# 15 / 2016
21.12.2016

Brexit und die Schweiz

Branchenumfrage economiesuisse: exportorientierte Sektoren besonders betroffen

Wie die vorangehenden Ausführungen zeigen, sind die britische und die schweizerische Wirtschaft eng miteinander verbunden. Ein Brexit hat demnach direkt oder indirekt spürbare Auswirkungen auf die Schweiz und insbesondere auf ihre exportorientierten Unternehmen. Dabei liegt der Fokus der Aussagen auf der mittel- bis langfristige Perspektive. Gemäss einer von economiesuisse durchgeführten Mitgliederumfrage ist die Betroffenheit dabei von Branche zu Branche unterschiedlich – sowohl betreffend den wirtschaftlichen Konsequenzen (Handel und Investitionen), als auch im Hinblick auf die vertraglichen bzw. rechtlichen Herausforderungen.

Chemie-/Pharmaindustrie

Aktuelle Bedeutung des britischen Marktes  

Grossbritannien nimmt im Bereich Handel und Investitionen einen sehr hohen Stellenwert ein. Gesamthaft ist das Vereinigte Königreich der drittwichtigste Markt für die Branche. Im Jahr 2015 wurden Waren im Wert von 5,6 Milliarden Franken nach Grossbritannien exportiert (Rang 3) und solche im Wert von 2,1 Milliarden Franken in die Schweiz importiert (Rang 6). Ausserdem beschäftigen hiesige Chemie- und Pharmaunternehmen eine beträchtliche Zahl hoch qualifizierter britischer Staatsbürger.

Herausforderung durch Brexit

Zwar werden aufgrund des Brexit und der damit einhergehenden Unsicherheit und allfälligen konjunkturellen Abkühlung stagnierende, respektive leicht rückläufige Ergebnisse im Handel und bei den Investitionen erwartet. Allzu starke negative Impulse dürften für die Branche jedoch ausbleiben. Aktuell bestehen im Marktzugang zum Vereinigten Königreich dank des Freihandelsabkommens der Schweiz mit der EU und den bilateralen Verträgen keine nennenswerten Hindernisse. Im Hinblick auf das zukünftige Verhältnis der Schweiz mit Grossbritannien ist deshalb alles daran zu setzen, die bisherigen intensiven wirtschaftlichen Beziehungen durch neue Vertragswerke mindestens gleichwertig zu sichern (z.B. umfangreiches Freihandelsabkommen CH-UK oder EFTA-Mitgliedschaft Grossbritanniens). Dies schliesst sowohl die Freizügigkeit im Arbeitsmarkt wie auch regulatorische Vorschriften mit ein.

Brexitrelevante Verträge der Schweiz mit der EU

  • Freihandelsabkommen Schweiz-EU
  • Bilaterale I und II

Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie

Aktuelle Bedeutung des britischen Marktes  

Grossbritannien ist betreffend Handel und Investitionen für die MEM-Branche ein wichtiger Markt. Von hoher Relevanz ist die Insel insbesondere für Produkte der Luft- und Raumfahrt, der Automobilindustrie und im Security- und Defencebereich. Das Exportvolumen der Branche betrug 2015 rund 2,5 Milliarden Franken, womit Grossbritannien auf Rang 6 der wichtigsten Absatzmärkte zu liegen kommt.  

Herausforderung durch Brexit

Was die Schweiz mit dem Freihandelsabkommen mit der EU und den bilateralen Verträgen ausgehandelt hat, ist aus Sicht der Branche nun mit Blick auf Grossbritannien gefährdet. Das vertragliche Regelwerk muss deshalb adäquat ersetzt und ein vertragsloser Zustand unbedingt verhindert werden. Gelingt dies nicht, werden insbesondere zusätzliche nichttarifäre Handelshemmnisse, höhere Zölle und steigende Wechselkursrisiken befürchtet. Konkret hätten beispielsweise zum EU-Markt abweichende Normen erhebliche Zusatzkosten und Verwaltungsaufwand für Schweizer MEM-Firmen zur Folge. Dasselbe trifft zu, falls für den Marktzugang nach Grossbritannien nach dem Brexit andere Zertifizierungs- und Prüfstellen gesucht werden müssten.

