Nachhaltigkeit als Leitstern des modernen Unternehmertums
Das Thema der Nachhaltigkeit gewinnt immer stärker an Bedeutung – gerade auch in der Wirtschaft. Sowohl für Experten wie auch für Laien stellen sich dazu zahlreiche rechtliche Fragen. Im nachfolgenden Q&A geben unabhängige Fachexperten die passenden Antworten.
Das Prinzip der Nachhaltigkeit stammt ursprünglich aus der Forstwirtschaft: Es sollte im Wald nur soviel Holz geschlagen werden, wie permanent nachwächst. Dieser vernünftige und sinnvolle Gedanke wurde in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf den Gebrauch mit sämtlichen endlichen Ressourcen ausgeweitet. Vor diesem Hintergrund versteht man auch die englische Bezeichnung «sustainable» (von sustain im Sinne von aushalten oder ertragen) oder den französischen Begriff für «Sustainable Finance» («La finance durable») besser. Der Fokus liegt auf einer auf lange Zeit ausgerichteten Ressourcennutzung.
Unsere schweizerische Bundesverfassung äussert sich in Art. 73 ebenfalls dazu: Bund und Kantone streben ein auf Dauer ausgewogenes Verhältnis zwischen der Natur und ihrer Erneuerungsfähigkeit einerseits und ihrer Beanspruchung durch den Menschen anderseits an.
Die Wirtschaft setzt sich seit vielen Jahren für nachhaltige Lösungen auf allen Ebenen der Nachhaltigkeit ein, das heisst der sozialen, der ökologischen und insbesondere auch wirtschaftlichen Ebene. Dabei stellen sich regelmässig herausfordernde Abgrenzungsfragen. economiesuisse legt Wert auf eine sorgfältige Abwägung der Interessen und auf vernünftige und nachhaltige Lösungen. So betont der breit angewandte Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance von economiesuisse bereits seit 2013 die Wichtigkeit des Konzepts von nachhaltigem Unternehmenserfolg als Leitstern einer sinnvollen «Corporate Social Responsibility».
Partner bei der Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen
2015 legte economiesuisse dar, wie die Wirtschaft gesellschaftliche Verantwortung versteht, lebt und welchen grossen Beitrag sie zur nachhaltigen Entwicklung der Gesellschaft leistet. In der damals erschienenen Publikation wurde gezeigt, wie komplex die Herausforderungen sind, die sich in diesem Bereich stellen und was die Möglichkeiten, aber auch Grenzen der unternehmerischen Verantwortung sind. Dank dem Nein an der Urne zur Unternehmensverantwortungsinitiative im letzten Jahr ist es nun möglich, international abgestimmt die dynamischen Entwicklungen eng in Zusammenarbeit aller Stakeholder fortzuführen, um nachhaltige Erfolge zu erzielen. Kernanliegen der Unternehmen ist, dass sie als Partner zur Lösung der gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit wahrgenommen werden.
economiesuisse will aufzeigen, dass Unternehmen soziale und ökologische Verantwortung auch aus Eigeninteresse wahrnehmen. Wirtschaftlicher Erfolg kann in dieser komplexen Welt langfristig nur in einer leistungsfähigen und stabilen Gesellschaft erreicht werden, in der alle Stakeholder am gleichen Strick ziehen und zusammenarbeiten. Der Dachverband der Schweizer Wirtschaft vertritt sowohl die Interessen der Real- wie auch der Finanzwirtschaft. economiesuisse ist es daher ein grosses Anliegen, die Zusammenarbeit aller Stakeholder ins Zentrum zu stellen, um gemeinsam nachhaltige Erfolge zu erzielen. Unsere Unternehmen wollen als Partner zur Lösung der gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit wahrgenommen und gemessen werden. Jedes Unternehmen wird im ureigenen Interesse seine eigenen Risikoüberlegungen anstellen und mit seinem unstrittig wertvollsten Gut, seiner Reputation, behutsam umgehen.
Welche Pflichten für Unternehmen werden neu eingeführt? Beschreitet die Schweiz einen Sonderweg? Wieso investiert man heute nachhaltig? Welche Rolle spielt der indirekte Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative? – Nachfolgend geben die beiden ESG-Berater Dr. Martin Eckert und Dr. Tamara Teves Antworten auf die drängendsten Fragen in diesem zukunftsträchtigen Themenfeld.
Q & A ESG – neue Regulatorien für die Real- und Finanzwirtschaft
ESG bedeutet Environmental Social Governance. Das Thema ESG steht in engem Zusammenhang mit CSR (Corporate Social Responsibility).
Die Eidgenössische Volksinitiative «Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt», kurz Unternehmens-Verantwortungs-Initiative (UVI) oder Konzernverantwortungsinitiative (KVI) genannt, wurde abgelehnt. Damit kommt der indirekte Gegenvorschlag der Bundesversammlung zum Zug. Publiziert der Bundesrat den Beschluss der Bundesversammlung «Obligationenrecht – Indirekter Gegenvorschlag zur Volksinitiative» («Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt») im Bundesblatt, beginnt die 100-tägige Frist für das fakultative Referendum zu laufen. Ist diese Frist abgelaufen, erlässt der Bundesrat Ausführungsvorschriften und bestimmt das Inkrafttreten (Änderungen des Obligationenrechts und des Strafgesetzbuches).
