Schweizerische Nationalbank (SNB) die Wechselkursuntergrenze zum Euro im Januar 2015 aufgegeben hatte und der Franken sich stark aufwertete, passten sich die Unternehmen erstaunlich rasch und entschieden an diese neuen Rahmenbedingungen an. Je nach Branche und Unternehmen wurden individuelle Lösungen vorangetrieben: Prozessoptimierungen, Überprüfung der Einkaufskanäle, vermehrte Investitionen, temporäre Erhöhung der Arbeitszeit, Einstellungsstopp – oder Abbau bis hin zu Verlagerungen von Tätigkeiten mit geringerer Wertschöpfung ins Ausland. Dank dieses entschiedenen Vorgehens der Unternehmen, unterstützt von einer leichten Abschwächung des Frankens im Laufe der folgenden Monate, traten die schlimmsten Befürchtungen nicht ein. Die Schweizer Wirtschaft schlug sich insgesamt den Umständen entsprechend erstaunlich gut. 

Bei den Finanzdienstleistungsexporten half die positive Börsenentwicklung. Insgesamt entwickelte sich die Binnenwirtschaft 2015 robust, wenn auch der Detailhandel unter der Frankenstärke und der Finanzsektor unter den Negativzinsen litten. Stabilisierend wirkten das Gesundheitswesen, die öffentliche Verwaltung und der Bildungssektor. Schwieriger präsentierte sich die Lage in der Tourismusindustrie: Da sie standortgebunden ist, konnte sie kaum auf günstigere Vorleistungen zurückgreifen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit wieder zu stärken. Etliche Anbieter werden die Verluste im Jahr 2015 nur schwer verkraften können.

Exportindustrie und Tourismus: vorsichtiger Optimismus

Mittlerweile hat sich der Franken zum Euro bei einem Wert um 1.10 eingependelt. Die Massnahmen der SNB zur Schwächung der Landeswährung haben Wirkung gezeigt und die europäische Konjunktur hat sich weiter stabilisiert. Mehrere Exportindustrien werden im Laufe dieses Jahres die Talsohle durchschreiten. Zugpferde werden zwar weiterhin die chemische und pharmazeutische Industrie und die Medizinaltechnik sein. Doch auch die von der Frankenaufwertung stark gebeutelte Metall-, Maschinen- und Elektroindustrie, die Textil- oder die Uhrenindustrie werden im Laufe des Jahres 2016 wieder Boden unter die Füsse bekommen und im nächsten Jahr positive Wachstumsbeiträge liefern. Eine ähnliche Entwicklung zeichnet sich im Tourismus ab. Im Laufe des Jahres wird auch hier die Talsohle erreicht und 2017 wächst dieser Wirtschaftszweig wieder leicht. Die Hotellerie im Alpenraum wird jedoch erst im Jahr 2018 wieder wachsen. Weiterhin schwierig gestaltet sich die Lage für die Exporte der Finanzdienstleistungen: Banken, Versicherungen und deren Kunden kämpfen mit einem Anlagenotstand und erzielen nur geringe Renditen. Die ultra-expansive Geldpolitik der Zentralbanken mit Negativzinsen und umfangreichen Anleihekäufen befeuert die Märkte nicht mehr wie in den ersten Jahren nach der Finanzkrise.

Robuste Binnenwirtschaft

Die vor allem im Binnenmarkt tätigen privaten Unternehmen und staatsnahe Organisationen profitieren von einer anhaltenden, leicht steigenden Nachfrage. Die positive Reallohnentwicklung, die kontinuierliche, wenn auch rückläufige Zuwanderung und die stabile Arbeitslosenquote stützen den privaten Konsum und den privaten Bau. Die grössten Wachstumsimpulse gehen weiterhin vom Gesundheitswesen aus. Auch Dienstleistungen für Unternehmen wie Wirtschaftsprüfung und Unternehmensberatung sind sehr gefragt. Nachdem die Euroschwäche vor allem dem Detailhandel stark zusetzte, stabilisiert sich die Lage im Laufe des Jahres auch hier, und 2017 wird ein leichtes Wachstum erwartet. Der Versandhandel kann hingegen deutlich zulegen. Während die Wertschöpfung der Telekommunikation stagniert, profitieren Informatikdienstleistungen weiterhin von einer starken Nachfrage. 

Allmählich zeigen sich negative konjunkturelle Auswirkungen der Negativzinsen: Die Banken haben Schwierigkeiten, im klassischen Zinsdifferenzgeschäft Renditen zu erzielen, es entstehen Verzerrungen zwischen Hypothekarschuldnern und Sparern, Rentensparer sind verunsichert. Nachdem die Bautätigkeit im Jahr 2015 deutlich rückläufig war, tendiert sie nun seitwärts. Das hohe Niveau des privaten Wohnungsbaus kann aufgrund der tiefen Zinsen und dem anhaltenden Bevölkerungswachstum gehalten werden. Leicht zunehmen werden der öffentliche und private Tiefbau. Weiterhin eine schwierige Zeit erleben hingegen die Druckindustrie und die Elektrizitätswirtschaft. 

