Spi­tal der Zu­kunft: hö­he­re Pa­ti­en­ten­si­cher­heit zu deut­lich tie­fe­ren Kos­ten

Das Ge­sund­heits­we­sen der Schweiz ge­niesst einen aus­ge­zeich­ne­ten Ruf. Ent­spre­chend er­war­ten die Pa­ti­en­tin­nen und Pa­ti­en­ten ein hohes Mass an Qua­li­tät, Ef­fi­zi­enz und Si­cher­heit. Doch ge­ra­de in die­sen Be­rei­chen be­steht Ver­bes­se­rungs­po­ten­zi­al: Noch viel zu häu­fig kommt es bei­spiels­wei­se in Spi­tä­lern zu Feh­lern bei der Ab­ga­be von Me­di­ka­men­ten – manch­mal mit töd­li­chen Fol­gen. Im Auf­trag von GS1 Schweiz und eco­no­mie­su­is­se hat die Ber­ner Fach­hoch­schu­le des­halb die lo­gis­ti­schen Pro­zes­se hin­ter der Me­di­ka­men­ten­ab­ga­be in Kran­ken­häu­sern un­ter­sucht und ein In­stru­ment ent­wi­ckelt, wie diese ge­zielt ver­bes­sert wer­den kön­nen. Im Spi­tal­zen­trum Biel wurde die Me­tho­de be­reits er­folg­reich an­ge­wandt.

Eine hohe Qua­li­tät im Schwei­zer Ge­sund­heits­we­sen ist keine Selbst­ver­ständ­lich­keit. Um sie zu hal­ten und gleich­zei­tig das Kos­ten­wachs­tum zu be­gren­zen, ist viel In­no­va­ti­ons­geist nötig. Dies be­trifft je­doch nicht nur neue Be­hand­lungs­me­tho­den oder Me­di­ka­men­te, son­dern ins­be­son­de­re auch die lo­gis­ti­schen Pro­zes­se. Ver­bes­se­rungs­po­ten­zi­al be­steht vor allem dort, wo diese Pro­zes­se be­son­ders kom­plex sind, wie im Kran­ken­haus. Mit der Stu­die «Spi­tal der Zu­kunft» haben sich GS1 Schweiz und der Wirt­schafts­dach­ver­band eco­no­mie­su­is­se zum Ziel ge­setzt, lo­gis­ti­sche Schnitt­stel­len aus­fin­dig zu ma­chen und Ver­bes­se­rungs­mög­lich­kei­ten auf­zu­zei­gen.

Ex­em­pla­risch un­ter­sucht wurde der Me­di­ka­ti­ons­pro­zess, von der Pa­ti­en­ten­auf­nah­me im Spi­tal bis zum Aus­tritt. Be­reits hier zei­gen sich häu­fig Pro­ble­me, wie Fri­do­lin Marty, Lei­ter Ge­sund­heits­po­li­tik bei eco­no­mie­su­is­se, in Zü­rich vor den Me­di­en be­ton­te: «Me­di­ka­ti­ons­feh­ler ma­chen zu­sätz­li­che Be­hand­lun­gen not­wen­dig und füh­ren
zu Lang­zeit­schä­den oder im Ex­trem­fall sogar zum Tod.» Die Ver­sor­gungs­ket­te sei heute durch zahl­rei­che Schnitt­stel­len ge­kenn­zeich­net, die den In­for­ma­ti­ons­fluss be­hin­dern oder gar un­ter­bre­chen. Ur­sa­chen dafür gibt es ge­mäss Marty zahl­rei­che: Die Ak­teu­re haben kein ge­mein­sa­mes Ver­ständ­nis des Pro­blems, oft wird zwi­schen ana­lo­gen und di­gi­ta­len Kom­mu­ni­ka­ti­ons­me­di­en ge­wech­selt und es feh­len an­er­kann­te Stan­dards.

Wich­ti­ge Sta­ke­hol­der ein­ge­bun­den
Um mit der Un­ter­su­chung eine breit ab­ge­stütz­te In­itia­ti­ve zur Op­ti­mie­rung des Ge­sund­heits­we­sens zu lan­cie­ren, wur­den viele wich­ti­ge Sta­ke­hol­der ein­ge­bun­den – dar­un­ter auch Ver­tre­ter der Spi­tä­ler, der Kran­ken­kas­sen und der Me­di­ka­men­ten­her­stel­ler. Mit der Un­ter­stüt­zung des Pro­jekts wolle man einen Bei­trag an die Ver­bes­se­rung der Pa­ti­en­ten­si­cher­heit leis­ten, be­ton­te Jean-Chris­to­phe Britt, Di­rec­tor Pu­blic Af­fairs von No­var­tis. Ein be­son­de­res An­lie­gen ist ihm die «letz­te Meile»: die Nach­ver­folg­bar­keit eines Me­di­ka­ments bis zur di­rek­ten An­wen­dung, die heute nicht ge­währ­leis­tet sei.

