Spital der Zukunft: höhere Patientensicherheit zu deutlich tieferen Kosten
Eine hohe Qualität im Schweizer Gesundheitswesen ist keine Selbstverständlichkeit. Um sie zu halten und gleichzeitig das Kostenwachstum zu begrenzen, ist viel Innovationsgeist nötig. Dies betrifft jedoch nicht nur neue Behandlungsmethoden oder Medikamente, sondern insbesondere auch die logistischen Prozesse. Verbesserungspotenzial besteht vor allem dort, wo diese Prozesse besonders komplex sind, wie im Krankenhaus. Mit der Studie «Spital der Zukunft» haben sich GS1 Schweiz und der Wirtschaftsdachverband economiesuisse zum Ziel gesetzt, logistische Schnittstellen ausfindig zu machen und Verbesserungsmöglichkeiten aufzuzeigen.
Exemplarisch untersucht wurde der Medikationsprozess, von der Patientenaufnahme im Spital bis zum Austritt. Bereits hier zeigen sich häufig Probleme, wie Fridolin Marty, Leiter Gesundheitspolitik bei economiesuisse, in Zürich vor den Medien betonte: «Medikationsfehler machen zusätzliche Behandlungen notwendig und führen
zu Langzeitschäden oder im Extremfall sogar zum Tod.» Die Versorgungskette sei heute durch zahlreiche Schnittstellen gekennzeichnet, die den Informationsfluss behindern oder gar unterbrechen. Ursachen dafür gibt es gemäss Marty zahlreiche: Die Akteure haben kein gemeinsames Verständnis des Problems, oft wird zwischen analogen und digitalen Kommunikationsmedien gewechselt und es fehlen anerkannte Standards.
Wichtige Stakeholder eingebunden
Um mit der Untersuchung eine breit abgestützte Initiative zur Optimierung des Gesundheitswesens zu lancieren, wurden viele wichtige Stakeholder eingebunden – darunter auch Vertreter der Spitäler, der Krankenkassen und der Medikamentenhersteller. Mit der Unterstützung des Projekts wolle man einen Beitrag an die Verbesserung der Patientensicherheit leisten, betonte Jean-Christophe Britt, Director Public Affairs von Novartis. Ein besonderes Anliegen ist ihm die «letzte Meile»: die Nachverfolgbarkeit eines Medikaments bis zur direkten Anwendung, die heute nicht gewährleistet sei.
Für die Autoren der Studie, Prof. Jürgen Holm und Prof. Michael Lehmann von der Berner Fachhochschule, ist der Informationsfluss denn auch das entscheidende Element für eine sichere Versorgungskette im Spital der Zukunft. Gemäss Holm ist dieser heute keineswegs sichergestellt: «Viele manuelle Eingriffe und Medienbrüche im Versorgungsablauf verschlechtern die Effizienz und Effektivität.» Um eine reibungslos funktionierende Supply Chain zu erreichen, brauche es die Integration von ICT-Systemen im Spital. Die Leistungserbringer müssten mit der Logistik, Spitaladministration und -informatik ein gemeinsames Verständnis der Prozesse entwickeln, Standards einführen und umsetzen, erklärte Holm.
Erfolgreicher Praxistest in Biel
Um die sehr komplexen Abläufe im Spital überhaupt zu verstehen, haben die Studienautoren das Analyseinstrument IXPRA (Interface Crossculture Process Analysis) entwickelt. Es ermöglicht, alle Prozesse sehr praxisnah und in einem beliebig wählbaren Detailgrad abzubilden. Für jeden Teilschritt werden die Anwendungen, die involvierten ICT-Systeme und die handelnden Akteure verzeichnet. «Dank diesem Vorgehen wird rasch sichtbar, an welchen Stellen der Informationsfluss unterbrochen wird», so Holm.
Konkret getestet wurde dies im Spitalzentrum Biel. Laut Spitaldirektor Bruno Letsch konnte durch die Anwendung von IXPRA ein gemeinsames Verständnis für die Prozesse geschaffen werden. Es wurden problematische Schnittstellen identifiziert und behoben, indem man zum Beispiel auf der 2014 neu geschaffenen Lean Bettenstation eine abgetrennte Medikamentenrichtzone schuf und die Aufgaben zwischen Pflege und Spitalapotheke neu zuordnete. Letsch zog ein sehr positives Fazit: «Eine hohe Patientensicherheit und Prozesseffizienz sind strategische Erfolgsfaktoren für die Spitäler. Die Studie hat uns geholfen, Verbesserungspotenziale zu erkennen und praxistaugliche Massnahmen umzusetzen.»
Politische Schritte nötig
Für Erwin Zetz, der das Projekt bei GS1 Schweiz betreute, ist der Nutzen der Methode offensichtlich. Nur wer alle Stakeholder an einen Tisch hole und die Prozessabläufe sauber analysiere, könne unnötige Schnittstellen eliminieren, ohne neue zu schaffen. «Das erhöht nicht nur die Effizienz auf allen Ebenen und hilft, Kosten zu sparen. Vor allem sorgt es für eine klare Verbesserung der Behandlungsqualität und Patientensicherheit.» Die Methode stosse allerdings an ihre Grenzen, wenn die Abläufe nicht über das einzelne Spital hinaus analysiert und verbessert würden. Hierzu sei auch politische Unterstützung nötig, insbesondere das Einfordern eines wirksamen Qualitätsmanagements und die Förderung von eHealth auf nationaler Ebene.