Richterhammer

Sammelklagen: Warum der Fall Ricola in den USA uns alle angeht

Die Produzentin von Ricola, des bekannten Schweizer Kräuterbonbons, wurde in den USA von findigen Anwälten auf einen mehrstelligen Millionenbetrag verklagt. Die Verpackung der Kräuterbonbons sei irreführend, es müsse prominenter stehen, dass der therapeutische Wirkstoff der Zeltli nicht die Schweizer Alpenkräuter sind, sondern Menthol. Nach dem Willen des Bundesrats sollen ähnliche Klagen auch schon bald in der Schweiz möglich sein und er schlägt dem Parlament eine Vorlage mit neuen Verbandsklagen und Gruppenvergleichen vor. Aktuell berät gerade die Rechtskommission des Nationalrats über diese Neuerungen.

Der einfache und kostenverträgliche Zugang zum Recht muss für alle Bürgerinnen und Bürger stets gewährleistet sein. Die schweizerische Wirtschaft begrüsst daher die aktuell im Parlament beratene Revision der Zivilprozessordnung ausdrücklich. Diese will die Kosten für Kläger reduzieren sowie mittels bewährter und mit unserem Rechtssystem kompatiblen Instrumenten den Zugang zum Gericht fördern.

Für den Zugang zum Recht sind Sammelklagen aber nicht erforderlich. Alleine ihre Existenz verändert das Rechtssystem, das Missbrauchspotenzial ist enorm. Durch Sammelklagen lassen sich faktisch beliebige Ansprüche zusammenfassen und dadurch riesige Klagen konstruieren. Klagen, angesichts deren Grösse und Gefährlichkeit die meisten Unternehmen schon im Vorfeld die Waffen strecken und hohe Vergleichssummen zahlen. Es ist denn auch dieses Erpressungspotenzial, welches zu Auswüchsen führt, lockt es doch auch Kläger auf den Plan, die ausschliesslich Klagen organisieren, um Geld zu verdienen.

Die Wirtschaft lehnt daher geschlossen die Einführung von Sammelklagen in unser Rechtssystem ab. (Keine Kommerzialisierung des Rechts; Sammelklagen in der Schweiz? Ein gut zu überlegender Paradigmenwechsel.).

Ersparen wir uns allen die Auswüchse aus den USA

Sollte die Vorlage des Bundesrats im Parlament Gehör finden, könnte sich das Beispiel Ricola ohne Weiteres in der Schweiz wiederholen. Eine – auch ausländische – Organisation könnte in der Schweiz eine Klage im Namen von betroffenen Konsumenten vorbereiten. Begleitet von Medienrummel und unterstützt durch das horrende Drohpotenzial der hohen Klagesumme würde das eingeklagte Unternehmen gar keine Alternative sehen, als sich aus der Klage auszukaufen. Dies zur Freude der klägerischen Organisation und ohne dass Konsumentinnen und Konsumenten substanzielle Beträge zu sehen kriegten.

Kein ersichtlicher Handlungsbedarf für Experimente mit unserem Rechtssystem

Das Schweizer Rechtswesen gilt international als beispielhaft (4. Rang der Schweiz im Worldbank-Rating «efficency of legal framework in settling disputes» von 2019). Es ist gerade auch im Lichte der aktuellen Revision der Zivilprozessordnung daher kein weiterer Handlungsbedarf ersichtlich, der es rechtfertigen würde, die missbrauchsanfälligen Sammelklagen in unser Rechtssystem einzuführen und damit einen rechtlichen Paradigmenwechsel zu bewirken. Für den Rechtsfrieden gibt es darüber hinaus auch andere Mittel. So kennt unser Land beispielsweise ein sehr gut ausgebautes Ombudssystem, womit sich Streitigkeiten professionell und kostengünstig regeln lassen. Solche Alternativen wurden gerade vor dem grossen Missbrauchspotenzial von Sammelklagen bislang noch viel zu wenig geprüft.

Auch Kantone und der Bund müssten sich auf aufwendige und unangenehme Klagen vorbereiten

Durch die Einführung von Sammelklagen ins schweizerische Rechtssystem würden nicht nur Unternehmen ins Visier von findigen Klägeranwälten geraten, sondern auch das Gemeinwesen. Sie alle sähen sich – wie gerade auch der aktuelle Fall gegen die Herstellerin der schweizerischen Kultmarke Ricola zeigt – enormen neuen Haftungsrisiken gegenüber. Diese Risiken werden momentan noch massiv unterschätzt oder gar nicht wahrgenommen. Die Rechtskommission des Nationalrats (sie berät die Vorlage wieder am 23. Juni 2022) hat es jetzt in der Hand, unserem Land solche Auswüchse zu ersparen und nicht auf die Vorlage einzutreten.