Die Gesetzesänderung sieht im Obligationenrecht neue Berichts- und Sorgfaltspflichten für bestimmte Unternehmen vor, die der Verwaltungsrat umsetzen muss. Die Berichte müssen vom Verwaltungsrat genehmigt und unterzeichnet werden. Neu wird im Strafgesetzbuch als Offizialdelikt die Verletzung der Berichtspflichten vorgesehen. Wer falsche Angaben macht oder die Berichterstattung unterlässt und wer den gesetzlichen Aufbewahrungs- und Dokumentationspflichten nicht nachkommt, wird gebüsst (Offizialdelikt). Der Verwaltungsrat, der nichts unternimmt, riskiert bestraft zu werden. Es besteht Handlungsbedarf. Als Sofortmassnahme sollte eine Risikobeurteilung vorgenommen werden.
Es geht zusammengefasst um Berichterstattungs- und Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit drei Themen: ESG (sog. Bericht über nichtfinanzielle Belange, dazu gehören Umweltbelange, Sozialbelange, Arbeitnehmerbelange, Achtung der Menschenrechte und Bekämpfung der Korruption), Konfliktmineralien (Zinn, Tantal, Wolfram oder Gold enthaltende Mineralien oder Metalle aus Konflikt- und Hochrisikogebieten) und Kinderarbeit.
Ja und nein.
Nur grosse Unternehmen müssen einen Bericht über nichtfinanzielle Belange erstatten. Die Regelung, welche Unternehmen unter die ESG-Berichterstattungspflicht fallen (Art. 964bis OR), ist komplex und bedarf sorgfältiger Abklärung. Grundsätzlich kann gesagt werden, dass die Transparenzpflicht grosse Unternehmen trifft (Publikumsgesellschaften und gewisse der FINMA unterstellte Unternehmen; in zwei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren mindestens 500 Vollzeitstellen und Bilanzsumme grösser als 20 Millionen Franken oder Umsatzerlös von mehr als 40 Millionen Franken). Vorgesehen sind Pflichtbefreiungen für schweizerische Tochterunternehmen, die von einer schweizerischen Mutter kontrolliert werden, die ihrerseits einen Bericht über nichtfinanzielle Belange erstatten. Befreit sind auch schweizerische Konzerntöchter, deren ausländische Muttergesellschaft einen gleichwertigen Bericht nach ausländischem Recht erstellen muss.
Auch KMU, die Zinn, Tantal, Wolfram oder Gold enthaltende Mineralien oder Metalle aus Konflikt- und Hochrisikogebieten in den freien Verkehr der Schweiz überführen oder in der Schweiz bearbeiten, müssen sich mit der Frage auseinandersetzen, ob sie unter die diesbezüglichen Berichterstattungspflicht und die Sorgfaltspflichten fallen. Der Bundesrat wird die jährlichen Einfuhrmengen von Mineralien und Metallen festlegen, bis zu denen ein Unternehmen von der Sorgfalts- und Berichterstattungspflicht befreit ist. Der Bundesrat wird zudem festlegen, unter welchen Voraussetzungen die Unternehmen von den Sorgfalts- und Berichterstattungspflichten ausgenommen sind, die sich an ein international anerkanntes gleichwertiges Regelwerk, wie insbesondere die Leitsätze der OECD für multinationale Unternehmen, halten.
Ähnlich ist die Regelung zur Kinderarbeit. Unternehmen, deren Sitz, Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung sich in der Schweiz befindet, müssen in der Lieferkette Sorgfaltspflichten einhalten und darüber Bericht erstatten, wenn sie Produkte oder Dienstleistungen anbieten, bei denen ein begründeter Verdacht besteht, dass sie unter Einsatz von Kinderarbeit hergestellt oder erbracht wurden. Der Bundesrat wird festlegen, unter welchen Voraussetzungen kleine und mittlere Unternehmen sowie Unternehmen mit geringen Risiken im Bereich Kinderarbeit nicht prüfen müssen, ob ein begründeter Verdacht auf Kinderarbeit besteht. Er wird auch festlegen, unter welchen Voraussetzungen die Unternehmen von den Sorgfalts- und Berichterstattungspflichten ausgenommen sind, die sich an ein international anerkanntes gleichwertiges Regelwerk, wie insbesondere die Leitsätze der OECD, halten.
Nein. Im Gegensatz zur Konzernverantwortungsinitiative stützt sich der indirekte Gegenvorschlag konzeptionell auf EU-Recht (Non-Financial Reporting Directive; Supply Chain Obligations for EU Importers).
Die Schweizerische Bundesverfassung definiert Nachhaltigkeit in Art. 73 wie folgt: «Ein auf Dauer ausgewogenes Verhältnis zwischen der Natur und ihrer Erneuerungsfähigkeit einerseits und ihrer Beanspruchung durch den Menschen anderseits.»
