Schul­dentricks und Stand­ort­sor­gen: Deutsch­land im Kreuz­feu­er

Die Ver­ur­tei­lung der deut­schen Re­gie­rung wegen Um­ge­hung der Schul­den­brem­se sorgt für Auf­se­hen. Auch in der Schweiz wird ver­sucht, die Schul­den­brem­se zu um­ge­hen. Mit den Zu­satz­mil­li­ar­den woll­te Deutsch­land den Stand­ort för­dern. Hier­zu­lan­de wäre Stand­ort­för­de­rung ein­fa­cher zu haben: indem man bei­spiels­wei­se die Min­dest­steu­er noch nicht ein­führt.

Das Deut­sche Ver­fas­sungs­ge­richt hat vor zwei Wo­chen einen Eck­pfei­ler ak­tu­el­ler deut­scher Fi­nanz­po­li­tik kas­siert: die Auf­sto­ckung eines so­ge­nann­ten «Son­der­ver­mö­gens» um 60 Mil­li­ar­den Euro. Der Ent­scheid hat die deut­sche Re­gie­rung durch­ge­schüt­telt. Für die Schweiz ist er aus zwei Grün­den in­ter­es­sant: Es geht um die Schul­den­brem­se, be­zie­hungs­wei­se um Ver­su­che, sie zu um­ge­hen. Und es geht um eine Sorge, die selbst eine Re­gie­rung mit Links-Ein­schlag um­treibt – den Stand­ort.

Die Schul­den­brems­fra­ge oder: darf ich trick­sen?

Kaum an der Macht und ge­plagt durch Co­ro­na, hatte die Am­pel­re­gie­rung unter Aus­ru­fung einer Not­la­ge 2021 die Schul­den­brem­se aus­ge­setzt und sich da­durch zu­sätz­li­che Kre­dit­er­mäch­ti­gun­gen ge­schaf­fen. 60 Mil­li­ar­den Euro die­ser Er­mäch­ti­gun­gen wur­den nicht in An­spruch ge­nom­men. Die Re­gie­rung über­trug sie in der Folge auf den sog. Klima- und Trans­for­ma­ti­ons­fonds (KTF). Der KFT ist ein «Son­der­ver­mö­gen», ein Topf aus­ser­halb des or­dent­li­chen Haus­halts, der von ei­ni­gen re­gu­lä­ren Ein­nah­men ge­speist wird. Sein Vo­lu­men hätte er aber haupt­säch­lich durch die nach­träg­li­che Über­wei­sung der 60-Mil­li­ar­den-Be­rech­ti­gung zum Schul­den­ma­chen er­hal­ten. Aus Mit­teln des KTF soll­ten Kli­ma­schutz­mass­nah­men und vie­les An­de­re un­ter­stützt wer­den. Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat dem nun einen Rie­gel ge­scho­ben. Es hat im Vor­ge­hen der Re­gie­rung eine Ver­let­zung der Schul­den­brem­se ge­se­hen. Denn Aus­nah­men von der Schul­den­brem­se müs­sen re­strik­tiv sein und ein­zig für un­mit­tel­ba­re, kon­kre­te Not­la­gen in An­spruch ge­nom­men wer­den kön­nen. Nur weil das Geld fehlt, ist das noch keine Not­la­ge – und wer eine sol­che re­kla­miert, hat das Geld auch dafür und nur dafür ein­zu­set­zen.

