Protektionistische Agrarpolitik ist eine Sackgasse
Der Schweizerische Bauernverband versucht mit seinen jüngsten Forderungen, in der Agrarpolitik das Rad der Zeit zurückzudrehen. Doch mit der Abstimmung über die Ernährungssicherheit hat die Stimmbevölkerung erst kürzlich den vom Bundesrat eingeschlagenen Weg deutlich befürwortet. Der Ernährungssicherheit ist nicht gedient, wenn der unausweichliche Strukturwandel in der Schweizer Landwirtschaft durch eine protektionistische Politik weiter verzögert wird.
Am 24. September 2017 hat die Schweiz dem Gegenvorschlag zur Ernährungssicherheitsinitiative deutlich zugestimmt. Doch obwohl Bundesrat und Parlament klar festgehalten hatten, dass die Vorlage keinerlei gesetzliche Anpassungen nach sich ziehen würde, wird in dieses Abstimmungsergebnis nun sehr viel hineininterpretiert. So auch heute wieder: Der Schweizerische Bauernverband (SBV) hat an seiner Delegiertenversammlung ein Manifest zur Umsetzung des Verfassungsartikels 104a präsentiert und fordert unter anderem, «die Möglichkeiten der Grenzschutzmassnahmen auszuschöpfen». Dabei werden einige wichtige Tatsachen konsequent ausgeblendet:
- Das Schweizer Stimmvolk hat nicht der Initiative des SBV zugestimmt, sondern dem Gegenvorschlag des Parlaments. Dieser wurde von der Wirtschaftskommission des Ständerats (WAK-S) ausgearbeitet. Es lohnt sich nachzulesen, was die Absicht der WAK-S war: Der Gegenvorschlag soll keine rückwärtsgewandten Elemente aufweisen und auch keine neuen Subventionstatbestände schaffen. Das Volk hat somit den bisher eingeschlagenen Weg in der Agrarpolitik bestätigt. Darunter fällt unter anderem eine auf den Markt ausgerichtete Landwirtschaft.
- Die Abstimmung zum Gegenvorschlag zur Ernährungssicherheit war keine Abstimmung über den Grenzschutz. Im Gegenteil: Die WAK-S hat explizit festgehalten, dass der Gegenvorschlag keine protektionistischen Elemente aufweisen darf. Und der Bundesrat wie auch das Parlament haben mehrfach betont, wie wichtig internationale Handelsbeziehungen für die Ernährungssicherheit sind. Sonst gäbe es nicht ausreichend Saatgut, nicht genug Futter für die Tiere, es würde an Küken für die Pouletmast mangeln usw. Und schliesslich deckt die Schweiz bereits heute rund 45 Prozent ihres Lebensmittelbedarfs durch Importe ab.
- Die Verankerung der Nachhaltigkeit bei den grenzüberschreitenden Handelsbeziehungen bedeutet nicht, dass deswegen Handelsschranken ausgebaut werden dürfen. Dieser Passus bedeutet gemäss der WAK-S nur Folgendes: «Aus diesem Grund setzt sich die Schweiz auf internationaler Ebene dafür ein, dass Nachhaltigkeitskriterien beim internationalen Handel stärker berücksichtigt werden.» Einseitige Massnahmen der Schweiz werden nicht vorgesehen, sondern ein Engagement in den multinationalen Organisationen für eine stärkere Berücksichtigung der Nachhaltigkeit.
- Wenn die Konsumenten regionale Produkte wünschen, wie es der Bauernverband wohl richtigerweise behauptet, müssen die Grenzen nicht weiter geschlossen sein. Im Gegenteil: Dies zeigt, dass die Konsumenten auch bei offenen Märkten Schweizer Agrarprodukte kaufen werden. Die Öffnungsschritte beim Käse und beim Wein haben dies eindrücklich unter Beweis gestellt.
- Agrarpolitik ist aus Sicht der gesamten Wertschöpfungskette zu betrachten. Die Lebensmittelindustrie ist auf qualitativ gute Agrarrohstoffe angewiesen, die preislich mit dem Ausland mithalten können. Wenn die Lebensmittelindustrie mehr exportieren kann, werden auch mehr Agrarrohstoffe in der Schweiz nachgefragt.
- Der Bauernverband spricht von einer Verschärfung des Strukturwandels. Die Analysen des Bundesamts für Landwirtschaft zeigen aber, dass der Strukturwandel bei einer Marktöffnung sozialverträglich wäre und nicht massgeblich beschleunigt würde. Er könnte grösstenteils über Hofaufgaben aufgrund von Pensionierungen erfolgen. Es ist deshalb unverständlich, wieso der SBV gleichzeitig klagt, dass rund ein Viertel der Bauern keinen Betriebsnachfolger finden.
- Die Konsumentenpreise sind in der Schweiz ein omnipräsentes Thema. Die Schweizer weichen den hohen Lebensmittelpreisen teilweise aus, der Detailhandel leidet unter dem wachsenden Einkaufstourismus. Mit einer schrittweisen Öffnung der Märkte würden diese Preise sinken und die Konsumenten entlastet – speziell die ärmste Bevölkerungsschicht, bei der die Lebensmittelausgaben einen grösseren Anteil an den Haushaltsausgaben ausmachen.
Mit seinem jüngsten Vorstoss für eine moderne Agrarpolitik missachtet der Bundesrat in keiner Weise den Volkswillen. Die Abstimmung zur Ernährungssicherheit war keine Abstimmung für oder gegen die Öffnung der Agrarmärkte. Eigentlich sind weitere Öffnungsschritte überfällig, damit die internationalen Marktzugänge für die exportierende Industrie verbessert werden können. Die protektionistische Agrarpolitik ist eine Sackgasse.