# 11 / 2016
11.11.2016

Die leeren Versprechen der Vollgeld-Initiative

Was ist Vollgeld?

Das Vollgeld-Konzept würde eine tief greifende Veränderung des heutigen Geldsystems bewirken. Doch was möchte man verändern und wie soll es funktionieren? In diesem Kapitel wird die Entwicklung des Schweizer Geldsystems kurz erläutert und danach aufgezeigt, welche Änderungen die Vollgeld-Initianten daran vornehmen wollen.

Der Weg zum heutigen Geldsystem

Das heutige Geldsystem ist relativ jung. Mit der aufkommenden Handels- und Gewerbefreiheit öffneten vor rund 180 Jahren in vielen Kantonen zahlreiche öffentliche und private Notenbanken ihre Tore, um das Bedürfnis der Bevölkerung nach einem Zahlungsmittel zu befriedigen. Neben den von diesen Banken ausgegebenen neuartigen Papierscheinen (Banknoten) zirkulierten zahlreiche verschiedene Münzen, mit dem Batzen als inoffizielle Münze der Schweiz.

Nach der Gründung des Bundesstaates 1848 wurde zunächst das Münzregal dem Bund übertragen. Dieser definierte und prägte fortan die Schweizer Münzen. Einen weiteren Schub in Richtung mehr Zentralisierung erlebte die noch junge Schweiz in den frühen 1880er-Jahren, als sie Regulierungen für die noch immer relativ marktwirtschaftlich organisierte Banknotenemission erliess.

Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde den kantonalen und privaten Banken verboten, Banknoten herauszugeben. Dieses Recht wurde der neu gegründeten Schweizerischen Nationalbank (SNB) übertragen.

Wer schöpft Geld?

Seit 1907 schöpft die SNB Notenbankgeld. Die Notenbankgeldmenge – bestehend aus dem Banknotenumlauf und den Giroguthaben der Banken bei der SNB – wird als Geldmenge M0 bezeichnet und beträgt zurzeit rund 500 Milliarden Schweizer Franken. Die Nationalbank bringt das Geld in Umlauf, indem sie beispielsweise von den Geschäftsbanken Devisen gegen Schweizer Franken kauft oder Repogeschäfte abschliesst. Der Devisenankauf ist aufgrund der Eurokrise momentan das wichtigste Instrument der SNB, unter normalen Marktbedingungen ist hingegen das Repogeschäft tonangebend. Tabelle 1 zeigt die stilisierten Bilanzen der Notenbank und einer Geschäftsbank. In diesem Beispiel kauft die Notenbank von der Geschäftsbank Devisen in der Höhe von 50 Millionen Franken und verlängert dadurch ihre Bilanz um denselben Betrag. Bei der Bank bewirkt die Transaktion einen Aktivtausch: Sinkenden Devisenbeständen steht eine Erhöhung der Giroguthaben gegenüber.

Grafik 1

Mittels dem Kauf von Devisen von einer Geschäftsbank kann die SNB Schweizer Franken in Umlauf bringen.

Die SNB schöpft Notenbankgeld durch den Kauf ausländischer Devisen

Quelle: eigene Darstellung

Neben der SNB schöpfen im heutigen System auch Geschäftsbanken Geld. Durch Kreditvergabe bringen sie Buchgeld in Umlauf. Dieser Sachverhalt ist in Abbildung 2 dargestellt. Wenn eine Bank einen Kredit in der Höhe von 900’000 Franken vergibt, schreibt sie dem Kunden den entsprechenden Betrag als Sichteinlage auf seinem Konto gut. Die Sichteinlagen bilden zusammen mit dem Bargeld bei Nichtbanken die Geldmenge M1 und stehen für Zahlungszwecke zur Verfügung. M1 beträgt aktuell knapp 600 Milliarden Schweizer Franken.

Die Geldschöpfung der Geschäftsbanken unterliegt klaren Begrenzungen. Um nicht in Zahlungsschwierigkeiten zu geraten, müssen die Banken sicherstellen, dass die Kreditnehmer die Kredite auch zurückzahlen können. Den meisten Krediten steht daher eine Sicherheit gegenüber, zum Beispiel in Form von Immobilien oder Wertpapieren. Zudem sind die Banken verpflichtet, einen Teil der Kundeneinlagen mit Reserven zu hinterlegen sowie Liquiditäts- und Kapitalvorschriften zu erfüllen. Schliesslich kann die SNB über ihr geldpolitisches Instrumentarium die Zinssätze am Geldmarkt und damit die Geldmenge indirekt über die Kreditnachfrage steuern.

