Strommasten mit Himmel

Man­gel­la­ge: Schwei­zer Fir­men kämp­fen mit Lie­fer­eng­päs­sen und En­er­gie­knapp­heit

Die jüngs­te Um­fra­ge von eco­no­mie­su­is­se zeigt, dass es der Schwei­zer Wirt­schaft wei­ter­hin an wich­ti­gen Vor­pro­duk­ten fehlt. Die Si­tua­ti­on hat sich über den Som­mer nur leicht ent­spannt. Be­reits kün­digt sich die nächs­te Man­gel­la­ge an: Jedes drit­te be­frag­te Un­ter­neh­men kämpft zur­zeit mit Pro­ble­men bei der En­er­gie­be­schaf­fung. Und die Aus­sich­ten las­sen nichts Gutes er­ah­nen. Ein Gross­teil der Schwei­zer Wirt­schaft be­fürch­tet in den kom­men­den Mo­na­ten einen noch stär­ke­ren An­stieg der Strom­prei­se – viele Be­trie­be rech­nen gar mit Ra­tio­nie­run­gen. Und trotz be­trieb­li­cher An­pas­sun­gen: Drei von fünf be­frag­ten Fir­men sind nicht aus­rei­chend auf einen Gas- und Strom­m­an­gel vor­be­rei­tet.

Die Schwei­zer Wirt­schaft lei­det nach wie vor unter feh­len­den Vor­pro­duk­ten und Roh­stof­fen – im Som­mer hat sich die Si­tua­ti­on im Ver­gleich zum Mai die­ses Jah­res nur leicht ent­spannt. In vie­len Bran­chen fehlt es noch immer an not­wen­di­gen Ma­te­ria­li­en. Knapp 60 Pro­zent der be­frag­ten Fir­men be­rich­ten von an­hal­ten­den Lie­fer­schwie­rig­kei­ten. Be­son­ders be­trof­fen sind wei­ter­hin Halb­lei­ter. Doch es feh­len nicht nur Chips, son­dern auch ge­wis­se Kunst­stof­fe und che­mi­sche Er­zeug­nis­se.

Neben den be­kann­ten Pro­duk­ti­ons­eng­päs­sen spielt auch der Ukrai­ne­krieg eine wich­ti­ge Rolle. 70 Pro­zent der Un­ter­neh­men geben bei der jüngs­ten Um­fra­ge von eco­no­mie­su­is­se an, durch den Kon­flikt di­rekt oder in­di­rekt be­trof­fen zu sein. Damit zeich­net sich auch ein hal­bes Jahr nach Kriegs­aus­bruch keine Ent­span­nung ab. Den­noch gibt es auch po­si­ti­ve Ent­wick­lun­gen: Die ge­schlos­se­nen Häfen in China in­fol­ge der strik­ten Null-Covid-Po­li­tik hat­ten noch im Früh­ling zu Lie­fer­ver­zö­ge­run­gen ge­führt. Nun be­rich­ten deut­lich we­ni­ger Fir­men von Trans­port­schwie­rig­kei­ten als noch im Mai. Und auch der Nach­fra­ge­über­hang hat sich ab­ge­baut: Auf­grund des hohen Preis­drucks hat die Kauf­lust in vie­len Sek­to­ren be­reits etwas nach­ge­las­sen.

Neue Man­gel­la­ge bahnt sich an

Nicht ver­rin­gert haben sich hin­ge­gen die Pro­ble­me bei der Per­so­nal­re­kru­tie­rung. Jedes drit­te Un­ter­neh­men gibt an, nicht ge­nü­gend Fach­kräf­te zu fin­den. Im Mai war es noch rund ein Vier­tel. Der Fach­kräf­te­man­gel auf dem Schwei­zer Ar­beits­markt hat damit seit Aus­bruch der Co­ro­na-Pan­de­mie einen neuen Höchst­stand er­reicht. Wäh­rend der Pan­de­mie zö­ger­ten viele Ar­beit­neh­me­rin­nen und Ar­beit­neh­mer, die Stel­le zu wech­seln. Nun füh­ren die sehr guten Job­aus­sich­ten dazu, dass Wech­sel wie­der deut­lich zu­neh­men und Stel­len län­ger un­be­setzt blei­ben.

Hinzu kommt eine wei­te­re Her­aus­for­de­rung: Mehr als ein Drit­tel der Be­frag­ten hat Pro­ble­me bei der En­er­gie­be­schaf­fung. Im Fokus ste­hen dabei die stark stei­gen­den Prei­se für Strom und Gas. Un­ter­neh­men be­rich­ten von teil­wei­se acht­fach hö­he­ren Be­schaf­fungs­kos­ten für Strom als noch im Vor­jahr. Gas ist seit An­fang Jahr fast vier­mal teu­rer ge­wor­den. Und auch der Ben­zin­preis ist seit Jah­res­be­ginn um über die Hälf­te ge­stie­gen. Das bleibt nicht ohne Fol­gen: Sämt­li­che Bran­chen­ver­tre­ter mel­de­ten zu­rück, dass die Ab­satz­prei­se in ihrem Sek­tor be­reits er­höht wer­den muss­ten. Im Schnitt rech­nen die Be­trie­be auch in den kom­men­den Mo­na­ten mit einem Preis­auf­schlag – im Durch­schnitt von rund fünf Pro­zent.

