Auch die EU macht Ausnahmen von der Regel
Im Jahr 2010 entschied der EU-Gerichtshof, dass Belgien Kontingente zur Begrenzung ausländischer Medizinstudierender beibehalten darf. Auch in Österreich gibt es eine solche Regelung. Dieser Eingriff ins Grundrecht der Gleichbehandlung ist jedoch nur dann gerechtfertigt, wenn das öffentliche Gesundheitssystem ohne eine solche Beschränkung gefährdet wäre. Das Urteil erlaubt eine Ausnahme vom Diskriminierungsverbot zwischen EU-Bürgern.
Die Schweiz wird nach der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative durch die verfassungsmässig vorgeschriebenen Kontingente ebenfalls EU-Bürger diskriminieren. Dies widerspricht dem Personenfreizügigkeitsabkommen zwischen der Schweiz und der EU, das in beide Richtungen den freien Zugang zum Arbeitsmarkt garantiert.
Die EU hat in den letzten anderthalb Jahren jedoch mehrfach klargemacht, dass sie über die Aufnahme von Kontingenten in das Personenfreizügigkeitsabkommen nicht verhandeln wird. Gilt das auch für Ausnahmeregeln? Wenn es nun auch innerhalb der EU Ausnahmen geben kann, warum dann nicht auch für die Schweiz?
Aus Sicht der Schweizer Wirtschaft bietet ein Ansatz mit einer Schutzklausel die beste Chance für eine Lösung. Mit ihr liesse sich die Zuwanderung in die Schweiz steuern. Wie in den erwähnten Fällen in Belgien und Österreich würde die Schutzklausel nur in Ausnahmesituationen angewendet: bei übermässiger Nettozuwanderung, wenn Infrastrukturen, Wohnungs- oder der Arbeitsmarkt stark belastet werden und die Integration nicht mehr sichergestellt werden kann. Anstelle von Prinzipienreiterei könnten sich die EU-Mitgliedstaaten ein wenig vom EU-Gerichtshof inspirieren lassen – denn eine tragfähige Lösung ist letztlich auch im Interesse der EU.