Auf­fal­len­de Par­al­le­len zur Schweiz

Die deut­sche Schul­den­brem­se ist der Schul­den­brem­se des Bun­des nach­ge­bil­det. Beide haben Ver­fas­sungs­rang und funk­tio­nie­ren ähn­lich. Auch die Schwei­zer Va­ri­an­te kennt eine Not­fall­klau­sel, die unter Co­ro­na an­ge­wen­det wurde. Die Klau­sel er­laubt es dem Bund, in Not­fäl­len neue Schul­den für aus­ser­or­dent­li­che Aus­ga­ben auf­zu­neh­men. Die Über­tra­gung von Not­fall­mit­teln auf an­de­re Auf­ga­ben und spä­te­re Zei­ten ist – genau wie für Deutsch­land jetzt be­stä­tigt – nicht mög­lich. Den­noch: Die Ver­su­chung, für sonst Nicht­fi­nan­zier­ba­res die Schul­den­brem­se aus­zu­set­zen, ist auch beim Bund vor­han­den. Ein ak­tu­el­les Bei­spiel ist die Idee, den Aus­bau der Armee durch aus­ser­or­dent­li­che Mit­tel vor­bei am nor­ma­len Haus­halt und damit schul­den­fi­nan­ziert vor­an­zu­trei­ben. Auch ein Ent­schul­dungs­bei­trag an die SBB soll aus­ser­or­dent­lich und damit unter In­kauf­nah­me einer Neu­ver­schul­dung durch den Bund fi­nan­ziert wer­den. Und die links-grüne Volks­in­itia­ti­ve für einen Mil­li­ar­den-Kli­ma­fonds he­belt im Ver­fas­sungs­text die Schul­den­brem­se ge­ra­de di­rekt sel­ber aus. Weil die Schweiz kein Ver­fas­sungs­ge­richt kennt, kön­nen Ver­stös­se gegen die Schul­den­brem­se nicht ein­ge­klagt wer­den. Es gilt des­halb, bei krea­ti­ven Fi­nan­zie­rungs­lö­sun­gen, die Schmerz­frei­heit für teure An­lie­gen ver­spre­chen, be­son­ders genau hin­zu­se­hen. Die Ver­su­chung, die Schul­den­brem­se zu um­ge­hen ist süd­lich wie nörd­lich des Rheins da.

Stand­ort­pfle­ge mit und ohne Sub­ven­tio­nen

Die deut­sche Re­gie­rung ver­folg­te mit dem Kon­strukt der Son­der­ver­mö­gen ins­be­son­de­re auch Ziele der Strand­ort­för­de­rung. So soll­te der US-Chip­her­stel­ler Intel mit KFT-Gel­dern an­ge­sie­delt wer­den. Mit­tel aus dem Topf wur­den auch in Form einer Strom­preis­sen­kung für die deut­sche In­dus­trie dis­ku­tiert. Ob sich die Pläne nach dem Ur­teil des Ver­fas­sungs­ge­richts rea­li­sie­ren las­sen, bleibt offen. Fakt ist, dass die Sorge um den Stand­ort und die In­dus­trie die deut­sche Re­gie­rung um­treibt und dass man be­reit ist, dafür weit zu gehen.

Auch in der Schweiz geht es dem­nächst um einen Ent­scheid mit Stand­ort­re­le­vanz. Der Bun­des­rat muss ent­schei­den, ob er die OECD-Min­dest­be­steue­rung für gros­se Un­ter­neh­men 2024 in Kraft setzt. Die Min­dest­be­steue­rung ist kein Vor­teil für die Schweiz, sie ist aber ins­be­son­de­re schäd­lich, wenn sie welt­weit so lü­cken­haft um­ge­setzt wird, wie es sich der­zeit ab­zeich­net. Mit der Min­dest­be­steue­rung wer­den Schwei­zer Un­ter­neh­men steu­er­lich stär­ker be­las­tet als die Kon­kur­renz aus Staa­ten ohne Min­dest­be­steue­rung. Und die Schweiz wäre als Stand­ort in­ter­na­tio­na­ler Un­ter­neh­men teu­rer als Stand­or­te, die mit der Min­dest­be­steue­rung zu­war­ten oder sie nicht um­set­zen. Steu­ern sind Kos­ten, und ein gutes Steu­er­um­feld er­laubt es Fir­men, das sonst hohe Kos­ten­ni­veau in der Schweiz etwas zu kom­pen­sie­ren. Wäh­rend die deut­sche Re­gie­rung für die wirt­schaft­li­che Wett­be­werbs­fä­hig­keit den Ein­satz von Mil­li­ar­den­sub­ven­tio­nen dis­ku­tie­ren muss und dafür selbst die Um­ge­hung der Schul­den­brem­se in Kauf nimmt, kann die Schwei­zer Re­gie­rung für den Stand­ort Schweiz und seine Fir­men mit deut­lich ge­rin­ge­rem Auf­wand ak­tu­ell etwas Wir­kungs­vol­les tun: Mit der In­kraft­set­zung der Min­dest­steu­er zu­war­ten, bis die neue Steu­er welt­weit so breit um­ge­setzt wird, wie man das an­ge­sichts der Zu­sa­ge von 140 Staa­ten vor einem hal­ben Jahr noch er­war­tet hat.

 

Die Erst­pu­bli­ka­ti­on die­ses Bei­trags er­folg­te in ähn­li­cher Form am 8. De­zem­ber 2023 in der NZZ.