# 15 / 2016
21.12.2016

Brexit und die Schweiz

Brexit und die Schweiz

Nicht nur für Grossbritannien und die EU wird der Brexit weitreichende Konsequenzen haben. Auch die Schweiz ist aufgrund der engen wirtschaftlichen Verflechtung vom Austritt der Insel aus der EU nachhaltig betroffen. Liberale Wirtschaftssysteme und offene Märkte geniessen sowohl für die Schweiz wie auch für das Vereinigte Königreich hohe Priorität. Die Auswirkungen des Brexit gestalten sich für jede Branche unterschiedlich. Für die Schweiz geht es ausserdem auch darum, die politischen Effekte auf die laufenden Verhandlungen mit der EU (z.B. Masseneinwanderungsinitiative oder institutionelles Rahmenabkommen) zu berücksichtigen.

Wichtiger Handelspartner für Schweizer Unternehmen

Grossbritannien ist für die Schweizer Wirtschaft im Hinblick auf Handel und Investitionen ein äusserst wichtiger Partner. Davon zeugen beispielsweise auch die rund 80 direkten Flugverbindungen pro Tag zwischen beiden Ländern. Im Vergleich zu 2011 hat sich der bilaterale Warenhandel mehr als verdoppelt. Heute verfügt die Schweiz nur mit den USA über eine noch positivere Handelsbilanz (+5 Mrd. CHF UK; +16 Mrd. CHF USA, ohne Edelmetalle).  

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Hoch im Kurs im Handel mit Grossbritannien stehen Chemie- und Pharmaprodukte, Maschinen und Fahrzeuge sowie Uhrmacherwaren.

2016 wurden Waren im Gesamtwert von rund 11 Milliarden Franken aus der Schweiz nach Grossbritannien exportiert oder von dort importiert. Hoch im Kurs stehen insbesondere Chemie- und Pharmaprodukte, Maschinen und Fahrzeuge sowie Uhrmacherwaren. An diesen Zahlen gemessen ist Grossbritannien für Schweizer Unternehmen der fünftwichtigste Handelspartner überhaupt. Hinzu kommt der Handel mit Edelmetallen, der sich im selben Zeitraum auf 32 Milliarden Franken belief.

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Grossbritannien ist der fünftwichtigste Exportmarkt für die Schweizer Wirtschaft.

Bedeutsam und breit diversifiziert ist gemäss den Zahlen der Schweizerischen Nationalbank auch der Dienstleistungshandel mit Grossbritannien. Seit 2012 haben sich die Exporte um 20 Prozent auf 8,1 Milliarden Franken im Jahr 2015 erhöht. Hingegen sind die Dienstleistungsimporte im selben Zeitraum um rund drei Prozent gesunken (2015: CHF 6,3 Mrd.).

Auch gemessen an den Direktinvestitionen lässt sich das enge wirtschaftliche Verhältnis verdeutlichen: Das Vereinigte Königreich ist für Schweizer Unternehmen das weltweit fünftwichtigste Ziel für Direktinvestitionen – hinter den USA, Luxemburg, den Niederlanden und Irland. Der Kapitalbestand dieser Unternehmen auf der Insel war 2015 gar deutlich höher (CHF 51 Mrd.) wie in Deutschland (CHF 38 Mrd.). Gleichzeitig sind die vielen in der Schweiz ansässigen britischen Unternehmen für den hiesigen Standort von grosser Bedeutung. Mit über 31 Milliarden Franken an Direktinvestitionen sind sie wichtiger als jene aus Italien und liegen damit an sechster Stelle. Umgekehrt beschäftigen Schweizer Unternehmen derzeit in Grossbritannien 92’758 Personen. Das ist fast viermal mehr, als britische Gesellschaften in der Schweiz (26’690 Personen).

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Die Schweizer Direktinvestitionen in Grossbritannien sind bedeutend grösser als jene in Deutschland. 