Die Schweizer MEM-Unternehmen schätzen deshalb den britischen Markt bereits jetzt bedeutend schlechter ein, als noch vor dem Brexit. Das schwache Pfund erschwert den Absatz auf der Insel zusätzlich. Insbesondere wurden die Prognosen beim Auftragseingang für die nächsten zwölf Monate vielerorts nach unten korrigiert: Rund ein Viertel der durch die Branche befragten Unternehmen erwartet heute eine sinkende Auftragslage für Grossbritannien infolge des Brexit.

Brexitrelevante Verträge der Schweiz mit der EU

  • Freihandelsabkommen Schweiz-EU
  • Bilaterale I und II

Uhrenindustrie

Aktuelle Bedeutung des britischen Marktes  
Der britische Markt ist sehr wichtig für die Schweizer Uhrenindustrie. 2015 wurden Waren im Gesamtwert von 1,16 Milliarden Franken nach Grossbritannien exportiert – ein Anstieg um über 19 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. In den letzten fünf Jahren haben sich die Schweizer Exporte gar verdoppelt. Heute ist das Vereinigte Königreich für die Schweizer Uhrenindustrie damit der achtwichtigste Absatzmarkt weltweit und die Nummer 4 in Europa.

Herausforderung durch Brexit
Das Freihandelsabkommen der Schweiz mit der EU gewährt der Uhrenindustrie zum jetzigen Zeitpunkt freien Zugang zum britischen Markt. Im für die Branche bereits schwierigen Marktumfeld steigt mit dem Austritt Grossbritanniens aus der EU jedoch die Unsicherheit stark an. Dies dürfte das Vertrauen der Kunden auf der Insel mittel- und langfristig stark schwächen – auch wenn kurzfristig die Nachfrage durch Touristen aufgrund des schwächeren Pfunds ansteigen kann. Im Fall einer Rezession in Grossbritannien wird der Absatz Schweizer Uhren auf der Insel entsprechend deutlich sinken. Der Erhalt des Status quo beim Marktzugang ins Vereinigte Königreich ist für die Branche deshalb von essenzieller Bedeutung. Dies muss auch sämtliche Vorschriften betreffend Import, Distribution und Verkauf (z.B. technische Normen, Konsumenten-, Umweltschutz) beinhalten.

Brexitrelevante Verträge der Schweiz mit der EU

  • Freihandelsabkommen Schweiz-EU
  • Bilaterale I

Banken

Aktuelle Bedeutung des britischen Marktes

Der Finanzplatz in London ist der wichtigste Europas und für die Schweizer Banken deshalb ein äusserst bedeutender Standort. Gemessen an den verwalteten Geldern hat Grossbritannien weltweit zudem einen Marktanteil von rund 37 Prozent und ist mit Abstand der grösste Markt für institutionelle Vermögensverwaltung in Europa. Die beiden Grossbanken UBS und Credit Suisse beschäftigen in der englischen Metropole Tausende von Mitarbeitenden, die in erster Linie im Investment Banking, aber auch in der Vermögensverwaltung und im Privatkundengeschäft sowie in Konzernfunktionen tätig sind. Analog zur Versicherungsbranche ist auch für die Grossbanken das sogenannte EU-Passporting von grosser Bedeutung. Es erlaubt, EU-/EWR-Kunden von London aus zu betreuen. Bei den Grossbanken unterstützen deren in London domizilierten Geschäftseinheiten auch manche Geschäfte wichtiger globaler Kunden, insbesondere im Handel und bei der Vermögensverwaltung.

Herausforderung durch Brexit

Angesichts der noch nicht angelaufenen Verhandlungen zwischen Grossbritannien und der EU betreffend des zukünftigen gegenseitigen Marktzugangs ist eine stabile Einschätzung zu den möglichen Auswirkungen derzeit schwierig. Entsprechend warten betroffene Unternehmen mit Entscheiden – insbesondere bezüglich etwaiger Verschiebung von Geschäftseinheiten und Arbeitsplätzen – noch zu. Hierfür fehlen zurzeit die Grundlagen und die erforderlichen Informationen: der Verhandlungsprozess, das genaue Timing und vor allem die Inhalte des künftigen Austrittsabkommens zwischen der EU und UK sind noch nicht bekannt. Es wird voraussichtlich auch noch längere Zeit dauern, bis diesbezüglich mehr Klarheit besteht.

