# 10 / 2021
14.09.2021

Kartellgesetzrevision: Grosser Handlungsbedarf aus Sicht der Wirtschaft

Der Weg zu einem modernen Kartellrecht

Das Kartellgesetz im Wandel

Das erste Schweizer Kartellgesetz (KG) wurde im Jahr 1962 auf Basis des verfassungsrechtlichen Ziels erlassen, sozial oder volkswirtschaftlich schädliche Auswirkungen von Kartellen zu bekämpfen. Das Vorgehen der damals zuständigen Kartellkommission richtete sich in der Praxis nach der sogenannten «Saldomethode», wonach eine Wettbewerbsbehinderung nur dann als schädlich eingestuft wurde, wenn eine Abwägung aller Vor- und Nachteile, einschliesslich nicht ökonomischer Aspekte, einen negativen Saldo ergab. Hierdurch war der Stellenwert des Wettbewerbs in der Praxis stark relativiert.

Im Jahr 1995 erfuhr das Wettbewerbsrecht eine grundlegende Neuorientierung. Die «Saldomethode» wurde abgeschafft. Ziel des neuen Gesetzes war – und ist es noch heute – der Schutz des wirksamen Wettbewerbs. Als institutionelle Neuerung wurde die Verfügungskompetenz und damit die Rechtsdurchsetzung vom Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement (EVD; heute WFB) auf die Wettbewerbskommission (WEKO) übertragen. 2003 wurden insbesondere die Durchsetzungsinstrumente der WEKO und deren Sekretariat gestärkt: Durch die Einführung der direkten Sanktionen können seither gravierende Wettbewerbsbeschränkungen bereits bei deren Feststellung und nicht erst im Wiederholungsfall geahndet werden.

Gescheiterte Revision 2014

Der Bundesrat verabschiedete im Februar 2012 die Botschaft zur Revision des Kartellgesetzes. Diese enthielt folgende sechs Revisionselemente:

  • die Stärkung des Kartellzivilrechts;
  • die Einführung von strafmildernden Compliance-Programmen;
  • die Verbesserung des Widerspruchsverfahrens;
  • die Einführung des SIEC-Tests;
  • die Institutionenreform sowie auch
  • das Teilkartellverbot (= Verbot harter Kartelle).

Es waren insbesondere die Institutionenreform wie auch das Teilkartellverbot, welche das Revisionsvorhaben in der Politik schliesslich scheitern liessen. Nachdem der Nationalrat zum zweiten Mal nicht auf die Vorlage eintrat, wurde der Revisionsprozess am 17. September 2014 beendet. Zu Fall gebracht wurde sie von einer parteienübergreifenden Allianz aus SVP, BDP, Grünen und gewerkschaftsnahen Linken. Die Argumente waren teils sehr grundlegend. So wurde bemängelt, es wäre zu früh für eine Revision. Weitere Kritikpunkte betrafen unter anderem eine Veränderung der personellen Zusammensetzung der WEKO.

Anstehendes Revisionsvorhaben

Im Jahr 2020 startete der Bundesrat einen neuen Versuch, das Kartellgesetz in Teilen zu revidieren. Das WBF wurde im Februar 2020 mit der Ausarbeitung einer Vernehmlassungsvorlage beauftragt.

Revision aus Sicht des Bundesrats

Nach der im Parlament gescheiterten KG-Revision im Jahr 2014 scheint der Bund die nunmehr geplante Revision kleiner halten zu wollen und möchte sich auf einige wenig umstrittene Punkte fokussieren. Gemäss dem Bundesrat sind dies die folgenden:

  • Modernisierung der Fusionskontrolle
    Der heutige qualifizierte Marktbeherrschungstest soll durch den SIEC-Test (Significant Impediment to Effective Competition-Test) abgelöst werden. Damit würde der Prüfstandard der WEKO den internationalen Erfahrungen angepasst. Mit der Einführung des SIEC-Tests würde die Eingriffshürde herabgesetzt, indem Fusionen bereits untersagt oder mit Auflagen versehen werden können, wenn sie zu einer erheblichen Behinderung des Wettbewerbs führen.
  • Umsetzung Motion Fournier (16.4094)
    Am 5. März 2018 überwies das Parlament Teile der Motion Fournier zur Umsetzung an den Bundesrat. Der Vorstoss soll nun im Rahmen der laufenden KG-Revision realisiert werden. Demnach sind die Gerichtsverfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen, indem neue Ordnungsfristen in die Gesetzgebung aufgenommen werden. Darüber hinaus sollen die Parteien eine Entschädigung für ihre Aufwendungen erhalten (neu auch für die Verfahren vor der WEKO).
  • Verbesserung des Widerspruchsverfahrens
    Die bisher öffentlich verfügbaren Unterlagen zur aktuellen Revision liefern keine Informationen zur inhaltlichen Neugestaltung des Widerspruchsverfahrens. Anlässlich der Revision 2014 wurde eine Senkung der Widerspruchsfrist von fünf auf zwei Monate sowie eine Sanktionierung der Unternehmen erst ab Eröffnung einer Untersuchung und nicht bereits ab Eröffnung einer Vorabklärung diskutiert.
  • Stärkung des kartellrechtlichen Zivilverfahrens
    Basierend auf den Revisionsbestrebungen aus dem Jahr 2014 ist schliesslich mit einer Ausdehnung der zivilrechtlichen Klagemöglichkeiten (insbesondere für Konsumierende) sowie der Berücksichtigung der Zivilentschädigung bei der Sanktionsbemessung zu rechnen.

Aus Sicht der Wirtschaft

Um die Bedürfnisse der Wirtschaft abzuklären, hat economiesuisse im Herbst 2020 eine Arbeitsgruppe zur Kartellgesetzrevision konstituiert. Die bisherigen Diskussionen der breit aufgestellten Arbeitsgruppe und die weiteren Beratungen haben gezeigt, dass sich die Wirtschaft eine weitergehende Revision wünscht. Die vom Bundesrat vorgebrachten Revisionspunkte werden den Anforderungen der Wirtschaft an ein modernes Wettbewerbsrecht nicht gerecht. Ausdrücklich begrüsst werden nur die wohl beabsichtigte Berücksichtigung zivilrechtlicher Entschädigungsleistungen bei der Sanktionsbemessung sowie die Verbesserung des Widerspruchsverfahrens. Bei allen anderen Revisionspunkten des Bundesrats besteht kein akuter Handlungsbedarf. Es gilt, die Vernehmlassung und somit die konkreten Regelungsinhalte abzuwarten, bevor die einzelnen Punkte konkret besprochen werden können. Grundsätzlich kann aber schon heute festgestellt werden, dass die geplante Revision wenig relevante Punkte ansprechen will, während sie diejenigen Themen ausklammert, die dringend angegangen werden sollten.

Im Rahmen der anstehenden Revision sollten insbesondere die nachstehend aufgeführten Punkte umgesetzt werden, um die aus wirtschaftlicher Sicht bestehenden Defizite im Kartellrecht zu beseitigen.