Die En­er­gie­kri­se er­laubt über­fäl­li­ge Kurs­kor­rek­tu­ren

Eine durch­dach­te und trag­fä­hi­ge En­er­gie­po­li­tik schafft den Aus­gleich zwi­schen den Ziel­grös­sen Ver­sor­gungs­si­cher­heit, Wirt­schaft­lich­keit und Um­welt­ver­träg­lich­keit. Die­ses fra­gi­le Gleich­ge­wicht ist je­doch aus den Fugen ge­ra­ten: Die Ver­sor­gungs­si­cher­heit mit Strom ist viel­leicht schon die­sen Win­ter ge­fähr­det und die Prei­se gehen durch die Decke. Und mit den hier­zu­lan­de wohl nö­ti­gen Gas- sowie Öl­kraft­wer­ken hat auch das Klima das Nach­se­hen. In Deutsch­land sol­len sogar Braun­koh­le­kraft­wer­ke re­ak­ti­viert wer­den.

Die Be­wäl­ti­gung der ak­tu­el­len Krise ob­liegt pri­mär dem Bun­des­rat, doch das Par­la­ment soll­te die not­wen­di­gen An­pas­sun­gen der en­er­gie­po­li­ti­schen Rah­men­be­din­gun­gen nicht ver­ta­gen: Die Ver­sor­gungs­si­cher­heit war zum einen be­reits vor der ak­tu­el­len Si­tua­ti­on pre­kär. Zum an­de­ren er­laubt die akute Krise nun den ver­schie­de­nen Ak­teu­ren ge­sichts­wah­ren­de Kurs­kor­rek­tu­ren. Wir sehen drei Prio­ri­tä­ten für das Par­la­ment:

  • Die mo­men­tan im Par­la­ment hän­gi­gen Än­de­run­gen der en­er­gie­po­li­ti­schen Rah­men­be­din­gun­gen muss es in Etap­pen an­ge­hen: Auf­grund einer Flut von Vor­la­gen, die im in­nert Wo­chen­frist ver­nehm­lass­ten Strom­schutz­schirm gip­fel­te, wurde das Rah­men­ge­setz zur grund­le­gen­den Neu­ori­en­tie­rung der Strom­ver­sor­gung im Par­la­ment in den Herbst oder sogar Win­ter ver­scho­ben. Der Ge­setz­ge­ber soll­te daher die­je­ni­gen Punk­te aus dem so­ge­nann­ten «Man­tel­erlass» und der «Be­schleu­ni­gungs­vor­la­ge», wel­che die Ver­sor­gungs­si­cher­heit schnell und wirk­sam er­hö­hen, prio­ri­tär be­han­deln.
  • Den Ele­fan­ten im Raum be­nen­nen: Ein Aus­bau er­neu­er­ba­rer En­er­gi­en wird ver­mehrt Le­bens­räu­me sel­te­ner Tiere und Pflan­zen sowie un­be­rühr­te Na­tur­räu­me in An­spruch neh­men. Dies stellt im Rah­men der En­er­gie­stra­te­gie des Bun­des er­ar­bei­te­te Kom­pro­mis­se in­fra­ge, die sich al­ler­dings nicht als be­son­ders trag­fä­hig er­wie­sen haben. Statt nun die Ge­rich­te zu nö­ti­gen, die Pro­jek­te ein­fach durch­zu­win­ken, könn­te der Ge­setz­ge­ber aber eine Liste der wich­tigs­ten und dring­lichs­ten Pro­jek­te ver­ab­schie­den, bei denen sei­ner An­sicht nach die Nut­zungs­in­ter­es­sen den Schutz­in­ter­es­sen vor­ge­hen. Ein Bei­spiel dafür wären die 15 Pro­jek­te der «ge­mein­sa­men Er­klä­rung des Run­den Ti­sches Was­ser­kraft», denen wich­ti­ge Na­tur­schutz­ver­bän­de zu­ge­stimmt haben. Das Par­la­ment könn­te Kri­te­ri­en für die Er­gän­zung die­ser Liste mit wei­te­ren Vor­rang­pro­jek­ten fest­le­gen. Die­ser Schritt hebt die In­ter­es­sen­ab­wä­gung ab­schlies­send auf die po­li­ti­sche Ebene, wo sie vor­lie­gend wohl hin­ge­hört. Sich ein­zig zu be­kla­gen, dass die Na­tur­schutz­ver­bän­de die ihnen ge­setz­lich zu­ge­dach­te Auf­ga­be wahr­neh­men und Schutz­in­ter­es­sen in den Ver­fah­ren ver­tre­ten, ist je­den­falls zu be­quem.

