Gelebte Verantwortung statt erpresserischer Klagen

In der Frühjahrssession muss das Parlament die Behandlung der Unternehmens-Verantwortungs-Initiative abschliessen. Hintergrund der Diskussion ist, wie Schweizer Unternehmen ihre Verantwortung gegenüber Lieferanten und Kunden wahrnehmen. Die Initiative will diese Verantwortung durch einen weltweit beispiellosen Ausbau der Klagemöglichkeiten durchsetzen. Sowohl bei Menschenrechten als auch beim Umweltschutz ist gelebte Verantwortung der bessere Weg.

In meiner früheren Tätigkeit als Delegierte für Handelsverträge des Bundes und auch als Direktorin von economiesuisse habe ich auf Auslandreisen unzählige Schweizer Unternehmen auf der ganzen Welt besucht. Sei es eine Kaffeefabrik von Nestlé in Indien, eine Niederlassung von ABB in Brasilien oder die Produktion eines Textil-KMU in China: Immer wieder war ich beeindruckt von gut geführten Firmen, die der lokalen Bevölkerung Arbeit, Einkommen und Perspektiven bieten. Schweizer Unternehmen im Ausland spiegeln sehr oft schweizerische Tugenden. Durchdachte Organisation, pragmatische Lösungen und Sicherheit. Gleichzeitig ist klar, dass diese Unternehmen in Rahmenbedingungen funktionieren müssen, die punkto Stabilität und Verlässlichkeit nicht mit der Wirtschaftsordnung in der Schweiz vergleichbar sind. Administrative Hürden sind gross, an manchen Orten ist Korruption ein verbreitetes Problem und rechtliche Unsicherheit eine ständige Begleiterin. Kommt dazu, dass soziale, religiöse oder politische Normen den Blick durch die Schweizer Brille trüben. Für die Unternehmen ist die erfolgreiche Navigation im Ausland eine grosse Herausforderung.

Weltweit steigen immer mehr Menschen in die Mittelschicht auf.

Grundsätzlich ist wirtschaftliche Entwicklung die beste Armutsbekämpfung. Das hat sich in den letzten Jahrzehnten eindrücklich gezeigt. Weltweit steigen immer mehr Menschen in die Mittelschicht auf. Der Anteil der Ärmsten, die mit unter zwei US-Dollar pro Tag auskommen müssen, nimmt ab. Zu dieser Erfolgsstory tragen auch Schweizer Unternehmen mit ihrem Engagement im Ausland bei. Wir neigen dazu, nur Negativmeldungen zu sehen und verlieren dabei schnell den Überblick. Insgesamt geht es heute praktisch allen Menschen besser als vor 50 Jahren. Trotzdem bleibt der Handlungsbedarf gross und es gibt neue, riesige Herausforderungen – beispielsweise die Eindämmung des Klimawandels. 

Die UNO nimmt darum mit der Agenda 2030 die Unternehmen in die Pflicht. Das ist gut so, denn wirtschaftliche Entwicklung braucht ethische und ökologische Leitplanken. Menschenrechte müssen im Zusammenhang mit unternehmerischer Tätigkeit gewahrt sein und das Wirtschaften muss weltweit ökologisch nachhaltiger werden. 

Schweizer Unternehmen tragen zur Entwicklung im Ausland bei, darauf dürfen wir stolz sein.

Gerade Schweizer Unternehmen sind bei der Integration der UNO-Prinzipien in ihre täglichen Verhaltensweisen sehr weit und sind weltweit gern gesehene Investoren. Das gilt sowohl für unsere grossen Pharmafirmen als auch für die Industrie. Bei SwissRe bestimmt die Nachhaltigkeit die Einschätzung von Kundenrisiken und die Anlagepolitik. Nestlé engagiert sich gegen Abholzung. ABB und Bühler betreiben in Indien Lehrlingsausbildung nach Schweizer Muster. Doch es sind nicht nur die Konzerne, sondern auch viele KMU, die durch sorgfältige Geschäftspolitik und soziales Engagement Zeichen setzen. So unterstützt die Confiserie Bachmann in der Elfenbeinküste eine Schule. Wir haben die gelebte Verantwortung von Schweizer Unternehmen auf der Website www.verantwortung-leben.ch mit Beispielen dokumentiert. Es darf nicht sein, dass nur aufgebauschte «Negativstories» die öffentliche Diskussion beherrschen. Auf das, was Schweizer Unternehmen für Entwicklung und Fortschritt beitragen, dürfen wir stolz sein. 

Die Initiative schürt Misstrauen.