Generell erwartet die Branche stagnierende bis rückläufige Marktaktivitäten, verbunden mit wachsenden wirtschaftlichen und rechtlichen Risiken: Der Finanzplatz London ist sowohl Knotenpunkt für Firmenkundengeschäfte grosser europäischer Banken als auch Eintrittstor für Kapital aus Nicht-EU-Staaten in den Binnenmarkt. Verliert das Vereinigte Königreich im Zuge des EU-Austritts den Zugang zum europäischen Binnenmarkt, so wären diese beiden Funktionen in weiten Teilen gefährdet.

Sollte Grossbritannien in Zukunft nicht mehr über die Möglichkeit eines EU-Passporting verfügen, ohne dass dies durch einen Marktzutritt über ein Äquivalenzregime abgefedert wird, kann das unterschiedliche Folgen haben. Einerseits ist anzunehmen, dass im Bankensektor entsprechende grenzüberschreitende Geschäfte innerhalb der EU in andere Mitgliedstaaten verlagert werden müssen (z.B. Luxemburg oder Frankfurt). Davon wären auch die Schweizer Grossbanken betroffen. Andererseits könnte sich für die Schweiz gegenüber der EU aber auch die Chance ergeben, gemeinsam mit Grossbritannien auf klarer definierte Äquivalenzverfahren für europäische Staaten hinzuarbeiten. Diese sind derzeit äusserst langwierig und komplex.

Für das bilaterale Verhältnis der Schweiz zu Grossbritannien müssen aus Sicht der Branche sämtliche bisher über die bilateralen Verträge mit der EU geregelten Rahmenbedingungen in ein neues Abkommen überführt werden. In diesem Zusammenhang wird insbesondere Verbesserungspotenzial in der Regulierung des grenzüberschreitenden Geschäfts für Finanzdienstleistungen im Bereich Anlageprodukte (z.B. Fonds oder diskretionäre Mandate) gesehen. Wünschenswert wäre zudem eine rasche Absichtserklärung der Schweiz und Grossbritanniens betreffend der gegenseitigen Anerkennung der Regulierungsvorschriften.

Brexitrelevante Verträge der Schweiz mit der EU

  • EU-Passporting (EU-Vertrag ohne Schweizer Beteiligung und Einfluss)
  • Bilaterale I (insbesondere Personenfreizügigkeit)
  • Abkommen über den Automatischen Informationsaustausch in Steuersachen Schweiz-EU

Versicherungen

Aktuelle Bedeutung des britischen Marktes  

Mit Ausnahme des Grosskundengeschäfts im Nichtleben-Bereich existiert kein namhafter grenzüberschreitender Austausch Schweizer Versicherer mit Grossbritannien. Von ungleich grösserer Bedeutung ist jedoch der Umstand, dass grössere Schweizer Versicherer über (Zweig-)Niederlassungen (Branch) im Vereinigten Königreich (Finanzplatz London) einen bedeutenden Teil ihrer Geschäfte mit im EU-/EWR-Raum-, aber auch im Rest der Welt beheimateten Kunden abwickeln. Dabei handelt es sich primär um Industriekunden mit grenzüberschreitenden Aktivitäten und multinationaler Präsenz, die geografisch umspannende Versicherungslösungen benötigen. Für einen Schweizer Versicherer mit mehreren Tausend Mitarbeitenden in der UK umfasste das entsprechende Volumen im Jahr 2015 bis zu 4 Milliarden Franken. In diesem Zusammenhang spielt das EU-/EWR-Passporting eine entscheidende Bedeutung. Dieses ermöglicht Finanzdienstleistern mit Sitz in einem EU-/EWR-Mitgliedstaat den Vertrieb ihrer Produkte und Dienstleistungen im gesamten EU-/EWR-Raum. Eine separate Zulassung in anderen Staaten des Gebiets ist nicht erforderlich (Äquivalenzanerkennung der Regulierungsvorschriften).

Herausforderung durch Brexit

Die Schweizer Finanzdienstleister verfügen über keinen direkten Marktzugang in die EU. Die bilateralen Verträge zwischen der Schweiz und der EU schliessen dies explizit aus. Somit ermöglicht das EU-/EWR-Passporting gegenwärtig Schweizer Versicherern – meist über den Standort London –, ihre Dienstleistungen im gesamten EU-/EWR-Raum anzubieten. Die Auswirkungen des Brexit auf die international tätige Schweizer Versicherungsbranche hängen deshalb auch stark davon ab, ob es Grossbritannien in den Austrittsverhandlungen mit der EU gelingt, für den Finanzplatz London die Dienstleistungsfreiheit auch als Nichtmitglied zu sichern.

