# 9 / 2017
28.11.2017

Strukturwandel in der Schweiz: Fakten und Wahrnehmung

Woher kommt die Angst vor der «Robokalypse»?

Die Ausführungen im vorangehenden Abschnitt haben aufgezeigt, dass der Strukturwandel in der Schweiz kontinuierlich vonstattengeht und der Arbeitsmarkt eine hohe Dynamik aufweist. Und dennoch besteht der Eindruck, dass der Strukturwandel zu hohen Stellenverlusten führt, die nicht über neu geschaffene Stellen kompensiert werden können. Wie lässt es sich erklären, dass sich die öffentliche Debatte überwiegend um die negativen Folgen der technologischen Entwicklung auf den Arbeitsmarkt dreht? Woher kommt die Diskrepanz zwischen der tatsächlichen und der wahrgenommenen Entwicklung?

Um diese Frage zu beantworten, führten wir eine Medienanalyse durch. Hierzu wurden die 2015er-Ausgaben der fünf Tageszeitungen «Neue Zürcher Zeitung», «Tagesanzeiger», «Aargauer Zeitung», «Blick» und «20 Minuten» auf Artikel zu Stellenabbau und neuen Stellen durchsucht.

Im betrachteten Zeitraum erschienen insgesamt 218 Artikel mit Bezug auf abgebaute und geschaffene Stellen. Davon vermeldeten 146 Beiträge wegfallende Jobs. Mit anderen Worten berichten zwei von drei Zeitungsartikeln über den Abbau von Arbeitsplätzen, während nur jeder dritte Artikel von neuen Stellen berichtet. Ein überraschendes Ergebnis, wenn man bedenkt, dass 2015 auf dem Schweizer Arbeitsmarkt über 30’000 Stellen mehr entstanden sind als abgeschafft wurden.

Die Zahl der Artikel ist nicht alleine ausschlaggebend. Die Wahrnehmung wird vor allem auch durch die Prominenz eines Artikels geprägt. Ein halbseitiger Beitrag wird viel stärker wahrgenommen als eine Kurzmeldung, die aus drei Zeilen besteht. Für die Rezeption ist die Länge des Artikels von grosser Bedeutung. Laut einer Studie von Eye Square und der Zeitungs Marketing Gesellschaft ZMG werden grosse Anzeigen drei Mal länger betrachtet als kleine. (http://www.die-zeitungen.de/forschung-studien/zeitungswerbung/wahrnehmung-von-zeitungsanzeigen.html)

Von den 218 analysierten Artikeln wurden insgesamt 57 prominent dargestellt. Von diesen 57 prominenten Meldungen berichten 43 von der Zerstörung von Jobs. Mit anderen Worten sind drei von vier grossen Berichten negativ. Während es insgesamt doppelt so viele Meldungen zum Jobabbau gibt, sind die prominenten Artikel sogar dreifach in der Überzahl gegenüber positiven Nachrichten zum Jobaufbau. Zieht man die Mehrfachmeldungen ab, steigt dieses Verhältnis gar ins Vierfache.

Tabelle 3

Die beobachteten Medien berichteten im Jahr 2015 doppelt so häufig über Stellenabbau als über die Schaffung neuer Jobs.

Zählt man die abgebauten Stellen in den einzelnen Medienberichten zusammen, so wird ersichtlich, dass auch die Dynamik des Stellenabbaus deutlich unterschätzt wird. Nur rund 6,6 Prozent aller Stellen, die abgebaut wurden, wurden 2015 auch in den Medien erwähnt. Beim Stellenaufbau liegt dieser Wert sogar mit 2,9 Prozent deutlich tiefer.

Wenn Medien doppelt so häufig und drei Mal so prominent über Arbeitsplatzverluste berichten als über neu geschaffene Stellen, hat dies auch mit der Natur der Sache zu tun: Bei einem Konkurs oder einer Umstrukturierung einer Firma sind die Auswirkungen auf die Mitarbeitenden oder auch auf eine Region ziemlich konkret und unmittelbar. Demgegenüber findet der Stellenaufbau eher schleichend statt, und dieser wird von den Unternehmen nur selten kommuniziert. Eine Medienschelte wäre daher fehl am Platz. Und dennoch wäre es wünschenswert, wenn bei Berichten über den Stellenabbau auch jeweils die hohe Zahl an neu geschaffenen Stellen erwähnt und vermehrt über neu geschaffene Stellen berichtet würde.