Konjunkturaussichten 2016 und 2017

«Die Schere zwischen Branchen mit starkem Wachstum und solchen mit starken Einbussen schliesst sich im Laufe des Jahres 2016 deutlich», prognostiziert Rudolf Minsch. So wachsen etwa die chemisch-pharmazeutische Industrie, die Medizinaltechnik oder die Versicherungen im Vergleich zu 2015 weniger stark, die rückläufige Wertschöpfung bei der MEM- und Textilindustrie oder im Tourismus dürfte sich nicht fortsetzen. Eine noch bessere Entwicklung wird zwar durch die gedämpfte Entwicklung der Weltwirtschaft verhindert. Trotzdem sorgt die solide Entwicklung aber für mehr Stabilität. Entsprechend ist davon auszugehen, dass sich im Lauf des Jahres auch die Konsumentenstimmung verbessern wird. Nach einem relativ schwachen Start ins Jahr 2016 wird die Wirtschaft den Tritt finden. Insgesamt geht economiesuisse von einem Wachstum von 1,3 Prozent für 2016 aus, das im Jahr 2017 auf 1,7 Prozent gesteigert werden kann. Das Wachstum in der Schweiz nähert sich damit wieder demjenigen Deutschlands an. Diese verbesserten Aussichten haben den positiven Begleiteffekt, dass die Arbeitslosenquote im Jahresdurchschnitt nur noch schwach auf 3,5 Prozent ansteigt und im Jahr 2017 wieder langsam auf 3,4 Prozent sinkt. 

Vorbei ist die Phase der starken Preisrückgänge. Dazu tragen erstens vor allem das Auslaufen des Wechselkurseffektes und zweitens die steigenden Erdölpreise bei. Im Vergleich zur gleichen Vorjahresperiode werden die Importpreise 2016 wieder ansteigen. Ähnliches gilt für die Energiepreise. Entsprechend kehrt die Inflationsrate im Vergleich zum Vorjahr im Laufe des Sommers in den positiven Bereich zurück. Insgesamt wird die durchschnittliche Jahresteuerung 2016 mit minus 0,4 Prozent noch leicht negativ sein, 2017 dann aber mit 0,3 Prozent positiv ausfallen. 

Konjunkturelle Risiken

Die offene Schweizer Volkswirtschaft wird in den nächsten zwei Jahren vor allem durch die Entwicklung der Weltwirtschaft herausgefordert. Erstens steht das Weltwirtschaftswachstum als Ganzes auf wackligen Beinen. Weitere Rückschläge sind möglich, insbesondere was die Entwicklung in Asien betrifft. Das chinesische Wachstum verläuft zwar weiterhin positiv, doch trüben Faktoren wie die hohe Verschuldung der Unternehmen und die Unklarheit über weitere Reformschritte die Wachstumsaussichten. Zweitens ist Europa nach wie vor nicht auf einem stabilen Wachstumspfad. Immerhin hat sich die Kreditversorgung in der EU etwas verbessert. Doch mangelnde strukturelle Reformen verzögern den Aufschwung. 

Das unmittelbarste Konjunkturrisiko betrifft den möglichen Brexit. Bei einem Ja der Briten zum Austritt aus der EU sind konjunkturelle Verwerfungen nicht auszuschliessen. Turbulenzen in Europa könnten auch den Franken wieder in den Fokus der Anleger bringen. Langfristig allerdings sind erhebliche Konjunkturrisiken in der Schweizer Binnenwirtschaft auszumachen, wenn Zinssteigerungen die hiesigen, mittlerweile sehr hohen Immobilienpreise abwürgen, Verzerrungen an den Börsen korrigiert werden und Unternehmen und Private wieder höhere Fremdkapitalkosten finanzieren müssen.

 

Prognosen Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung                                                                      

Veränderung gegenüber Vorjahr (%)          

 

 

 

 

 

2013

2014

2015

2016P

2017P

Bruttoinlandprodukt, real

1.8

1.9

0.9

1.3

1.7

Privater Konsum

2.2

1.3

1.1

1.2

1.3

Öffentlicher Konsum

1.3

1.3

1.7

0.9

1.1

Bauinvestitionen

3.1

3.3

-1.2

0.2

0.3

Ausrüstungsinvestitionen

0.0

1.3

3.2

1.0

2.0

 

 

 

 

 

 

 

Exporte (Total)1

0.0

4.2

3.3

3.0

3.6

Importe (Total)1

1.3

2.8

1.8

2.7

3.2

 

 

 

 

 

 

 

1 Ohne nicht monetäres Gold und Wertsachen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Prognosen Preise und Arbeitsmarkt

 

 

 

 

Inflationsrate

 

-0.2

0.0

-1.1

-0.4

0.3

Arbeitslosenquote

3.2

3.2

3.3

3.5

3.4

Exogene Annahmen*

 

 

 

 

 

2016

2017

 

Wechselkurs CHF/Euro

1.10

1.10

 

Wechselkurs CHF/$

1.00

1.05

 

Ölpreis in $

 

50

50

 

Wachstumsrate U.S.

2.3

2.4

 

Wachstumsrate Eurozone

1.9

1.8

 

Wachstumsrate China

6.2

6.1

 

Kurzfristige Zinsen

-0.8

-0.8

 

Rendite Bundesobligationen

-0.3

-0.3

 

 

 

 

 

 

* Inputgrössen für die Schätzung der Konjunkturprognosen