Im Falle eines Wegfalls des EU-/EWR-Passporting (Verlust des «free movement of services») hätte dies zur Folge, dass für gewisse grenzüberschreitende Aktivitäten auf andere EU-/EWR-Standorte ausgewichen werden müsste. Für bestimmte Versicherer könnte dadurch potenziell ein beachtlicher Teil des Prämienvolumens – zwischen einem Viertel und einem Drittel – wegbrechen. Gleichzeitig würde die Fortführung der Geschäftsaktivitäten in Grossbritannien die Lizenzierung und Kapitalisierung eines neuen, juristisch eigenständigen Trägers notwendig machen. Entsprechend wäre es von grosser Bedeutung, wenn das Vereinigte Königreich mit der EU ein Abkommen über den freien Dienstleistungsverkehr aushandeln kann. Dies ist jedoch derzeit völlig offen. Gelingt dies nicht, könnten sich für den Finanzplatz Zürich hingegen auch Chancen auftun, indem eine gewisse Verschiebung vom Finanzzentrum London hin zum Konkurrenzplatz Zürich erfolgen könnte.

Im Rahmen des bilateralen Vertragsverhältnisses zwischen der Schweiz und Grossbritannien muss aus Sicht der Branche der direkte und ungehinderte Marktzugang zur Insel und zum zweitwichtigsten Finanzplatz weltweit sichergestellt werden. Konkret ist ein Freihandelsabkommen zweiter Generation anzustreben, welches auch den freien Personen- und (Finanz-)Dienstleistungsverkehr umfassen sollte. Dabei müssten vorgängig äquivalente Regulierungsvorschriften im Versicherungssektor (insbesondere Kapitalanforderungen) zwischen beiden Staaten sichergestellt sein.

Brexitrelevante Verträge der Schweiz mit der EU

  • EU-Passporting (EU-Vertrag ohne Schweizer Beteiligung und Einfluss)
  • Bilaterale I (insbesondere Personenfreizügigkeit)
  • Abkommen Schweiz-EU über Direktversicherung
  • Freihandelsabkommen Schweiz-EU
  • Abkommen über den Automatischen Informationsaustausch in Steuersachen Schweiz-EU

Finanzmarktinfrastruktur SIX (u.a. Schweizer Börse)

Das Abstimmungsdatum, der 23. Juni 2016, war bereits lange bekannt. So konnte sich SIX auf diesen Tag vorbereiten: Es wurde ein Dispositiv aufgezogen, um Kursschwankungen und hohe Volumina zu absorbieren. Der Brexit verlief aus Börsensicht ohne Zwischenfälle.

Skaleneffekte nur mit Marktzugang realisierbar

Der Marktzugang zu Grossbritannien ist für die Schweizer Finanzmarktinfrastruktur zentral. Im Bereich des Handels und dem Handel nachgelagerten Segmente (Clearing & Settlement) erwirtschaftet SIX bis zu 80 Prozent ihres Umsatzes im europäischen Ausland, insbesondere im Vereinigten Königreich. Derzeit ist unklar, ob Umlagerungen von für SIX relevanten Geschäftsaktivitäten zwischen der Insel und der («Rest-»)-EU vorgenommen werden, respektive wie und zu welchem Zeitpunkt der Marktzugang von Grossbritannien sowohl mit der EU wie auch mit der Schweiz geregelt werden wird. Möglicherweise können die Verhandlungen zwischen der EU und Grossbritannien zeitliche und inhaltliche Auswirkungen auf die Markzutrittsverhandlungen zwischen der EU und der Schweiz haben. In jedem Fall ist es für SIX von vitaler Bedeutung, dass sie zu beiden Märkten weiterhin ungehinderten Zugang hat. Die Geschehnisse werden deshalb sehr genau beobachtet.

Rechtssicherheit für stabile und zuverlässige

Finanzmarktinfrastruktur Es gehört zum Auftrag von SIX, die Sicherheit und Funktionsfähigkeit der Infrastruktur im Interesse des Finanzplatzes auch bei veränderten Umständen sicherzustellen. Mit Blick auf Kunden und Investoren muss die Phase der Rechtsunsicherheit im Kontext des Brexit deshalb möglichst kurz gehalten werden, um allfällig daraus entstehende Nachteile für die Finanzmarktteilnehmer aus den betroffenen Märkten zu verhindern.