Schweizer Markt auch für Grossbritannien wichtig

Die wirtschaftliche Vernetzung beider Länder ist jedoch auch aus britischer Perspektive alles andere als vernachlässigbar. Für Grossbritannien war die Schweiz 2016 der sechstwichtigste Exportmarkt für Güter weltweit. Bei den Importen lag die Schweiz mit Platz 11 ebenfalls auf den vorderen Rängen. Für die Insel ist die Schweiz nach China der stärkste Wachstumsmarkt für Exporte weltweit.

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Die Schweiz ist der drittwichtigste Exportmarkt für Waren und Dienstleistungen.

Für beide Länder ist zudem der Dienstleistungssektor von grosser Bedeutung. Hier nimmt die Schweiz als Zielmarkt für britische Unternehmen eine wichtige Stellung ein. 2014 war die Schweiz mit umgerechnet rund 11 Milliarden Franken drittwichtigste Exportdestination für Dienstleistungen aus Grossbritannien (ohne Reisen, Transport und Banking) weltweit. Betreffend der Importe belegt die Schweiz Rang 6 (CHF 2,7 Mrd.).

Zusammen mit dem Handel von Waren und Dienstleistungen ist auch der Stellenwert der Schweiz im Bereich der Direktinvestitionen gewachsen und liegt aktuell auf Rang 4 der wichtigsten Direktinvestoren in Grossbritannien – direkt hinter der EU, den USA und Japan. Umgekehrt ist die Schweiz heute auch das viertwichtigste Ziel für Direktinvestoren der Insel, noch vor Australien oder Singapur. Der Bestand an Direktinvestitionen aus Grossbritannien hat sich in den letzten zehn Jahren um über 180 Prozent erhöht.

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Hinter der EU und den USA sind Schweizer Unternehmen die drittwichtigsten Direktinvestoren auf der Insel.

Wie die vorangehenden Zahlen aufzeigen, sind die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Schweiz und Grossbritannien für beide Seiten von grosser Bedeutung. Umso wichtiger ist es, dass die im Zuge des Brexit entstandene Rechtsunsicherheit möglichst schnell verringert werden kann. In diesem Zusammenhang ist eine rasche Klärung des zukünftigen vertraglichen Regelwerks zwischen Grossbritannien und der Schweiz von vitaler Bedeutung.

Bisheriges Vertragswerk ist auf Grossbritannien nicht mehr anwendbar

Mit dem Beitritt des Vereinigten Königreichs zur EU im Jahr 1973 hat sich auch für die Schweiz das vertragliche Verhältnis zur Insel grundlegend geändert: Bei all jenen Rechtsgebieten, in denen sich für Grossbritannien eine Änderung der Zuständigkeiten hin zur EU ergeben hat, war nun Letztere stellvertretend für ihre Mitgliedstaaten für den Abschluss neuer Verträge zuständig – auch für jene mit der Schweiz. Diese derzeit über 100 bilateralen Verträge gewähren Schweizer Unternehmen denselben privilegierten Marktzugang in alle EU-Mitgliedstaaten. Scheidet nun Grossbritannien aus der EU aus, wird gemäss Artikel 50 des Lissabonner EU-Vertrags das gesamte Vertragswerk zwischen der EU und der Schweiz nicht mehr auf das Vereinigte Königreich anwendbar sein.

Ohne vertragliche Anschlusslösung drohen beide Länder in ihren Beziehungen somit auf bestehende multilaterale Abkommen (z.B. WTO) und auf eine kleine Auswahl bilateraler Verträge zurückzufallen. Diese stammen teils noch aus dem 19. Jahrhundert und genügen den derzeitigen Anforderungen über weite Strecken nicht mehr. Auch befassen sie sich in den wenigsten Fällen mit zentralen wirtschaftsrelevanten Belangen. Schweizer Unternehmen wären dadurch etwa betreffend Marktzugang, technischer Handelshemmnisse, im öffentlichen Beschaffungswesen oder in Güter- und Personenverkehrsfragen massgeblich schlechtergestellt als heute. Dies schafft grosse Rechtsunsicherheit.