Gelebte und im Unternehmen verwurzelte Verantwortung ist zweifellos am wirksamsten. Die Unternehmens-Verantwortungs-Initiative setzt an einem ganz anderen Punkt an. Hinter der Initiative steckt die Überzeugung, dass sich Unternehmen nur durch staatliche Zwänge ethisch richtig verhalten. Dies widerspricht fundamental allen Erfahrungen, die ich persönlich im Kontakt mit Niederlassungen von Schweizer Unternehmen im Ausland machen durfte. Das Misstrauen wird mit der Initiative in ein sehr enges rechtliches Korsett gegossen. Es geht nicht einfach um eine Selbstverständlichkeit – wie die Einhaltung der Menschenrechte und die Berücksichtigung des Umweltschutzes –, wie die Initianten verharmlosend sagen. Vielmehr geht es um einen gefährlichen Ausbau der Haftung mit Einführung einer Beweislastumkehr, die es so auf der ganzen Welt nirgendwo gibt. Mit einem Schlag würde der Standort Schweiz gegenüber dem Ausland deutlich benachteiligt. Das sagt der Bundesrat in der Botschaft zur Initiative unmissverständlich.

Verschiedene Ansätze zum Schutz von Mensch und Umwelt

Der Nationalrat hat zwar versucht, die Mechanik der Initiative in einen etwas abgemilderten Gegenvorschlag zu überführen. Doch die Problematik bleibt bestehen. Eine Initiative, die sich nicht an internationale Standards hält, ist auch in Gesetzesform gefährlich für Schweizer Unternehmen. Wie die Initiative öffnet der Gegenvorschlag des Nationalrats Tür und Tor für Klagen gegen Schweizer Firmen. Er ist international nicht abgestimmt und somit letztlich eine schädliche Sonderlösung. Gerade NGO und kirchliche Kreise müssen sich selbstkritisch den Spiegel vorhalten. Oft können sie die geforderten Standards bei sich und in ihrer Lieferkette selbst nicht einhalten. 

Der Bundesrat hat daraufhin den Anstoss für einen Gegenvorschlag gegeben, der sich an der CSR-Richtlinie der EU orientiert. Der Ständerat hat dieses Bundesratskonzept verschärft und um sehr weitgehende Sorgfaltspflichten im Bereich von Kinderarbeit und Konfliktmineralien ergänzt. Der Vorschlag schafft mehr Verbindlichkeit und fordert Schweizer Unternehmen bei zentralen Aspekten der Unternehmensverantwortung sehr viel ab. So verlangt er beispielsweise, dass die Unternehmen ihre Lieferkette frei von Kinderarbeit halten. Das tönt zwar selbstverständlich, bedingt in der Praxis jedoch eine minutiöse Rückverfolgbarkeit beim Einkauf. Der Gegenvorschlag des Ständerats stellt darum keineswegs einen zahnlosen Papiertiger dar. Im Gegenteil: Die lückenlose Dokumentation der Lieferkette ist eine Knacknuss für Unternehmen. Doch die Wirtschaft könnte diesen Kompromissvorschlag der Politik akzeptieren, weil er auf bekannten Instrumenten beruht und international abgestimmt ist. Dass der Gegenvorschlag des Ständerats Zähne hat, bestätigt der Architekt der Nationalratslösung erst kürzlich in der «NZZ»

Die Wirtschaft wird die Initiative entschieden bekämpfen.

Mit oder ohne Gegenvorschlag: Die Wirtschaft wird die extreme Volksinitiative im Falle eines Abstimmungskampfs entschieden bekämpfen. Die Initiative nimmt zwar ein wichtiges Anliegen auf, schiesst aber massiv über das Ziel hinaus. Die Initiative ist für die Schweizer Unternehmen, ihre Mitarbeitenden und den Werkplatz sehr gefährlich. Sie will nicht umsetzbare Kontrollpflichten für Lieferanten einführen und kombiniert diese mit einem massiven, weltweit einmaligen Ausbau der Klagemöglichkeiten. Schweizer Firmen sind durch die Initiative gezwungen, einen bürokratischen Überwachungsapparat aufzubauen. Alle Firmen, auch die KMU, geraten in den Sog der Initiative, weil jedes Unternehmen die neuen Auflagen und Haftungsrisiken per Vertrag an seine Lieferanten weitergeben wird. Aus heutigen Lieferantenverträgen werden Knebelverträge. Gewerbe und Industrie droht ein juristisches Schwarzer-Peter-Spiel, das nichts bringt ausser mehr Bürokratie, mehr Überwachung, mehr Einmischung und ein grösseres Haftungsrisiko – gerade für KMU. 

Die Initiative ist ein Bumerang für Menschenrechte und Umweltschutz.

Die Unternehmens-Verantwortungs-Initiative ist ein Bumerang für Menschenrechte und Umweltschutz. Sie behindert Entwicklung und Fortschritt, indem sie Unternehmen zum Rückzug aus Risikogebieten zwingt. Die Leidtragenden sind dabei in erster Linie Bauern und Gewerbetreibende in Entwicklungs- und Schwellenländern. Die Initiative verletzt und missachtet die Souveränität anderer Staaten, weil ein Vorrang von Schweizer Recht eingeführt wird.