Soll der Strom aus er­neu­er­ba­ren En­er­gi­en kom­men, muss das Par­la­ment klar sagen, wo Na­tur­räu­me ge­op­fert wer­den müs­sen.

  • Be­schleu­ni­gung der Ver­fah­ren: Ak­tu­ell ver­lei­ten die lan­gen Pla­nungs­zei­ten hie­si­ge Strom­un­ter­neh­men dazu, eher im Aus­land zu­zu­bau­en. Die be­ste­hen­de «Be­schleu­ni­gungs­vor­la­ge» des Bun­des ist indes mas­si­ver Kri­tik aus­ge­setzt, droht zum Bu­me­rang zu wer­den sowie der Ver­fah­rens­dau­er und -si­cher­heit gar einen Bä­ren­dienst zu er­wei­sen. Wir schla­gen vor, dass der Bund den Kan­to­nen ein kon­zen­trier­tes Plan­ge­neh­mi­gungs­ver­fah­ren als Grund­la­ge zur Ver­fü­gung stellt, mit der Mög­lich­keit, von die­sen Be­stim­mun­gen ab­zu­wei­chen. So wer­den Ver­fah­ren ge­strafft, ohne die Kom­pe­tenz­ord­nung grund­sätz­lich in­fra­ge zu stel­len. Auch soll­te der Bund sich selbst ver­mehrt in die Pflicht neh­men, denn seine Ver­fah­ren dau­ern eben­falls emp­find­lich lange. Bun­des­rich­te­rin­nen könn­ten ge­zielt von an­de­ren Ge­schäf­ten ent­las­tet und mit aus­ge­lie­he­nen Fach­kräf­ten der Eid­ge­nös­sisch-Tech­ni­schen Hoch­schu­len un­ent­gelt­lich un­ter­stützt wer­den. Mit die­sem Fach­wis­sen könn­ten die Ge­rich­te tat­säch­lich ver­mehrt selbst neu ent­schei­den, an­statt Ver­fah­ren an die Vor­in­stan­zen zu­rück­zu­wei­sen, was Letz­te­re hof­fent­lich nicht zu Schlud­rig­keit ein­lädt. Ge­rich­te soll­ten über­dies ihre Ver­fah­ren münd­lich füh­ren, um lang­fä­di­ge Schrift­sät­ze zu ver­mei­den.

Nicht zu­letzt müs­sen aber auch die Kraft­werks­be­trei­ber wil­lens sein, be­wil­lig­te Pro­jek­te tat­säch­lich zu rea­li­sie­ren. Das be­schleu­nig­te Ver­fah­ren soll nicht dazu die­nen, Pla­nungs- und Be­wil­li­gungs­ent­schei­de sowie Kon­zes­si­on auf Vor­rat ein­zu­ho­len. Po­ten­zi­el­le In­ves­to­ren wer­den aber wei­ter­hin mit dem Aus­bau von Er­zeu­gungs­ka­pa­zi­tä­ten und Spei­chern zö­gern, so­lan­ge sich die Rah­men­be­din­gun­gen stän­dig än­dern und nicht auf eine re­al­po­li­tisch trag­fä­hi­ge sowie lang­fris­tig sta­bi­le Basis ge­stellt sind. Am Ende ist of­fen­sicht­lich: Wenn wir nur auf er­neu­er­ba­re En­er­gi­en set­zen wol­len – über das Ob, Wie und Wann be­darf es in der Schweiz wo­mög­lich er­neu­ter Re­fle­xi­on –, dann müs­sen wir den Bau die­ser Er­zeu­gungs­an­la­gen auch er­mög­li­chen und an­de­re In­ter­es­sen not­ge­drun­gen preis­ge­ben.


Die Erst­pu­bli­ka­ti­on die­ses Bei­trags er­folg­te am 14. Au­gust 2022 in der «NZZ am Sonn­tag». Co-Au­to­ren des Tex­tes sind:

Peter Het­tich - Pro­fes­sor für öf­fent­li­ches Wirt­schafts­recht an der Uni­ver­si­tät St. Gal­len, Di­rek­tor des IFF-HSG und Of Coun­sel bei VI­SCHER AG.

Alex­an­der Ke­ber­le - Ge­schäfts­lei­tungs­mit­glied bei eco­no­mie­su­is­se und ver­ant­wort­lich für die The­men In­fra­struk­tur, En­er­gie & Um­welt.