Beratung

Aktuelle Bedeutung des britischen Marktes

Der bilaterale Handel mit Grossbritannien ist für die Schweizer Beratungsbranche nicht von grosser Bedeutung. Es werden dort auch keine wesentlichen Investitionen getätigt. Entsprechend ist der Umfang der grenzübergreifenden Dienstleistungserbringung im Verhältnis zum Gesamtumsatz nur marginal. Potenziell könnte sich die Attraktivität britischer Beratungsunternehmen als Übernahmekandidaten durch die Abkühlung des lokalen Marktes und die Schwächung des Pfundes erhöhen.

Herausforderung durch Brexit

Obwohl die Beratungsbranche ihre Mitarbeitenden in erster Linie lokal anstellt, sind die Firmen für Kundenprojekte auf spezifische Expertisen angewiesen, die häufig aus dem europäischen Ausland, inklusive Grossbritannien stammen. Zudem kommen umgekehrt auch Schweizer Mitarbeitende mit Spezialwissen (z.B. Banken, Pharma/Chemie, Produktion) für Projekte im Ausland zum Einsatz. Im Hinblick auf den Brexit wäre für Schweizer Beratungsunternehmen deshalb in erster Linie eine Einschränkung der Personenfreizügigkeit eine erhebliche Behinderung. Neue staatsvertragliche Rahmenbedingungen der Schweiz mit Grossbritannien müssen deshalb den gegenseitigen Zugang zum Arbeitsmarkt und die umfassende Anerkennung universitärer respektive gewerblicher Abschlüsse sicherstellen. Darüber hinaus ist eine noch stärkere Kollaboration zwischen Wirtschaft und Hochschulen beider Länder anzustreben.

Brexitrelevante Verträge der Schweiz mit der EU

  • Bilaterale I (insbesondere Personenfreizügigkeit)

Nahrungsmittelindustrie

Aktuelle Bedeutung des britischen Marktes

Der bilaterale Handel mit Grossbritannien ist für die Schweizer Nahrungsmittelindustrie von grosser Bedeutung. Mit knapp 14’000 Tonnen wurde 2015 beispielsweise nur nach Deutschland mehr Schokolade exportiert als auf die britische Insel. Auch im Handel mit Dauerbackwaren (z.B. Zwieback, Biskuits), Zuckerwaren, Bier und Erfrischungsgetränken (z.B. Kaffee) nimmt das Vereinigte Königreich eine wichtige Stellung ein und liegt in den Top 10 der bedeutendsten Export- und Importdestinationen für Schweizer Nahrungsmittelhersteller. Wichtig ist Grossbritannien zudem als Investitionsstandort. So haben verschiedene Schweizer Firmen dort mittlerweile Produktionsstätten, Administration und Verteilzentren aufgebaut.

Herausforderung durch Brexit

Die durch Schweizer Unternehmen verarbeiteten und exportierten Nahrungsmittel haben dank des Freihandelsabkommens mit der EU von 1972 und den Bilateralen I und II uneingeschränkten Marktzugang nach Grossbritannien. Mit dem Brexit könnte dieser gefährdet werden, wodurch sich die Exporte und Importe verteuern dürften. Für zukünftige Investitionen ist nebst einem neuen bilateralen Regelgeflecht mit der Schweiz ausschlaggebend, wie das zukünftige Verhältnis zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich ausgestaltet sein wird. Dabei ist vor allem der Marktzugang massgebend. Gleichzeitig ist für die Firmen auch wichtig, wie sich die Inlandfaktoren der Insel entwickeln (z.B. Unternehmensbesteuerung).

Brexitrelevante Verträge der Schweiz mit der EU

  • Freihandelsabkommen Schweiz-EU
  • Bilaterale I und II

Textilindustrie

Aktuelle Bedeutung des britischen Marktes

Mit einem Exportwert von 35 Millionen Franken war das Vereinigte Königreich 2015 die achtwichtigste Exportdestination für Schweizer Textilien. Dabei machen die technischen Textilien (Filtergewebe, Seile, beschichtete Gewebe) den grössten Anteil aus. Für Schweizer Bekleidung figurierte das Vereinigte Königreich gar auf dem sechsten Platz der wichtigsten Exportmärkte (CHF 45 Mio.).

