Die Schweiz braucht jetzt of­fe­ne Märk­te und keine ex­tre­men Ex­pe­ri­men­te

Der Welt­han­del wird die­ses Jahr zwi­schen 13 und über 32 Pro­zent ein­bre­chen. Damit un­se­re Ex­port­na­ti­on von einer Wie­der­be­le­bung der Ab­satz­märk­te in Eu­ro­pa und auf der gan­zen Welt auch pro­fi­tie­ren kann, muss der bi­la­te­ra­le Weg fort­ge­setzt wer­den.

Ein ein­zi­ger Satz reicht aus, um mir die Trag­wei­te der Aus­wir­kun­gen der Co­ro­na-Pan­de­mie noch­mals vor Augen zu füh­ren: «Der Welt­han­del wird die­ses Jahr je nach Sze­na­rio zwi­schen 13 und über 32 Pro­zent ein­bre­chen». Diese Aus­sa­ge stammt von Ro­ber­to Azevêdo, die er an­läss­lich einer Vi­deo­kon­fe­renz ge­macht hat. Azevêdo ist Ge­ne­ral­di­rek­tor der Welt­han­dels­or­ga­ni­sa­ti­on (WTO) mit Sitz in Genf. Kurz zu­sam­men­ge­fasst be­deu­tet das nichts an­de­res, als dass die Co­ro­na-Pan­de­mie den schlimms­ten Ein­bruch des glo­ba­len Han­dels seit der Welt­wirt­schafts­de­pres­si­on vor 90 Jah­ren ver­ur­sacht. 

Die Schweiz ist und bleibt eine Ex­port­na­ti­on. Zwei von fünf Fran­ken ver­die­nen wir im Aus­land.

Das wirkt sich na­tür­lich auch auf das un­mit­tel­ba­re Han­dels­um­feld der Schweiz aus. Die Wirt­schaft der Eu­ro­päi­schen Union (EU) wird ge­mäss Pro­gno­sen über sie­ben Pro­zent ein­bre­chen, die In­ves­ti­tio­nen gar um 13 Pro­zent. Da die EU die mit Ab­stand wich­tigs­te Han­dels­part­ne­rin un­se­res Lan­des ist, sind das für uns alle äus­serst schlech­te Nach­rich­ten. Auch des­halb, weil die Schweiz eine Ex­port­na­ti­on ist. Zwei von fünf Fran­ken ver­die­nen wir im Aus­land. Wel­che Kon­se­quen­zen er­ge­ben sich nun kon­kret für un­se­re Aus­sen­wirt­schafts­po­li­tik? 

Eine An­nah­me der Kün­di­gungs­in­itia­ti­ve wäre in der ak­tu­el­len Krise gleich gra­vie­rend, wie wenn ein Ka­pi­tän mit­ten im Orkan alle Ma­schi­nen stop­pen würde.

Für mich steht eines ganz klar im Vor­der­grund. Es ist jetzt nicht die Zeit für ex­tre­me Ex­pe­ri­men­te. Damit meine ich die SVP-Kün­di­gungs­in­itia­ti­ve, über die wir im Sep­tem­ber ab­stim­men wer­den. Nur ein Nein kann ver­hin­dern, dass wir die Teil­nah­me am eu­ro­päi­schen Bin­nen­markt – die mit Blick auf die Re­zes­si­on noch wich­ti­ger ist als je­mals zuvor – ver­lie­ren. Die Kün­di­gungs­in­itia­ti­ve will das Frei­zü­gig­keits­ab­kom­men mit der EU in­nert eines Jah­res be­en­den. Wegen der Guil­lo­ti­ne-Klau­sel wür­den mit die­sem Schritt aber au­to­ma­tisch alle wei­te­ren sechs Ab­kom­men des Ver­trags­pa­kets der Bi­la­te­ra­len I ge­kün­digt. Das wäre in der jet­zi­gen Si­tua­ti­on etwa gleich gra­vie­rend, wie wenn ein Ka­pi­tän mit­ten im Orkan auf ein­mal alle Ma­schi­nen stop­pen würde. 

So wie die Schwei­zer Bau­ern auf eu­ro­päi­sche Ern­te­hel­fer an­ge­wie­sen sind, brau­chen auch Schwei­zer Ex­port­un­ter­neh­men gut qua­li­fi­zier­te aus­län­di­sche Fach­kräf­te. Sie sind dar­auf an­ge­wie­sen, Zu­gang zu ihren Kun­den in Eu­ro­pa zu glei­chen Be­din­gun­gen wie ihre Kon­kur­ren­ten zu haben. Nur so kann die Schwei­zer Aus­sen­wirt­schaft in den kom­men­den Mo­na­ten und Jah­ren wie­der Tritt fas­sen und zu­rück zu alter Stär­ke ge­lan­gen. Die Ab­satz­märk­te in Eu­ro­pa müs­sen sich wie­der er­ho­len. Eine Be­en­di­gung des bi­la­te­ra­len Wegs genau zu Be­ginn die­ser Er­ho­lung würde dazu füh­ren, dass die Schwei­zer Un­ter­neh­men in einem kri­ti­schen Mo­ment ihre Markt­an­tei­le in Eu­ro­pa nicht mehr ver­tei­di­gen könn­ten. 

Es ist ein Fake, dass die hin­der­nis­freie Teil­nah­me am eu­ro­päi­schen Bin­nen­markt ohne Frei­zü­gig­keit mög­lich ist.

Nur die Teil­nah­me am Bin­nen­markt er­laubt es, dass un­se­re Wirt­schaft bei einer Wie­der­be­le­bung wie­der mit vol­ler Kraft an Fahrt ge­win­nen kann. Lei­der wird dies­be­züg­lich auch immer wie­der kol­por­tiert, dass die Teil­nah­me am eu­ro­päi­schen Bin­nen­markt pro­blem­los ohne Frei­zü­gig­keit mög­lich sei. Das ist nach­weis­lich falsch. «Nächs­tes Jahr er­war­ten wir eine Er­ho­lung des Welt­han­dels. Aber nur, wenn es nicht zu einer Zu­nah­me der Markt­ab­schot­tung kommt», so Ro­ber­to Azevêdo an der glei­chen Vi­deo­kon­fe­renz. Somit ist die Fort­set­zung des bi­la­te­ra­len Wegs und auch der Aus­bau un­se­rer Frei­han­dels­ab­kom­men aus­ser­halb Eu­ro­pas Gebot der Stun­de.