Für die Au­to­ren der Stu­die, Prof. Jür­gen Holm und Prof. Mi­cha­el Leh­mann von der Ber­ner Fach­hoch­schu­le, ist der In­for­ma­ti­ons­fluss denn auch das ent­schei­den­de Ele­ment für eine si­che­re Ver­sor­gungs­ket­te im Spi­tal der Zu­kunft. Ge­mäss Holm ist die­ser heute kei­nes­wegs si­cher­ge­stellt: «Viele ma­nu­el­le Ein­grif­fe und Me­di­en­brü­che im Ver­sor­gungs­ab­lauf ver­schlech­tern die Ef­fi­zi­enz und Ef­fek­ti­vi­tät.» Um eine rei­bungs­los funk­tio­nie­ren­de Sup­p­ly Chain zu er­rei­chen, brau­che es die In­te­gra­ti­on von ICT-Sys­te­men im Spi­tal. Die Leis­tungs­er­brin­ger müss­ten mit der Lo­gis­tik, Spi­tal­ad­mi­nis­tra­ti­on und -in­for­ma­tik ein ge­mein­sa­mes Ver­ständ­nis der Pro­zes­se ent­wi­ckeln, Stan­dards ein­füh­ren und um­set­zen, er­klär­te Holm.

Er­folg­rei­cher Pra­xis­test in Biel
Um die sehr kom­ple­xen Ab­läu­fe im Spi­tal über­haupt zu ver­ste­hen, haben die Stu­di­en­au­to­ren das Ana­lys­e­in­stru­ment IXPRA (In­ter­face Cross­cul­tu­re Pro­cess Ana­ly­sis) ent­wi­ckelt. Es er­mög­licht, alle Pro­zes­se sehr pra­xis­nah und in einem be­lie­big wähl­ba­ren De­tail­grad ab­zu­bil­den. Für jeden Teil­schritt wer­den die An­wen­dun­gen, die in­vol­vier­ten ICT-Sys­te­me und die han­deln­den Ak­teu­re ver­zeich­net. «Dank die­sem Vor­ge­hen wird rasch sicht­bar, an wel­chen Stel­len der In­for­ma­ti­ons­fluss un­ter­bro­chen wird», so Holm. 

Kon­kret ge­tes­tet wurde dies im Spi­tal­zen­trum Biel. Laut Spi­tal­di­rek­tor Bruno Letsch konn­te durch die An­wen­dung von IXPRA ein ge­mein­sa­mes Ver­ständ­nis für die Pro­zes­se ge­schaf­fen wer­den. Es wur­den pro­ble­ma­ti­sche Schnitt­stel­len iden­ti­fi­ziert und be­ho­ben, indem man zum Bei­spiel auf der 2014 neu ge­schaf­fe­nen Lean Bet­ten­sta­ti­on eine ab­ge­trenn­te Me­di­ka­men­ten­richt­zo­ne schuf und die Auf­ga­ben zwi­schen Pfle­ge und Spi­tal­apothe­ke neu zu­ord­ne­te. Letsch zog ein sehr po­si­ti­ves Fazit: «Eine hohe Pa­ti­en­ten­si­cher­heit und Pro­zes­s­ef­fi­zi­enz sind stra­te­gi­sche Er­folgs­fak­to­ren für die Spi­tä­ler. Die Stu­die hat uns ge­hol­fen, Ver­bes­se­rungs­po­ten­zia­le zu er­ken­nen und pra­xis­taug­li­che Mass­nah­men um­zu­set­zen.»

Po­li­ti­sche Schrit­te nötig
Für Erwin Zetz, der das Pro­jekt bei GS1 Schweiz be­treu­te, ist der Nut­zen der Me­tho­de of­fen­sicht­lich. Nur wer alle Sta­ke­hol­der an einen Tisch hole und die Pro­zess­ab­läu­fe sau­ber ana­ly­sie­re, könne un­nö­ti­ge Schnitt­stel­len eli­mi­nie­ren, ohne neue zu schaf­fen. «Das er­höht nicht nur die Ef­fi­zi­enz auf allen Ebe­nen und hilft, Kos­ten zu spa­ren. Vor allem sorgt es für eine klare Ver­bes­se­rung der Be­hand­lungs­qua­li­tät und Pa­ti­en­ten­si­cher­heit.» Die Me­tho­de stos­se al­ler­dings an ihre Gren­zen, wenn die Ab­läu­fe nicht über das ein­zel­ne Spi­tal hin­aus ana­ly­siert und ver­bes­sert wür­den. Hier­zu sei auch po­li­ti­sche Un­ter­stüt­zung nötig, ins­be­son­de­re das Ein­for­dern eines wirk­sa­men Qua­li­täts­ma­nage­ments und die För­de­rung von eHe­alth auf na­tio­na­ler Ebene.