EU und UK spie­len das «Chi­cken-Game»: zum Scha­den aller

Ken­nen Sie das «Chi­cken-Game» oder Feig­lings­spiel? Zwei Fahr­zeu­ge fah­ren auf­ein­an­der zu. Wer zu­erst aus­weicht, hat ver­lo­ren. Wahr­schein­lich ist Ihnen die Va­ri­an­te in «Denn sie wis­sen nicht, was sie tun» ge­läu­fig: James Dean fährt mit einem ge­stoh­le­nen Auto auf eine Klip­pe zu und springt recht­zei­tig ab. Sein Wi­der­sa­cher hin­ge­gen ver­hed­dert sich mit dem Ja­cken­är­mel am Tür­griff und stürzt in die Tiefe. Die Moral der Ge­schich­te ist ein­fach zu er­zäh­len: Im ju­gend­li­chen Leicht­sinn macht man un­sin­ni­ge Dinge, die man spä­ter be­reut.

Zum Brex­it-Poker: Im Mo­ment sind die EU und Gross­bri­tan­ni­en auf fron­ta­lem Kol­li­si­ons­kurs. Die Zeit drängt. Wenn bis Ende März keine an­de­re Lö­sung ge­fun­den wird, kommt es zum har­ten, un­ge­re­gel­ten Aus­tritt von Gross­bri­tan­ni­en aus der Union. In den Fahr­zeu­gen sit­zen ge­wähl­te Po­li­ti­ker, die dem Wohl der Ge­sell­schaft ver­pflich­tet sind, und «sie müss­ten ei­gent­lich wis­sen, was sie tun».

Wie konn­te es so­weit kom­men?

Auf der einen Seite waren die Bri­ten nicht fähig, eine klare Stra­te­gie zu de­fi­nie­ren. Ziem­lich klar war le­dig­lich der Aus­tritt. Doch es gab und gibt immer noch kei­nen Kon­sens auf der Insel, wel­ches künf­ti­ge Ver­hält­nis zur EU man an­stre­ben soll. So stol­per­te man ziem­lich ori­en­tie­rungs­los in die Ver­hand­lun­gen mit Brüs­sel. Die Steu­er­frau des bri­ti­schen Autos ver­sucht zwar Kurs zu hal­ten, fährt aber doch ziem­lich er­ra­tisch auf das EU-Auto zu. Auf der an­de­ren Seite hält die EU an ihren Prin­zi­pi­en fest. Sie to­le­riert keine Son­der­be­hand­lung, er­klärt eine Back­stop-Lö­sung für Nord­ir­land für zwin­gend und ver­langt, dass das Ver­ei­nig­te Kö­nig­reich sei­nen fi­nan­zi­el­len Ver­pflich­tun­gen voll­um­fäng­lich nach­kommt. Spiel­theo­re­tisch ist das nichts an­de­res als eine ver­meint­li­che Selbst­bin­dung, die ein Aus­wei­chen un­mög­lich macht.

Mit an­de­ren Wor­ten: Die bei­den haben sich in eine dumme Lage ma­nö­vriert

So wie es der­zeit aus­sieht, könn­ten Ende März beide Fahr­zeu­ge in­ein­an­der pral­len, weil nie­mand recht­zei­tig aus­weicht. Die volks­wirt­schaft­li­chen Kos­ten eines har­ten Brex­its wären aber sehr gross. Die Bank of Eng­land schätzt, dass die bri­ti­sche Wirt­schafts­leis­tung bei einem un­ge­ord­ne­ten Aus­tritt aus der EU um bis zu zehn Pro­zent ein­bre­chen könn­te. Nie­mand weiss, wie hoch die Kos­ten wirk­lich aus­fal­len wer­den, doch kurz­fris­tig dürf­te es zu tu­mult­ar­ti­gen Vor­gän­gen kom­men: Staus und lange War­te­zei­ten an der Gren­ze von Dover/Ca­lais, Lie­fer­eng­päs­se für Me­di­ka­men­te und Le­bens­mit­tel sowie Pro­duk­ti­ons­ein­brü­che, weil das «just-in-time»-Kon­zept nicht mehr funk­tio­niert. Zudem sind Li­qui­di­täts­pro­ble­me im Fi­nanz­be­reich mög­lich oder Fir­men stel­len die Pro­duk­ti­on ein, weil ihre Pro­duk­te nicht mehr in der EU zu­ge­las­sen sind. Die gros­se und wohl über län­ge­re Zeit an­hal­ten­de Rechts­un­si­cher­heit wird viele Un­ter­neh­men ver­an­las­sen, we­ni­ger in Gross­bri­tan­ni­en zu in­ves­tie­ren. Die Bri­ten soll­ten die Kos­ten eines har­ten Brex­its des­halb nicht un­ter­schät­zen.

Doch auch die EU würde unter einem sol­chen Sze­na­rio Scha­den neh­men. Im­mer­hin er­zie­len die EU-27-Län­der einen Han­dels­bi­lanz­über­schuss mit Gross­bri­tan­ni­en von weit über 100 Mil­li­ar­den Euro. Die Bri­ten sind eben gute Kun­den der eu­ro­päi­schen Wirt­schaft. Ge­ra­de vor dem Hin­ter­grund einer lah­men­den Kon­junk­tur in Eu­ro­pa tut auch die EU gut daran, den po­ten­zi­el­len Scha­den eines har­ten Brex­its nicht zu un­ter­schät­zen.

Es ist darum bei­den Sei­ten zu emp­feh­len, das Chi­cken-Game so­fort ab­zu­bre­chen, bevor es zu spät und der harte Brex­it Rea­li­tät ist.