Herausforderung durch Brexit

Gegenwärtig bestehen mit den vorhandenen Abkommen für die Textil- und Bekleidungsbranche keine nennenswerten Marktzutrittsbarrieren im Handel mit Grossbritannien. Mit dem Brexit könnte sich die Situation ändern, was zu hohen politischen und wirtschaftlichen Unsicherheiten führt. Die Textilbranche ist äusserst währungssensibel und wäre im Falle einer Rezession sowie einer weiteren Abwertung des Euros und des Pfunds aufgrund der hohen Bedeutung des britischen Marktes zusätzlich betroffen. Auch dürfte die derzeit herrschende Rechtsunsicherheit zu stagnierenden Investitionen und einer Verlagerung einzelner Produktionsprozesse aus Grossbritannien nach Deutschland oder Österreich führen.

Inwiefern sich der Handel mit Grossbritannien verändern wird, hängt insbesondere davon ab, ob für Grossbritannien ein separates Freihandelsabkommen ausgehandelt werden kann oder ob Grossbritannien ans FHA von 1972 zwischen der Schweiz und der EU andocken darf. Können die derzeit geltenden Verträge (insbesondere Bilaterale I und II, FHA Schweiz-EU) nicht gleichwertig ersetzt werden, sind etwa höhere Zollabgaben sowie höhere nichttarifäre Handelshemmnisse wie Kennzeichnungspflichten oder unterschiedliche Produktvorschriften beim Import in Grossbritannien zu befürchten. Die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Unternehmen würde damit generell weiter geschwächt. In einem ersten Schritt ist daher der Status quo des gegenwärtigen Vertragswerks (Bilaterale I und II, FHA Schweiz-EU) zu sichern.

Aufgrund der starken Abhängigkeit der Textil- und Bekleidungsindustrie von der EU ist bei einer allfälligen Aushandlung eines separaten Freihandelsabkommens mit Grossbritannien zu beachten, dass dieses in das Paneuropa-Mittelmeer-Übereinkommen (PEM-Konvention) miteingebunden wird. Ohne eine Anbindung Grossbritanniens in die sogenannte «Paneuropa-Mittelmeer-Kumulierungszone» wird die Textil- und Bekleidungsindustrie das Potenzial eines Freihandelsabkommens mit Grossbritannien zu wenig ausschöpfen können. Ein weiteres Anliegen für ein mögliches separates Freihandelsabkommen ist eine Liberalisierung und Modernisierung der Ursprungsregeln und eine Vereinfachung der Ursprungsnachweiserbringung, sofern dies die Einbindung in die PEM-Kumulierungszone nicht beeinträchtigt.

Schliesslich sind im Marktzugang zu Grossbritannien auch ein Abbau der technischen Handelshemmnisse und die Harmonisierung oder die gegenseitige Anerkennung von Vorschriften (z.B. im Bereich Entflammbarkeit, Kinderbekleidung oder dem Verzicht auf EU-spezifische Kennzeichnung der Produkte) anzustreben. Im Hinblick auf die neue Swissness-Gesetzgebung ist wesentlich, dass Grossbritannien und die Schweiz die «Made-in»-Regeln bzw. die Regeln zur Herkunftsangabe gegenseitig anerkennen und in der Schweiz eingetragene Designs und Marken auch im Gebiet des Vereinigten Königreichs geschützt sind.

Brexitrelevante Verträge der Schweiz mit der EU

  • Freihandelsabkommen Schweiz-EU
  • PEM-Konvention
  • Bilaterale I und II (insbesondere technische Handelshemmnisse, Personenfreizügigkeit, Forschungsabkommen, öffentliches Beschaffungswesen)

Hotellerie

Aktuelle Bedeutung des britischen Marktes  

Für die Schweizer Hotellerie ist Grossbritannien der viertwichtigste Markt als Herkunftsland von Übernachtungsgästen (nach Schweiz, D, USA). Britische Gäste generierten 2015 insgesamt 4,6 Prozent (1,6 Millionen) der Logiernächte in Schweizer Hotels. Über die letzten zehn Jahre war jedoch ein Rückgang von gesamthaft über 40 Prozent zu verzeichnen. Der Geschäftsfremdenverkehr der britischen Gäste findet vor allem in Zürich und Genf, jener der Feriengäste im Wallis und im Berner Oberland statt.

