Den eu­ro­pa­po­li­ti­schen Still­stand über­win­den

In einem NZZ-Gast­kom­men­tar zei­gen eco­no­mie­su­is­se und Swiss­mem die wirt­schaft­li­che Be­deu­tung eines Rah­men­ab­kom­mens für die Wirt­schaft auf.

Das Pro­jekt «Rah­men­ab­kom­men mit der EU» ist seit sei­nem Start ein über­aus heik­les Un­ter­fan­gen. Im Brenn­punkt steht die Frage, ob die sta­ti­schen bi­la­te­ra­len Ab­kom­men durch neue in­sti­tu­tio­nel­le Re­geln ein­fa­cher an­ge­passt wer­den kön­nen, das heisst dy­na­mi­scher wer­den, ohne dabei die Sou­ve­rä­ni­tät der Schweiz, un­se­ren fö­de­ra­lis­ti­schen Staats­auf­bau und die Volks­rech­te zu schwä­chen. Um diese zen­tra­le Frage dreh­te sich ab 2008 die po­li­ti­sche De­bat­te über die Schwei­zer Eu­ro­pa­po­li­tik. Sie mün­de­te schliess­lich in die Fer­tig­stel­lung des Ver­hand­lungs­man­dats im Jahr 2013.

Wich­ti­ger Be­stand­teil des Man­dats sind die häu­fig er­wähn­ten «roten Li­ni­en». Mit die­sen hat der Bun­des­rat die Mi­ni­mal­zie­le, die für die Er­folgs­chan­cen bei einer ab­seh­ba­ren Volks­ab­stim­mung zen­tral schei­nen, ver­bind­lich fest­ge­legt. So wird die Schweiz weder das EU-Bür­ger­recht über­neh­men noch Last­wa­gen über 40 Ton­nen Ge­samt­ge­wicht zu­las­sen oder die be­ste­hen­den flan­kie­ren­den Mass­nah­men wie­der ab­schaf­fen.

Die öko­no­mi­sche Kri­tik an den flan­kie­ren­den Mass­nah­men ist zwar ana­ly­tisch kor­rekt, aus po­li­ti­scher Sicht je­doch rea­li­täts­fremd. Selbst­ver­ständ­lich freut sich die Wirt­schaft nicht über die flan­kie­ren­den Mass­nah­men, wo sie über die be­rech­tig­te Be­kämp­fung des Lohn­dum­pings hin­aus­ge­hen. Aber sie sind der «po­li­ti­sche Preis» für die Mehr­heits­fä­hig­keit der Bi­la­te­ra­len I mit der für die Wirt­schaft wich­ti­gen Per­so­nen­frei­zü­gig­keit. Ohne die be­ste­hen­den flan­kie­ren­den Mass­nah­men bleibt ein Rah­men­ab­kom­men in­nen­po­li­tisch aus­sichts­los.

Die öko­no­mi­sche Kri­tik an den flan­kie­ren­den Mass­nah­men ist zwar ana­ly­tisch kor­rekt, aus po­li­ti­scher Sicht je­doch rea­li­täts­fremd.

Seit ver­gan­ge­nem No­vem­ber ist klar, dass nur fünf der rund 120 bi­la­te­ra­len Ab­kom­men Ge­gen­stand der in­sti­tu­tio­nel­len Neu­re­ge­lung sein wer­den: Frei­zü­gig­keit, Land- und Luft­ver­kehr, Agrar­er­zeug­nis­se und tech­ni­sche Han­dels­hemm­nis­se. Ist es an­ge­sichts die­ser – über­ra­schen­den – Ent­wick­lung nicht ver­ständ­lich, wenn nun von einem Markt­zu­gangs­ab­kom­men ge­spro­chen wird? Für die Wirt­schaft sind die Ver­hand­lun­gen über ein Rah­men­ab­kom­men – oder eben Markt­zu­gangs­ab­kom­men – wich­tig, denn sie braucht den Zu­gang zum eu­ro­päi­schen Bin­nen­markt mit mög­lichst hoher Rechts­si­cher­heit. Die­ser Zu­gang ba­siert auf der Si­che­rung und Wei­ter­ent­wick­lung der Bi­la­te­ra­len. So braucht die Wirt­schaft ein Strom­ab­kom­men, die kor­rek­te An­wen­dung des Ab­kom­mens über tech­ni­sche Han­dels­hemm­nis­se, die An­er­ken­nung der Gleich­wer­tig­keit der Fi­nanz­markt­re­gu­lie­rung und die Teil­nah­me am 9. For­schungs­pro­gramm.

Bei der Streit­schlich­tung soll ein Schieds­ver­fah­ren nach Völ­ker­recht eta­bliert wer­den. Die­ses soll – so das ge­gen­wär­ti­ge Ver­ständ­nis – um­strit­te­ne Fra­gen zum EU-Recht dem Eu­ro­päi­schen Ge­richts­hof un­ter­brei­ten. Das er­gibt bei­spiels­wei­se bei tech­ni­schen Nor­men der EU durch­aus Sinn. Viel wich­ti­ger ist, dass alle an­de­ren Streit­punk­te ohne di­rek­ten Bezug zum EU-Recht, zum Bei­spiel Aus­nah­men in be­ste­hen­den Ab­kom­men, durch das in­ter­na­tio­na­le Schieds­ge­richt be­ur­teilt wer­den. Wenn es ge­lingt, ein gutes Schieds­ver­fah­ren aus­zu­han­deln, dann ge­winnt die Wirt­schaft in den ge­nann­ten fünf Ab­kom­men Rechts­si­cher­heit.

Für die Wirt­schaft sind die Ver­hand­lun­gen über ein Rah­men­ab­kom­men – oder eben Markt­zu­gangs­ab­kom­men – wich­tig, denn sie braucht den Zu­gang zum eu­ro­päi­schen Bin­nen­markt mit mög­lichst hoher Rechts­si­cher­heit.

Seit über zehn Jah­ren konn­te kein wich­ti­ges Markt­zu­gangs­ab­kom­men mehr ab­ge­schlos­sen wer­den. Die Über­win­dung die­ses eu­ro­pa­po­li­ti­schen Still­stands setzt eine in­sti­tu­tio­nel­le Neu­re­ge­lung bei fünf Ab­kom­men vor­aus. Diese soll­te unter Be­ach­tung der ein­gangs ge­nann­ten Frage durch­aus rea­li­sier­bar sein.

 

Die­ser Text wurde am 4. Mai in der NZZ als Gast­kom­men­tar ver­öf­fent­licht. Co-Autor ist Jean-Phil­ip­pe Kohl, Di­rek­tor a.i. Swiss­mem.