Endlich erstarkt der Euro: Ende gut, alles gut?
Der Euro kostet wieder in etwa gleich viel wie während der Phase mit einer fixen Wechselkursuntergrenze von 1.20 Franken. Das ermöglicht der Exportindustrie, endlich wieder Margen zu erzielen, die Investitionen in die Zukunft erlauben. Für die konjunkturelle Entwicklung viel bedeutsamer ist allerdings die gestiegene Nachfrage nach Schweizer Produkten und Dienstleistungen im Euroraum.
Wir erinnern uns: Am 15. Januar 2015 gab die SNB diese Untergrenze auf und der Franken wertete sich innert Minuten massiv auf. Der Frankenschock erzwang eine ganze Reihe von Anpassungen in der Wirtschaft: Restrukturierungen, Kostensenkungsprogramme und die Stärkung der Innovationskraft waren die zentralen Themen 2015 und 2016. Was waren die Folgen? Die Preise sind in der Schweiz gesunken, vor allem die Produzentenpreise, sodass die Schweizer Wirtschaft wettbewerbsfähiger geworden ist. Die Preise im Euroraum hingegen sind leicht gestiegen.
«Fairer» Wechselkurs läge bei 1.22 Franken
Ein ähnliches Bild zeigt sich im Tourismus. Während ausländische Destinationen tendenziell ihre Preise erhöht haben, mussten viele Anbieter in der Schweiz Konzessionen eingehen. Real, also inflationsbereinigt, ist der Franken heute bei einem Wechselkurs von 1.20 weniger stark als 2014. Wenn man die Wechselkurse um diese Preiseffekte korrigiert, lässt sich der «faire» Wechselkurs abschätzen, wo die Preise im In- und Ausland real in etwa gleich hoch sind. Zur Berechnung vergleicht man am besten die Produzentenpreise, bei denen international gehandelte Güter ein wichtiger Bestandteil sind (während bei den Konsumentenpreisen nicht handelbare Güter wie der Besuch beim Coiffeur oder die Wohnkosten eine grosse Rolle spielen). Wo liegt derzeit also der «faire» Wechselkurs zum Euro? Gemäss unserer Schätzung aktuell bei etwa 1.22. Die lange Phase der starken Überbewertung des Frankens ist also, zumindest vorübergehend, vorbei.
Steigende Nachfrage im Euroraum
Der Schweizer Wirtschaft kommen nun zwei Effekte zugute. Erstens steht die Exportindustrie nun nicht einfach wieder am gleichen Punkt wie 2014, sondern ist im Vergleich zum Ausland deutlich wettbewerbsfähiger geworden. Sie kann nun also die Früchte der Massnahmen ernten, die in der mühsamen Phase der Frankenstärke getroffen wurden. Die Herausforderungen wurden damals entschieden angepackt.
Zweitens erstarkt der Euro ja nicht einfach so, sondern weil die europäische Konjunktur endlich Fahrt aufgenommen hat. Damit steigt die Nachfrage nach Schweizer Produkten und Dienstleistungen im Euroraum. Und diese Nachfrage ist für die Schweizer Konjunktur viel entscheidender als der Wechselkurs. Letzterer verhilft aber zu höheren Margen und sorgt dafür, dass die Firmen wieder vermehrt in die Zukunft investieren können.
Keine Zeit für Schönwettermodelle
Die Schweizer Wirtschaft tut aber gut daran, das Tauwetter nicht als ewigen Sommer zu interpretieren. Die Schuldenberge in Europa, der fehlende Wille einzelner Staaten zu Strukturreformen und die riesige Geldmengenexpansion der Zentralbanken müssen weiterhin im Auge behalten werden. Ein konjunktureller Einbruch und eine erneute Frankenaufwertung sind auch in Zukunft möglich, ja sogar wahrscheinlich. Statt Schönwettergeschäftsmodelle aufzubauen, sind innovative und wertschöpfungsintensive Geschäftsfelder zu stärken. Denn die Erfahrung lehrt: Nach jeder Phase mit Sonnenschein folgt irgendwann die nächste Kaltfront.