Bundesrat und Verwaltung sind bereits aktiv

Da die Schweiz auch künftig ein grosses Interesse daran hat, enge Beziehungen zum Vereinigten Königreich zu unterhalten, muss sie sich in dieser Situation als eine aktive und konstruktive Partnerin mit klaren Positionen zeigen. Der Bundesrat verfolgt den Diskussionsprozess und die Geschehnisse in Grossbritannien deshalb seit mehreren Monaten aufmerksam und hat über verschiedene Kanäle Kontakt zur britischen Regierung aufgenommen, um über das weitere Vorgehen zu diskutieren. Gleichzeitig werden die Austrittsverhandlungen auch im Rahmen einer interdepartementalen Arbeitsgruppe und Vorschläge zur Regelung der künftigen Beziehungen erarbeitet. Dabei wird der enge Austausch mit Vertretern der Wirtschaft regelmässig gepflegt.

Brexit beeinflusst Verhältnis der Schweiz zur EU

Der Brexit beeinflusst auch die Verhandlungen der Schweiz mit der EU über die die Weiterentwicklung der bilateralen Verträge. Die EU nimmt derzeit sowohl gegenüber der Schweiz, wie auch Grossbritannien eine harte Haltung ein. Diese Dogmatik liegt aber auch an der noch fehlenden EU-Positionierung in zentralen Bereichen. Dies wird sich ändern, sobald die EU ihre Kernpunkte bei den Brexit-Verhandlungen definiert hat und auch EU-interne Reformen angegangen werden.    

Die EU steht in diesem Zusammenhang vor der Herausforderung, dass Zugeständnisse an die Schweiz ihre Position gegenüber Grossbritannien bei den 2017 zu führenden Austrittsverhandlungen schwächen könnten.  Gegenüber Grossbritannien hat die EU vor dem Referendum konkrete Vereinbarungen angeboten. Diese sind mit dem Votum vom 23. Juni zwar hinfällig, haben aber den Handlungsspielraum abgesteckt. Da die Migrationspolitik auch EU-intern ein umstrittenes Thema bleiben wird, kann von Anpassungen ausgegangen werden. Gleichzeitig hat die EU selbst ebenfalls ein starkes Interesse an einer tragfähigen Lösung in der Migrationspolitik mit der Schweiz, bevor die intensiven Austrittsverhandlungen mit Grossbritannien beginnen.
 

Wird Grossbritannien EFTA-Mitglied?

In der Diskussion um den Brexit wurde auch ein EFTA-Beitritt ins Spiel gebracht. Grossbritannien war 1960 selbst Mitgründerin der Europäischen Freihandelsassoziation, hat diese dann aber im Zuge ihres Beitritts zur EU verlassen. Die EFTA zählt gegenwärtig vier Mitglieder (Schweiz, Norwegen, Island, Liechtenstein) und verfügt über ein weitreichendes Netz an gegenwärtig 27 Freihandelsabkommen mit insgesamt 38 Staaten. Die Mitgliedstaaten bleiben in ihrer Handelspolitik frei und können auch eigene bilaterale Freihandelsabkommen abschliessen.

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Wie die EU unterhält auch die EFTA ein weitreichendes Netz an Freihandelsabkommen.

Derzeit sind die Beziehungen zwischen Grossbritannien und den EFTA-Mitgliedern Island, Liechtenstein und Norwegen im Rahmen des EWR geregelt, jene zwischen Grossbritannien und der Schweiz im Rahmen der bilateralen Verträge mit der EU. Gegenwärtig gibt es keinen Hinweis darauf, dass die britische Regierung eine EFTA-Mitgliedschaft anstrebt.

Grafik 11

Die Mehrheit der Branchen erwartet eine rückläufige Markdynamik im Geschäft mit Grossbritannien.