Herausforderung durch Brexit

Noch ist für die Branche nicht absehbar, wie stark sich ein Brexit langfristig auf den Reiseverkehr in die Schweiz auswirken wird. Im Falle eines Wirtschaftsrückgangs, steigender Arbeitslosigkeit und einer deutlichen Abschwächung des Pfunds gegenüber dem Schweizer Franken sind jedoch negative Konsequenzen für den Schweizer Tourismus und die Schweizer Hotellerie zu erwarten. Aus Sicht der Branche ist deshalb wichtig sicherzustellen, dass der Reiseverkehr zwischen Grossbritannien und der Schweiz weiterhin ungehindert und wie bisher ohne Visapflicht erfolgen kann.

Brexitrelevante Verträge der Schweiz mit der EU

  • Bilaterale II (insbesondere Schengener Übereinkommen)

Luftfahrtindustrie

Aktuelle Bedeutung des britischen Marktes  

Grossbritannien ist für den Schweizer Luftverkehr von grosser Bedeutung, was generell die engen Wirtschaftsbeziehungen zwischen den beiden Ländern widerspiegelt. 2015 reisten 2,8 Millionen Passagiere per Flugzeug aus der Schweiz ins Vereinigte Königreich. Damit ist die Insel, gemessen am Passagiervolumen, der grösste Markt innerhalb Europas (sogar noch vor Deutschland). Swiss International Airlines alleine bietet wöchentlich 161 Verbindungen nach Grossbritannien an. Zu erwähnen ist ferner easyJet mit regelmässigen Verbindungen insbesondere ab Basel und Genf. Pro Tag werden aus der Schweiz mehr Flugverbindungen nach London (weltweit drittgrösster Flughafen) angeboten, als IC-Verbindungen der SBB zwischen Zürich und Bern existieren.  

Herausforderung durch Brexit

Die Auswirkungen des Brexit auf die Luftfahrt hängen stark vom zukünftigen Marktzugang der Schweizer Wirtschaft nach Grossbritannien generell ab. Eine Verschlechterung dürfte sich entsprechend negativ auf die Volumen im Luftverkehr zwischen der Schweiz und dem Vereinigten Königreich auswirken. Sinken dürfte insbesondere die Anzahl britischer Touristen, die – insbesondere im Winter – die Schweiz besuchen. Sollte sich das Pfund gegenüber dem Schweizer Franken weiter abschwächen, wird die Schweiz zu einer sehr teuren Destination. Derzeit wird der bilaterale Marktzugang im Luftverkehr über das Luftverkehrsabkommen Schweiz-EU geregelt (Bilaterale I). Mit Ausnahme der wirtschaftlich wenig bedeutsamen Kabotage (Transportdienstleistungen innerhalb eines Landes durch ein ausländisches Verkehrsunternehmen) existieren somit keine Restriktionen. Nach dem Austritt Grossbritanniens wird dieses Abkommen jedoch nicht länger als Grundlage funktionieren. Als Ersatz verfügt die Schweiz einzig über ein bilaterales Luftverkehrsabkommen aus dem Jahr 1950, das nicht mehr zeitgemäss ist und ersetzt werden muss. Wünschbar wäre in diesem Zusammenhang ein liberales Standardabkommen. Da sowohl die britische wie auch die Schweizer Luftfahrt nach EU-Recht reglementiert sind (EASA-Standards), muss zudem Klarheit über die Rolle der Union in diesem Zusammenhang geschaffen werden. Abweichungen im bilateralen Abkommen zwischen Grossbritannien und der Schweiz sind wenn immer möglich zu vermeiden.

Brexitrelevante Verträge der Schweiz mit der EU

  • Bilaterale I (insbesondere Luftverkehrsabkommen)

Medtech-Industrie

Aktuelle Bedeutung des britischen Marktes

Mit einem Handelsvolumen von über 500 Millionen Franken figuriert Grossbritannien auf Rang 8 respektive 7 der wichtigsten Export- und Importmärkte der Branche. Nebst bilateralem Handel produzieren einzelne Unternehmen der Branche auch direkt im Vereinigten Königreich und sind teils namhafte Arbeitgeber. Zimmer Biomet beispielsweise beschäftigt derzeit rund 1000 Angestellte an verschiedenen Standorten auf der Insel. Gemäss einer aktuellen Schweizer Branchenstudie (vor dem Brexit-Votum) haben zudem 17 Prozent der befragten Unternehmen bereits Investitionen in Grossbritannien getätigt oder planen dies zu tun.

