Strukturwandel in der Schweiz: Fakten und Wahrnehmung
- Einleitung Das Wichtigste in Kürze | Position economiesuisse
- Kapitel 1 Technischer Wandel: Bedrohung für die Menschheit?
- Kapitel 2 Der Arbeitsmarkt: ständig in Bewegung
- Kapitel 3 Woher kommt die Angst vor der «Robokalypse»?
- Kapitel 4 Fazit
Technischer Wandel: Bedrohung für die Menschheit?
Spätestens seit dem Weltwirtschaftsforum 2016 ist das Thema industrielle Revolution 4.0 allgegenwärtig. Es vergeht kein Tag, ohne dass in den Medien ein Artikel über die Digitalisierung erscheint, an einer Tagung über die Zukunft der Arbeit diskutiert wird oder Studien publiziert werden, die über die zu erwartenden Veränderungen in der Wirtschaftswelt berichten. Vielfach wird der Fokus auf mögliche negative Folgen der Digitalisierung gelegt. Dabei geht es fast immer um die Frage, ob der Menschheit die Arbeit ausgehen wird. Wie eine Erhebung der weltgrössten Kommunikationsagentur Edelmann in 28 Ländern aufzeigt, sehen 54 Prozent der Arbeitnehmenden die Automatisierung als direkte Bedrohung für ihren Job.
Dass neue Technologien ganze Branchen umpflügen können, ist eine unbestrittene Tatsache. Auch Uber, Airbnb und andere digitale Dienstleister bringen etablierte Betriebe in Bedrängnis. Es ist absehbar, dass künstliche Intelligenz, 3D-Drucker, Sensorik, Robotik und viele andere Errungenschaften auch in Zukunft grosse Veränderungen in der Wirtschaft verursachen werden.
Die Vorstellung eines drohenden Jobverlusts entfacht verständlicherweise existenzielle Ängste. Geschürt hat diese Ängste unlängst eine Studie aus dem Hause Oxford. Diese kommt zum Schluss, dass 47 Prozent aller Jobs in den USA mit grosser Wahrscheinlichkeit der Automatisierung und Computerisierung zum Opfer fallen werden.
Ein Blick in die Geschichtsbücher zeigt, dass diese Befürchtungen durchaus nicht neu sind. Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts befürchteten englische Arbeiter den Verlust ihrer Stelle und wehrten sich dagegen, teils mit gezielten Maschinenzerstörungen. Auch im Zürcher Oberland wurde 1831 eine Maschinenweberei von aufgebrachten Heimwebern angezündet. Während der grossen Depression in den 1930er-Jahren sprach Keynes von der «technologischen Arbeitslosigkeit».
Die grundsätzliche Problematik besteht darin, dass bei technologischen Umwälzungen die möglichen negativen Auswirkungen in Form von Jobabbau sehr viel einfacher und konkreter vorstellbar sind, als sich ein Bild über die möglichen neu entstehenden Stellen zu machen. Mit anderen Worten wird wohl die Zahl der Jobs, die künftig wegfallen werden, deutlich überschätzt, die Zahl der neuen Stellen hingegen deutlich unterschätzt. Diese Hypothese möchten wir im Folgenden überprüfen, indem wir erstens die Dynamik der Stellenentwicklung in der Schweiz über die letzten 100 Jahre betrachten. Zweitens legen wir einen Fokus auf das Jahr 2015, an dessen Anfang die Schweizerische Nationalbank (SNB) die Wechselkursuntergrenze zum Euro aufgehoben hat. Wie haben sich die Stellen nach dem «Frankenschock» verändert? Und drittens untersuchen wir, in welcher Art die Medien über den Strukturwandel berichten.
Die Arbeitswelt verändert sich, aber Arbeit geht nicht aus
Ein Blick in die Statistikbücher zeigt, dass die Anzahl erwerbstätiger Personen in der Schweiz kontinuierlich gestiegen ist. Waren 1888 noch etwa 1,3 Millionen Personen auf dem inländischen Arbeitsmarkt tätig, waren es 2016 knapp fünf Millionen. Wie Abbildung 1 zeigt, stieg die Anzahl der Beschäftigten stetig an, obwohl in der gleichen Zeit grosse technische Errungenschaften gemacht wurden.
Grafik 1
Keine technische Errungenschaft der letzten Jahrzehnte vermochte die Zahl der Erwerbstätigen zu mindern – im Gegenteil.
Eine Verdrängung von Arbeit durch Technologie könnte sich allenfalls auch bei einer steigenden Zahl von Erwerbstätigen ergeben, wenn sich gleichzeitig die Erwerbslosenquote erhöhen und/oder die Erwerbsquote sinken würde. Dies würde bedeuten, dass die Bevölkerung noch stärker zunimmt als die Zahl der Erwerbstätigen.
Eine Verdrängung lässt sich weder in der Erwerbslosenquote noch in der Erwerbsquote feststellen. Während die Erwerbslosenquote in den letzten 20 Jahren in etwa konstant geblieben ist – wobei es immer wieder Phasen mit vergleichsweise niedriger oder hoher Erwerbslosigkeit gab –, ist die Erwerbsquote seit 1996 sogar von 80 auf 83 Prozent gestiegen. Anzeichen für einen signifikanten Verdrängungseffekt oder gar eine Massenarbeitslosigkeit gibt es also nicht.
Nicht nur gab es im Laufe der Zeit mehr Arbeit, sondern auch mehr Lohn, und das bei sinkender Arbeitszeit. Wie Abbildung 2 verdeutlicht, arbeiteten die Menschen in der Schweiz um 1890 im Schnitt noch etwas über 60 Stunden pro Woche. Heute sind es knapp 42 Stunden. In der gleichen Periode ist unser Reallohn stark gestiegen. Mehr Lohn bei weniger Arbeit? Ohne technologischen Fortschritt wäre das undenkbar.
Grafik 2
In der Schweiz ist in den letzten 100 Jahren bei mehr Lohn weniger lang gearbeitet worden.
Auch wenn auf aggregierter Ebene keine Verdrängung zu beobachten ist, bedeutet dies nicht, dass gar keine Veränderungen stattgefunden haben. Während in den 1970er- und 1980er-Jahren die Arbeitslosigkeit unter Niedrigqualifizierten etwa gleich verbreitet war wie unter Mittel- und Hochqualifizierten, stieg sie in den darauffolgenden Jahrzehnten auf ein Vielfaches. Der technologische Wandel verursachte zwar keine generelle Verdrängung von Arbeit, wohl aber von ungelernter Arbeit. Während die Nachfrage nach Niedrigqualifizierten stetig sank, ist jene nach den Hochqualifizierten gestiegen.
Es zeigt sich, dass der bildungsintensive technologische Fortschritt zu einer grösseren Nachfrage nach technischen Kenntnissen und somit höherer Qualifikation führt. Ein zweiter Trend verstärkt diese Entwicklung: Im Zuge der Globalisierung werden einfache Tätigkeiten, die kaum spezialisierte Arbeitskräfte beanspruchen, in Länder mit niedrigen Lohnkosten verlagert.