Die widerspenstige Zähmung einer Wunderbestie
Technologische Entwicklungen und Trends prägen unsere Alltagssprache. So wissen heute die meisten von Ihnen was es heisst, ein «Selfie» zu machen. Kennen Sie aber auch schon den Ausdruck «Blocksplaining»? Dieser neue Begriff beschreibt das Verhalten all dieser Leute, die Ihnen unaufgefordert zu erklären versuchen, warum Blockchain die Lösung für jedes nur erdenkliche Problem unserer Welt ist.
Vielleicht sind auch Sie diesem Typus schon begegnet. Umweltverschmutzung und Klimawandel? Die Blockchain wird es richten. Manipulierte Wahlen und fehlende Selbstbestimmung? Auch hier wird die Blockchain gemäss den Weissagungen dieser Auguren Lösungen bieten. Eine eigene Gattung der Blocksplainer sind schliesslich diejenigen, welche die Blockchain als einen derartigen grundlegenden Wandel anschauen, dass sie verlangen, dass unser Rechtssystem komplett umgebaut und fit für die Blockchain gemacht werden muss.
Es ist durchaus wahrscheinlich, dass durch Blockchain – dieser dezentralen Datenstruktur, welche Unveränderbarkeit und Nachvollziehbarkeit garantieren soll – neue Anwendungen ermöglicht werden. Ebenfalls, dass dadurch der Einzelne beispielsweise die Hoheit über seine Daten sichert oder Lieferketten von der Quelle bis zum Endverbraucher transparent werden. Auch ist möglich, dass Mittelsmänner wegfallen und dies die Geschäftsmodelle der Zukunft prägen wird. Vieles von dem, was einmal möglich sein soll, ist heute aber noch Teil einer Vision. Wir wissen nicht, ob sich diese auch verwirklichen wird. Wir wissen noch nicht einmal, ob schon das endgültige Design der Blockchain-Technologie gefunden ist.
Aufschlussreich ist es, wenn im Dickicht der Verklärung der Blockchain als sagenhafte Wunderbestie abgeklärte Analysen erscheinen, die helfen, den Durchblick zu behalten. Positiv aufgefallen ist mir hier das eben erschienene Buch von Lewrick und Di Giorgio, «Live aus dem Krypto-Valley». Denn inmitten all der Buzz-Words wie ICO, Ledger und Token ist Blockchain letztendlich nichts anderes als eine neue Technologie, vergleichbar mit dem Internet. Und es ist nicht auszuschliessen, dass diese Technologie in unser Leben einziehen wird – in einzelnen Bereichen schneller, in anderen langsamer und in gewissen Bereichen gar nie. Es werden dabei Lösungen für zahlreiche bestehende Probleme, gleichzeitig aber auch neue Herausforderungen entstehen.
Auch in der digitalen Zukunft steht der Mensch im Zentrum und viele Fragen werden sich daher auch auf Basis der bewährten Gesetze der Vergangenheit regeln lassen.
Wenn es daher gilt, die Weichen zu stellen für die Regulierung der Zukunft, so müssen wir dabei zwei Ebenen im Auge behalten. Erstens gilt es zu berücksichtigen, dass unsere besten Gesetze nie für eine Technologie, sondern für uns Menschen geschrieben wurden. Auch in der digitalen Zukunft steht der Mensch im Zentrum und viele Fragen werden sich daher auch auf Basis der bewährten Gesetze der Vergangenheit regeln lassen. Das heisst, dass kein Anlass für einen Totalumbau unseres Systems besteht. Auf der anderen Ebene gilt es aber, wenn wir merken, dass es aufgrund einer überholten Vorschrift klemmt, diese so schnell wie möglich zu beheben. So machen beispielsweise zahlreiche Schriftformerfordernisse im digitalen Zeitalter keinen Sinn mehr.
Wie bei allen technologischen Entwicklungen gilt es zu analysieren, was denn im Zentrum der Diskussion steht. Erst dann dürfen Schlussfolgerungen gezogen werden und – falls nötig – kann daraus regulatorischer Handlungsbedarf hergeleitet werden. Dabei gilt es der Versuchung zu widerstehen, sich von der Vision der alles infrage stellenden Wunderbestie leiten zu lassen. Anpassungen im Gesetz sehen daher am Ende oft unspektakulär aus, sind aber – wenn man zum Schluss gekommen ist, dass sie notwendig sind – umso wichtiger.