Das Par­la­ment auf dem di­gi­ta­len Ab­stell­gleis

Als ich vor gut zwei Jah­ren das erste Mal von der Idee ge­hört hatte, An­bie­ter von so­zia­len Netz­wer­ken wie Face­book oder Twit­ter in der Schweiz zu einem ge­setz­li­chen Zu­stell­do­mi­zil zu zwin­gen, hatte ich noch ge­schmun­zelt. Da­mals hatte ich mir ge­dacht, dass wohl nur Nost­al­gi­ker, Be­sit­zer von Röh­ren­fern­se­hern und Dreh­schei­ben­te­le­fo­nen eine er­zwun­ge­ne phy­si­sche Ver­an­ke­rung in­ter­na­tio­na­ler di­gi­ta­ler An­ge­bo­te in un­se­rem Rechts­sys­tem gut fin­den wür­den. Am ver­gan­ge­nen Diens­tag wurde ich nun aber vom Ge­gen­teil be­lehrt.

Nach dem Wil­len des Stän­de­rats sol­len so­zia­le Netz­wer­ke für ihre In­hal­te in der Schweiz bes­ser in die Ver­ant­wor­tung ge­nom­men wer­den. Hier­zu be­ste­hen heute schon Mög­lich­kei­ten: Auch das In­ter­net ist kein rechts­frei­er Raum. Der Stän­de­rat hat zu die­sem An­lie­gen am Diens­tag eine ent­spre­chen­de Mo­ti­on sei­ner Rechts­kom­mis­si­on an­ge­nom­men. Diese ver­langt, dass so­zia­le Netz­wer­ke in der Schweiz ein Zu­stell­do­mi­zil oder eine Ver­tre­tung ein­rich­ten. Die­ser Brief­kas­ten, wohl bei einem An­walt oder Treu­hän­der, soll den Schwei­zer Be­hör­den und den Nut­zern als An­lauf­stel­le bei Be­schwer­den die­nen.

Dass es die­ser Vor­schlag ohne Dis­kus­si­on und mit dem Segen des Bun­des­rats durch un­se­re Cham­bre de réfle­xi­on ge­schafft hat, ir­ri­tiert. Es zeigt, nach­dem erst ge­ra­de Netz­sper­ren ins Geld­spiel­ge­setz ge­schrie­ben wur­den, ein wei­te­res Mal auf, dass ab­stru­se Ideen der Re­gu­lie­rung im di­gi­ta­len Raum in un­se­rem Par­la­ment und im Bun­des­rat kom­for­ta­ble Mehr­hei­ten fin­den kön­nen. Dabei wird nicht be­dacht, dass man mit ver­meint­lich gut ge­mein­ten Ein­grif­fen das Ge­gen­teil von dem be­wirkt, was man ei­gent­lich woll­te. Klar ist es im Mo­ment ge­ra­de Mode, sich über Face­book und Cam­bridge Ana­ly­ti­ca auf­zu­re­gen. Und na­tür­lich sind spe­zi­fi­sche Pro­ble­me ernst zu neh­men. Doch las­sen sich diese Pro­ble­me nicht mit dem an­ti­ken, ana­lo­gen Re­gu­lie­rungs­werk­zeug aus der Welt schaf­fen. Sol­che Be­stre­bun­gen sind nicht nur un­an­ge­mes­sen, son­dern kon­tra­pro­duk­tiv und schliess­lich auch nicht durch­setz­bar.

Im di­gi­ta­len Raum sind Ver­än­de­run­gen an der Ta­ges­ord­nung; oft bleibt dabei kein Stein auf dem an­de­ren und der Um­bruch ist total. Dies ge­ra­de auch bei So­ci­al-Media-Platt­for­men oder bes­ser bei den Face­books, Ins­ta­grams, Snap­chats, Xings und Lin­ked­ins und wie sie alle heis­sen. Frü­her ein­mal hies­sen die Platt­for­men Mys­pace oder stu­di­VZ und An­fang Jahr war Vero das so­zia­le Netz­werk, das ge­ra­de im Trend zu lie­gen schien. Jede die­ser Platt­for­men will an­ders sein und sich auf dem Markt von der Kon­kur­renz ab­he­ben. Der Kunde ent­schei­det, was sich hält und was ver­schwin­det. Ob sich nun Vero durch­setzt oder ein an­de­res Pro­dukt, wel­ches noch bes­ser den Zeit­geist trifft und die Be­dürf­nis­se der Kun­den ab­holt, wis­sen wir nicht, ge­nau­so wenig wie wir wis­sen, ob Face­book in ein paar Jah­ren nicht das glei­che Schick­sal er­ei­len wird, wie so viele Platt­for­men zuvor.

Abstellgleis

Was wir nun aber wis­sen ist, dass unser Par­la­ment sich mit den Dy­na­mi­ken der di­gi­ta­len Wirt­schaft schwer­zu­tun scheint. Es ver­sucht, den Ent­wick­lun­gen nach­zu­ei­len und ver­kennt dabei das Funk­tio­nie­ren des In­ter­net­mark­tes. Ge­ra­de die gros­sen Platt­for­men haben kein Pro­blem, ein Zu­stell­do­mi­zil zu fi­nan­zie­ren. Pro­ble­me be­rei­tet man mit einer sol­chen Re­ge­lung aber all den in­no­va­ti­ven Start-ups, die in einer kri­ti­schen Grün­dungs­pha­se plötz­lich vor die Frage ge­stellt wer­den, ob sie wirk­lich das Geld auf­wen­den wol­len, in der Schweiz auch noch ein Zu­stell­do­mi­zil ein­zu­set­zen. Der Ent­scheid dürf­te klar sein: Län­der, die neuen Markt­teil­neh­mern un­nö­tig Stei­ne in den Weg legen, wer­den zu­min­dest in einer Start­pha­se nicht mit dem neuen An­ge­bot be­dient. Ein aus­län­di­scher An­bie­ter kann dies pro­blem­los mit Geo­blo­cking so ein­rich­ten und die Schweiz aus­klam­mern. Be­son­ders ver­hee­rend würde es dann, wenn die an­de­ren Län­der Ge­gen­recht ver­lan­gen und jedes Schwei­zer Un­ter­neh­men in den je­wei­li­gen Län­dern Do­mi­zi­le be­stel­len muss.

Im Er­geb­nis sind wir in der Schweiz stets die Leid­tra­gen­den. Wir krie­gen statt in­no­va­ti­ven neuen Pro­duk­ten nur die An­ge­bo­te der eta­blier­ten gros­sen Platt­for­men, dafür mit Zu­stell­do­mi­zil. Damit ist uns keine Wahl des bes­se­ren Pro­dukts mög­lich und der mit der Re­gu­lie­rung an­vi­sier­te Kun­den­schutz zielt ins Leere. Oder wir wer­den am Ex­port un­se­rer in­no­va­ti­ven Dienst­leis­tun­gen ge­hin­dert. Hof­fen wir, dass der Na­tio­nal­rat hier ver­nünf­ti­ger re­agiert und diese un­säg­li­che Re­gu­lie­rung mit Voll­dampf dort­hin schickt wo sie hin­ge­hört, ins Nir­va­na des Cy­ber­space.