Grundsätzlich schon. Je spezifischer eine Definition sein soll, desto politischer wird sie.
Beim nachhaltigen Investieren geht es um die Integration von Nachhaltigkeitskriterien in Investitionsentscheidungen.
Das kann verschiedene Gründe haben: Während früher ideelle Ziele im Vordergrund standen («ich will mit meinen Investments den Klimawandel mindestens nicht fördern»), sind heute Chancen (Markt drängt in ESG-Anlagen; gute Performance) und Risiken die Beweggründe. Der Klimawandel bewirkt zunächst physische Risiken, wenn beispielsweise klimabedingte Naturkatastrophen und deren Folgekosten zunehmen. Schadensummen von Versicherern könnten entsprechend ansteigen. Finanzinstitute können auch durch eingreifende Massnahmen der Klimapolitik tangiert werden. Änderungen bei politischen Vorgaben können rasche Preisanpassungen von Vermögenswerten auslösen oder die Kreditwürdigkeit von Unternehmen schwächen. Gleichzeitig bietet der Prozess der Transition zu einer nachhaltigeren Wirtschaft auch verschiedene Chancen für die Finanzwirtschaft.
Ganz klar eine Chance, soweit keine Überbürokratisierung eingeführt wird.
Was sind die neusten, regulatorischen Entwicklungen betreffend Sustainable Investing in der Schweiz?
Bundesrat: Der Bundesrat spielt eine aktive Rolle. Er hat an seiner Sitzung vom 11. Dezember 2020 konkrete Massnahmen für einen nachhaltigen Finanzstandort Schweiz beschlossen. Dabei sollen die Transparenz verbessert, die Risikoanalyse gestärkt und das internationale Engagement der Schweiz ausgeweitet werden. Ziel ist es, die Position der Schweiz als ein führender Standort für nachhaltige Finanzdienstleistungen weiter auszubauen. Folgende Bereiche sind im Vordergrund:
TCFD-Reporting: Die Behörden sollen eine verbindliche Umsetzung der Empfehlungen der Task Force on Climate-related Financial Disclosures (TCFD) für Schweizer Unternehmen der Gesamtwirtschaft erarbeiten. Diese sollen aufzeigen, wie sie mit Klimarisiken in den Bereichen Governance, Strategie und Risikomanagement umgehen und welche Kennzahlen und Ziele sie benutzen. Der Bundesrat empfiehlt den Unternehmen zudem, die TCFD-Empfehlungen bereits jetzt anzuwenden.
Greenwashing: Bis im Herbst 2021 soll das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF), in enger Zusammenarbeit zum Beispiel mit dem BAFU, bei Bedarf dem Bundesrat Anpassungen im Finanzmarktrecht vorschlagen, welche das sogenannte Greenwashing, also das Vortäuschen nachhaltiger Geschäftstätigkeit im Umweltbereich, verhindern. Dabei ist die internationale Entwicklung, insbesondere in der EU, zu berücksichtigen, damit Schweizer Finanzprodukte exportfähig bleiben.
Treue- und Sorgfaltspflichten in der Vermögensverwaltung: Der Bundesrat empfiehlt den Finanzmarktakteuren, Methoden und Strategien zu veröffentlichen, wie sie – entsprechend den bestehenden rechtlichen Treue- und Sorgfaltspflichten – Klima- und Umweltrisiken bei der Verwaltung von Vermögen ihrer Kundschaft berücksichtigen. Das SIF informiert den Bundesrat bis Ende 2022, ob und wie diese Empfehlung befolgt wird. Mit anderen Worten: Offen ist die Frage, ob es bei der Selbstregulierung bleibt.
Parlament: Auch im Schweizer Parlament finden seit geraumer Zeit rege Diskussionen zum Thema Finanzmärkte und Klima und/oder Nachhaltigkeit statt (bspw. Link).
Nachhaltigkeitsbericht der Börse: Die SIX bietet SIX-Emittenten die Möglichkeit, mittels eines Opting-ins einen Nachhaltigkeitsbericht zu erstellen.
Aktiv ist auch die FINMA (Dossier Green Finance): Die FINMA verlangt von ihr unterstellten Instituten, dass sie Klimarisiken berücksichtigen (vgl. Risk Monitor-Publikationen 2019 und 2020).
Druck von der EU: Indirekt erzeugt die EU regulatorischen Druck mit ihrem Action Plan for Financing Sustainable Growth mit einem ganzen Bündel an Regulierungsthemen (Offenlegungs- und Reportingpflichten, Taxonomie, Green Bond Standard, «green MIFID»).
Mit Präsident Biden kommt dem Thema Klimaschutz in den USA wieder Priorität zu. So hat er kurz nach seinem Amtseintritt bereits einige Durchführungsverordnungen zur Bekämpfung des Klimawandels unterzeichnet, zudem ist die USA dem Pariser Klimaabkommen wieder beigetreten.