Energieversorgungssicherheit

Die En­er­gie­wen­de macht uns nicht un­ab­hän­gig vom Aus­land – zum Glück!

Es gibt für die Schweiz hau­fen­wei­se gute Grün­de, von fos­si­len En­er­gie­trä­gern weg­zu­kom­men. Die Un­ab­hän­gig­keit vom Aus­land ge­hört al­ler­dings nicht dazu. Auch Eu­ro­pa wird nicht ohne frem­de Hilfe grün. Zeit für eine ehr­li­che De­bat­te.

Seit dem rus­si­schen An­griff auf die Ukrai­ne haben auch En­er­gie­fach­leu­te einen geo­po­li­ti­schen Rie­cher ent­wi­ckelt: Wir ver­schwen­den jedes Jahr Mil­li­ar­den für Öl und Gas aus dem Aus­land und ma­chen uns damit ab­hän­gig von zu­neh­mend un­si­che­ren Lie­fe­run­gen aus frag­wür­di­ger Her­kunft. Mit dem Umbau der En­er­gie­ver­sor­gung auf Er­neu­er­ba­re wür­den wir uns end­lich die­ser Ab­hän­gig­keit ent­le­di­gen, so der Tenor. Ein eu­ro­päi­scher «En­er­gie-Mer­kan­ti­lis­mus» wird sa­lon­fä­hig – mög­lichst viel ex­por­tie­ren, mög­lichst wenig im­por­tie­ren, wie einst bei Son­nen­kö­nig Louis XIV. Diese Sicht­wei­sen grei­fen zu kurz. Vor allem gäbe es hau­fen­wei­se bes­se­re Ar­gu­men­te, um von fos­si­ler En­er­gie weg­zu­kom­men. Es ist daher scha­de, dass man eine ver­fehl­te Han­dels­po­li­tik und Fan­ta­si­en einer to­ta­len Un­ab­hän­gig­keit be­spie­len muss.

Aber der Reihe nach: Die En­er­gie­märk­te sind welt­weit ver­netzt. Das ist gut so und dürf­te auch in Zu­kunft so blei­ben. Nur dank einem glo­bal li­qui­den Öl- und Gas­markt konn­te sich Eu­ro­pa zum Bei­spiel in kür­zes­ter Zeit über­ra­schend schnell aus der fa­ta­len Ab­hän­gig­keit von rus­si­scher En­er­gie lösen. Der in­te­grier­te Welt­markt war in der Lage, Al­ter­na­ti­ven be­reit­zu­stel­len und Eu­ro­pa aus der Pat­sche zu hel­fen.

Ver­sor­gungs­si­cher­heit ist nicht das Glei­che wie Selbst­ver­sor­gung

Das Bei­spiel zeigt: Ver­sor­gungs­si­cher­heit ist nicht das Glei­che wie Selbst­ver­sor­gung. Auch eine voll­stän­dig er­neu­er­ba­re En­er­gie­ver­sor­gung in Eu­ro­pa wird un­wei­ger­lich in welt­wei­te Lie­fer­ket­ten ein­ge­bun­den sein: Was­ser­stoff kommt zwangs­läu­fig aus dem Süden, und selbst wenn Schwe­den und Finn­land im gros­sen Stil sel­te­ne Erden schür­fen, wer­den PV-Mo­du­le, Bat­te­ri­en oder syn­the­ti­sche Treib­stof­fe in Eu­ro­pa oder gar in der Schweiz nie aus­rei­chend, hoch­wer­tig und güns­tig her­ge­stellt wer­den. Das ist aber auch nicht wei­ter schlimm: Ab­hän­gig­keit ent­steht nicht durch einen glo­ba­len Aus­tausch, son­dern durch Klum­pen­ri­si­ken in den Lie­fer­ket­ten und feh­len­de Di­ver­si­fi­zie­rung beim En­er­gie­mix. Bei den Lie­fer­ket­ten ist der Nach­hol­be­darf rie­sig. Nur ein Bei­spiel: China ist heute mit Ab­stand die gröss­te Pro­du­zen­tin von Fo­to­vol­ta­ik­mo­du­len. Vom hier­für wich­tigs­ten Roh­stoff (Si­li­zi­um) pro­du­ziert es mehr als der rest­li­che Welt­markt zu­sam­men. Ähn­lich sieht es bei den Bat­te­ri­en aus: Von den zehn gröss­ten Bat­te­rie­pro­du­zen­ten der Welt sind fünf chi­ne­sisch. 2019 kon­trol­lier­ten diese Fir­men etwa 60 Pro­zent der ge­sam­ten Wert­schöp­fungs­ket­ten für Li­thi­um-Ionen-Bat­te­ri­en. Eu­ro­pa holt zwar auf, aber viel Pro­duk­ti­ons­ka­pa­zi­tät in un­se­ren Brei­ten­gra­den wird letzt­lich auch chi­ne­sisch kon­trol­liert sein. Das ist aber sehr wohl ein stra­te­gi­sches Klum­pen­ri­si­ko. Zu mei­nen, man soll­te statt­des­sen alles sel­ber ma­chen, führt je­doch vom Regen in die Trau­fe. Auch in einer un­si­che­ren Welt ist Han­del kein Null­sum­men­spiel, son­dern be­güns­tigt alle Be­tei­lig­ten. Stra­te­gi­sche Resi­li­enz ent­steht aus in­tel­li­gen­ten Part­ner­schaf­ten, die eine freie Han­dels­po­li­tik ein­rah­men. Des­halb müs­sen die Schweiz und Eu­ro­pa früh­zei­tig in eine di­ver­si­fi­zier­te, resi­li­en­te Be­schaf­fung von er­neu­er­ba­ren Tech­no­lo­gi­en in­ves­tie­ren und auch den po­li­ti­schen Dis­kurs in Rich­tung einer «wach­sa­men Of­fen­heit» ent­wi­ckeln. Für die Ab­kehr von fos­si­len En­er­gie­trä­gern braucht es das fa­den­schei­ni­ge Nar­ra­tiv «wir gegen den Rest der Welt» hin­ge­gen nicht.

 

Die Erst­pu­bli­ka­ti­on die­ses Bei­trags er­folg­te am 8. März 2023 auf nau.​ch.