Herausforderung durch Brexit

Medtech-Unternehmen, die für den Weltmarkt produzieren, haben stets die jeweiligen regulatorischen Anforderungen der Zielmärkte zu erfüllen. In Bezug auf Grossbritannien waren dies bisher jene der EU. Der Markteintritt mit einem neuen Produkt wurde bisher im europäischen Markt als vergleichsweise (z.B. gegenüber USA, China) effizient eingestuft, trotz hoher Patientensicherheit. Allerdings stellt sich nun unter anderem die Frage, ob das Vereinigte Königreich im Zuge des Brexit eigene und abweichende Vorschriften erlassen wird (z.B. Produktvorschriften, Datenschutz, separate Prüf- und Zertifizierungsstellen). Auch der Fortbestand des freien Personenverkehrs und Entwicklungen der britischen Steuerpolitik sind für Firmenstandorte in Grossbritannien von Bedeutung. Entsprechend dürften die ursprünglich positiven Wachstumserwartungen für den britischen Markt noch Korrekturen erfahren.

Brexitrelevante Verträge der Schweiz mit der EU

  • Freihandelsabkommen mit der EU
  • Abkommen zur Errichtung der EFTA
  • Bilaterale I
  • Abkommen Schweiz-EU über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen (MRA)
  • Diverse EU-Verordnungen und Richtlinien, die für den Marktzutritt relevant sind und über das MRA sowie die Verankerung im Schweizer Recht auch hierzulande gelten. Dazu zählen die geltenden EU-Richtlinien betreffend Medizinprodukten und In-Vitro-Diagnostika, die Anfang 2017 durch zwei neue EU-Verordnungen ersetzt werden (MDR/IVDR).

Fazit der Branchenumfrage

Grossbritannien hat für die meisten Branchen der Schweizer Wirtschaft eine grosse Bedeutung – und zwar für Waren, Dienstleistungen und Investitionen gleichermassen. Nennenswerte Probleme und Hindernisse in den bilateralen Wirtschaftsbeziehungen im Güterhandel bestehen momentan nicht. Zwar verfügen Finanzdienstleister aus der Schweiz über keinen direkten Zugang zur Insel und zur EU generell. Über Niederlassungen in London, dem wichtigsten Finanzplatz Europas, kann diesem Nachteil jedoch heute gut begegnet werden (EU-Passporting). Zusätzlich bedienen die Institute von dort aus auch die internationale Kundschaft effizient. Aufgrund des starken Frankens und des schwachen Pfunds sind viele Unternehmen in Grossbritannien und der Schweiz allerdings bereits heute stark gefordert. Eine Rezession auf der Insel aufgrund eines sich verschlechternden Wirtschaftsumfelds würde die Herausforderungen zusätzlich erhöhen.

Beunruhigend für viele Schweizer Unternehmen ist im Zuge des Brexit insbesondere der drohende Verlust eines heute ausgezeichneten Marktzugangs nach Grossbritannien. Neue tarifäre und nichttarifäre Handelshemmnisse oder im Vergleich zur EU abweichende Produktvorschriften würden den Handel zusätzlich belasten. Die Finanzdienstleistungsunternehmen befürchten darüber hinaus, dass London den privilegierten Zugang in die EU verlieren könnte.

Alle diese Faktoren bedeuten eine hohe Rechtsunsicherheit für Schweizer Unternehmen. Diese wiegt schwer und wird zusätzlich durch die bevorstehenden Austrittsverhandlungen Grossbritanniens mit der EU beeinflusst, deren Ausgang derzeit schwer vorauszusagen ist. Entsprechend heikel ist es für die Unternehmen derzeit, in Bezug auf Grossbritannien langfristige strategische Entscheide zu fällen.

Bereits heute ist klar, dass insbesondere der Wegfall der Bilateralen Verträge I und II, des Freihandelsabkommens der Schweiz mit der EU sowie ausgewählter branchenspezifischer Abkommen mit Blick auf die Wirtschaftsbeziehungen mit Grossbritannien eine grosse Lücke öffnen, die es rasch zu schliessen gilt. Für sämtliche Branchen ist deshalb eine gleichwertige bilaterale Vertragslösung mit dem Vereinigten Königreich von höchster Bedeutung. Diese soll nebst Gütern zusätzlich auch den Dienstleistungshandel mit der Insel liberalisieren.