Wirt­schaft be­fürch­tet Ra­tio­nie­run­gen

Und der Druck bleibt hoch. Über 80 Pro­zent der Fir­men rech­nen mit noch hö­he­ren Strom­prei­sen. Zwei Drit­tel der Un­ter­neh­men be­fürch­ten sogar, dass im kom­men­den Win­ter zu wenig Strom ver­füg­bar sein wird. Und auch die Gas­ver­sor­gung sorgt für Sor­gen­fal­ten: Jeder drit­te be­frag­te Be­trieb rech­net mit einer ein­ge­schränk­ten Ver­füg­bar­keit von Gas in die­sem Win­ter. Mehr als die Hälf­te der be­frag­ten Bran­chen wären sehr stark, ein Drit­tel ziem­lich stark von einer sol­chen En­er­gie­knapp­heit be­trof­fen. Ent­spre­chend ver­su­chen sich viele Fir­men auf ein sol­ches Worst-Case-Sze­na­rio vor­zu­be­rei­ten.

Die Be­trie­be legen den Fokus mo­men­tan vor allem auf An­pas­sun­gen für mehr En­er­gie­ef­fi­zi­enz und Fle­xi­bi­li­tät. Drei von fünf Un­ter­neh­men ver­su­chen die be­trieb­li­chen Ab­läu­fe ent­spre­chend zu op­ti­mie­ren. Rund ein Drit­tel plant mehr zu in­ves­tie­ren – in mehr Ef­fi­zi­enz und er­neu­er­ba­re En­er­gie­quel­len. Ge­ra­de In­ves­ti­tio­nen sind aber eine lang­fris­ti­ge An­ge­le­gen­heit. Und Mass­nah­men wie Not­strom­ag­gre­ga­te sind nicht für alle Bran­chen ge­eig­net. Viele In­dus­trie­un­ter­neh­men ge­ste­hen, ihren En­er­gie­be­darf für die Pro­duk­ti­on da­durch gar nicht de­cken zu kön­nen. Das gilt ins­be­son­de­re für die en­er­gie­in­ten­si­ven Fir­men. Sie ste­hen an­ge­sichts der dro­hen­den Man­gel­la­ge vor einem exis­tenz­be­dro­hen­den Pro­blem: Mehr als 60 Pro­zent der Be­frag­ten of­fen­ba­ren, nicht auf eine Strom- und Gas­man­gel­la­ge vor­be­rei­tet zu sein – trotz oben ge­nann­ter Mass­nah­men.

Trotz Mass­nah­men: Vor­be­rei­tung ist schwie­rig

Dass viele Be­trie­be nicht ge­nü­gend vor­be­rei­tet sind, liegt dabei nicht am feh­len­den Wil­len, son­dern an der schwie­ri­gen Aus­gangs­la­ge. Bei einer Ra­tio­nie­rung könn­te ein Teil der Un­ter­neh­men wei­ter pro­du­zie­ren, je­doch müss­ten sie dazu die Pro­duk­ti­on mit ent­spre­chen­den Kos­ten re­du­zie­ren. Für einen gros­sen Teil von ihnen wäre eine Ra­tio­nie­rung noch gra­vie­ren­der: Ein Drit­tel der Fir­men sagt, dass sie mit einer ver­min­der­ten Strom- und Gas­zu­fuhr den Be­trieb nicht auf­recht­er­hal­ten könn­ten. Das gilt be­son­ders für Pro­duk­ti­ons­an­la­gen. Am wich­tigs­ten ist aber die En­er­gie­ver­füg­bar­keit: Bran­chen­über­grei­fend tei­len die Be­frag­ten mit, dass Aus­fäl­le und Un­ter­brü­che in der Strom­ver­sor­gung die ver­hee­rends­ten Aus­wir­kun­gen auf ihr Un­ter­neh­men hät­ten.

Wel­chen Ef­fekt die En­er­gie­knapp­heit auf das Wirt­schafts­wachs­tum haben wird, hängt we­sent­lich vom Aus­mass und der Dauer der Eng­päs­se ab. Die Aus­wir­kun­gen wer­den erst im Laufe der nächs­ten Mo­na­te voll­um­fäng­lich er­sicht­lich wer­den. Eine Ein­schät­zung der Be­frag­ten lässt aber den­noch be­reits heute auf­hor­chen: Die Mehr­heit rech­net auch in den kom­men­den Jah­ren mit Her­aus­for­de­run­gen bei der En­er­gie­ver­sor­gung im Win­ter.


Die Um­fra­ge wurde von eco­no­mie­su­is­se vom 19. Au­gust bis zum 6. Sep­tem­ber 2022 durch­ge­führt. Teil­ge­nom­men haben 295 Or­ga­ni­sa­tio­nen. Die Um­fra­ge deckt alle Lan­des­tei­le ab. 16 Bran­chen­ver­bän­de haben die Um­fra­ge kon­so­li­diert für ihre Bran­che aus­ge­füllt. Die Aus­wer­tung zeigt ein ak­tu­el­les Stim­mungs­bild der Schwei­zer Wirt­schaft. Die Ant­wor­ten wur­den je­weils nicht ge­wich­tet und die Er­geb­nis­se er­he­ben kei­nen An­spruch auf Re­prä­sen­ta­ti­vi­tät.