# 11 / 2016
11.11.2016

Die leeren Versprechen der Vollgeld-Initiative

Das Vollgeldsystem belastet und behindert die Nationalbank

Die SNB als Spielball von Partikularinteressen

Damit die Kosten, Risiken und die eingeschränkte Wahlfreiheit verdaubar werden, versuchen die Initianten mit Ausschüttungen im Umfang von rund 10 Milliarden Franken pro Jahr an Bund, Kantone und die Bevölkerung, ihre Idee der Allgemeinheit schmackhaft zu machen. Ein solcher Geldsegen bringt grosse Gefahren mit sich. Bereits das heutige System schafft Anspruchshaltungen: Bund und Kantone budgetieren die erwarteten Ausschüttungen der SNB in der Höhe von rund einer Milliarde Franken jährlich als künftige Einnahmen und planen ihre Ausgaben entsprechend. Als 2014 die Zahlungen nach dem Rekordverlust der Nationalbank ausblieben, reagierten einige Kantone unwirsch und machten so Druck auf die SNB.

Man muss kein Prophet sein, um sich ausmalen zu können, wie sich dieser Druck im Vollgeldsystem mit Ausschüttungen im zweistelligen Milliardenbereich erhöhen würde. Würden zehn Milliarden Franken pro Jahr verteilt, entspräche dies rund sieben Prozent der heutigen Aufwendungen von Bund und Kantonen. Ein solcher Zuschuss führt erfahrungsgemäss nicht zum Abbau der Steuerbelastung, sondern zur kurzsichtigen Finanzierung von allerlei Sonderwünschen. Künftig müsste die SNB Probleme lösen, für die eigentlich die Wirtschaftspolitik zuständig sein sollte: Defizite in der Altersvorsorge, Kostenexplosionen im Gesundheitswesen oder Ineffizienzen in der Landwirtschaft sind nur einige potenzielle Gefahrenherde. Es ist illusorisch zu glauben, dass die Schaffung einer «vierten Staatsgewalt», der «Monetative», diese Begehren zu unterdrücken vermag. Vielmehr würden neue Ansprüche formuliert, die man vermeintlich einfach finanzieren könnte.

Die Nationalbank hat ihre primäre Aufgabe (Preisstabilität) in den letzten 20 Jahren sehr gut erfüllt und damit der Wirtschaft ideale Rahmenbedingungen bereitgestellt. Für die Nationalbank dürfte die Erfüllung dieser zentralen Aufgabe aufgrund des hohen Drucks zugunsten des zweiten Ziels – die Berücksichtigung der konjunkturellen Lage – zunehmend in den Hintergrund rücken. Sobald sie diesem gewaltigen Druck zum ersten Mal nachgibt, wäre die Büchse der Pandora geöffnet. Alle würden Anspruch auf das vermeintliche Gratisgeld der SNB erheben. Damit würde das Vollgeldexperiment historischen Beispielen nacheifern, die genau in diesem Punkt begonnen haben: Wenn die Geldpolitik zur Finanzierung von Staatsaufgaben eingesetzt wird, sind hohe Geldmengenausweitungen und damit hohe Inflationsraten unausweichlich. Die Erfahrung zeigt, dass die Auswirkungen einer starken Geldentwertung für die Wirtschaft, die Bevölkerung und die gesamte Volkswirtschaft verheerend sind.

Ein Spiel mit der Unabhängigkeit der SNB ist deshalb brandgefährlich. Hier nützt auch die Beteuerung der Vollgeld-Initianten wenig, dass die SNB weiterhin die Preisstabilität garantieren soll. Eine Zentralbank, die einem derartigen Druck ausgesetzt wird, kann nicht mehr weitgehend unabhängig von politischen und wirtschaftlichen Akteuren handeln. Früher oder später wird sie ihrem Auftrag, eine stabile Währung bereitzustellen, nicht mehr nachkommen können.

Eingeschränkte Handlungsmöglichkeiten

Das vorgeschlagene Vollgeldsystem würde die SNB also an der Erfüllung ihres Kernauftrags, eine im Gesamtinteresse des Landes stehende Geldpolitik zu führen, hindern. Weil Vollgeld ohne Gegenleistung an den Staat und die Bevölkerung ausgezahlt wird, wird eine Reduktion der Geldmenge entsprechend schwierig. Geschenke können nun mal nicht einfach zurückgefordert werden. Zwar bleibt der SNB weiterhin die Möglichkeit, kurzfristige Kreditgeschäfte zu tätigen. Jedoch könnte sich ein starker Rückgang der Geldnachfrage – beispielsweise aufgrund technischer Innovationen – als unlösbare Aufgabe herausstellen. Im Vollgeldsystem könnte die Nationalbank nicht mehr wie heute die Geldmenge reduzieren, indem sie ausländische Devisen verkauft oder den Mindestreservesatz erhöht. Stattdessen müsste der Bund mit einer Vollgeldsteuer zu Hilfe eilen, um so das ursprünglich als Geschenk verteilte Geld wieder aus dem Verkehr zu ziehen. Dies dürfte langfristig schwierig umzusetzen sein. Auch hier lauert die Gefahr von hohen Inflationsraten mit entsprechend hohen Kosten für Wirtschaft und Gesellschaft.

Eine Abkehr von der dezentralen Informationsgewinnung

Nicht nur die eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten der SNB, sondern auch die Tatsache, dass mit dem Vollgeld ein Monopol geschaffen wird, mindert die Qualität der hiesigen Geldpolitik drastisch. Die Wirtschaft und die Schweizer Bevölkerung sind darauf angewiesen, dass Geldangebot und Geldnachfrage möglichst übereinstimmen. Als alleinige Bereitstellerin der Geldmenge ist die SNB somit auf genaue Schätzungen der Geldnachfrage angewiesen, um ein passendes Angebot bereitstellen zu können. Im Vollgeldsystem würde einzig die SNB die Geldnachfrage abschätzen, was im Gegensatz zu heute, wo diese Verantwortung auch den Banken zufällt, aus zwei wichtigen Gründen ein Nachteil ist.

Zum einen besagt das Gesetz der grossen Zahlen, dass die Genauigkeit einer Prognose mit der Anzahl Teilnehmer tendenziell zunimmt. Insofern wird die alleinige Schätzung der SNB tendenziell zu schlechteren Prognosewerten, einer falschen Geldmenge und damit zu wirtschaftsschädigenden Auswirkungen führen. Zum anderen wirtschaften die Banken vor Ort und sind im steten Kontakt mit ihren Kunden und können so die künftige Geldnachfrage besser und zeitnaher abschätzen als die SNB, die ihre Prognose nur auf historische Daten abstützen kann. Auf die Vorteile der dezentralen Informationsgewinnung sollte daher nicht verzichtet werden.