Grafik 2

Neu geschöpftes Buchgeld entsteht bei Geschäftsbanken durch die Vergabe von Krediten.

Banken schöpfen Buchgeld durch die Vergabe von Krediten

Quelle: eigene Darstellung

Das Vollgeldsystem

Die Vollgeld-Initiative möchte unser heutiges Geldsystem in zwei Punkten grundlegend verändern. Erstens soll die Geldschöpfung durch die Geschäftsbanken verboten werden, indem das Buchgeldmonopol der SNB übertragen wird. Die SNB wäre dadurch die einzige Institution, die Geld in Umlauf bringen kann. Banken könnten Kredite nur noch auf der Basis von Spargeldern vergeben, die für eine bestimmte Zeitdauer nicht abrufbar wären. Sie müssten das Vollgeld ausserhalb ihrer Bilanz auf einem neu geschaffenen Zahlungskonto – ähnlich den heutigen Wertschriftendepots – verbuchen. Zweitens wollen die Initianten auch den Prozess, wie Geld in Umlauf gebracht wird, umbauen. Die SNB soll Vollgeld schaffen, ohne dass sie etwas kauft und einen Gegenwert erhält. Kraft ihrer Institution könne sie Vollgeld als Wert definieren. Dieses «Helikoptergeld» könne sie schuldlos an den Staat und die Bevölkerung auszahlen und auf diese Weise den Geldumlauf bestimmen.

Tabelle 3 zeigt die Bilanzmechanik: Weil die SNB gesetzliche Zahlungsmittel ausgeben darf, schreibt sie sich per Knopfdruck schuldfreies Buchgeld im Umfang von 10 Milliarden Franken auf der Aktivseite gut und erhöht ihr Eigenkapital so um denselben Betrag. Dieses aus dem Nichts geschaffene Geld kann sie nun an Staat und Bevölkerung verteilen. Ihre Aktiven und ihr Eigenkapital verringern sich wieder wie in Tabelle 4 dargestellt und Staat und Bevölkerung besitzen 10 Milliarden Franken mehr.

Die Initianten versprechen sich von einem solchen System einen krisensicheren Zahlungsverkehr, weil Bank Runs nicht mehr auftreten könnten. Das Bankensystem soll sicherer und die Too-big-to-fail-Problematik entschärft werden. Zudem würde die Bevölkerung von der Ausschüttung der Seigniorage durch die SNB profitieren.

Grafik 3

Gemäss der Initiative soll neues Geld allein durch eine Bilanzverlängerung der SNB entstehen.

Buchgeld wird «gedruckt» durch eine Bilanzverlängerung

Quelle: eigene Darstellung

Grafik 4

Dieses Buchgeld wird anschliessend als «Helikoptergeld» an die Öffentlichkeit verteilt.

Buchgeld wird an Staat und Bevölkerung verteilt

Quelle: eigene Darstellung

Der Chicago-Plan

Vollgeld wird oft mit einem Geldsystem verwechselt, welches eine Mindestreservepflicht von 100 Prozent verlangt. Der bekannteste Entwurf für ein 100-Prozent-Reserve-System (auch 100-Prozent-Banking, 100-Prozent-Geld oder Vollreserve) ist der Chicago-Plan aus den 1930er-Jahren. Trotz einiger Gemeinsamkeiten unterscheiden sich die beiden Geldsysteme in zentralen Punkten: Während Vollgeld selbst ein Vermögenswert ist und ausserhalb der Bankbilanz aufgeführt wird, wird beim 100-Prozent-Geld die Bank verpflichtet, ihre Sichteinlagen zu 100 Prozent mit Zentralbankgeld zu hinterlegen. Beim Vollgeld kann lediglich die Zentralbank Geld schaffen. Beim 100-Prozent-Geld könnten weiterhin die Banken Geld als Kredit gegen Zins in Umlauf bringen. Geld wäre demnach unter dem Chicago-Plan weiterhin eine Schuld und kein Vermögenswert.