Fak­ten­ver­dre­hung macht die Schweiz nicht zum weis­sen Fleck

Die Schwei­zer Re­gu­lie­rung im Be­reich Kon­zern­ver­ant­wor­tung geht ak­tu­ell wei­ter als die­je­ni­ge der EU. Mit gi­gan­ti­schem Auf­wand be­haup­ten die vor­ma­li­gen In­iti­an­ten der Kon­zern­ver­ant­wor­tungs­in­itia­ti­ve aber das Ge­gen­teil. Ihre po­le­mi­schen Aus­füh­run­gen hal­ten einer ge­naue­ren Be­trach­tung nicht stand. Es ist zu be­grüs­sen, dass der Bun­des­rat Ruhe be­wahrt und die Schwei­zer Re­gu­lie­rung ge­zielt und ab­ge­stimmt mit den in­ter­na­tio­na­len Ent­wick­lun­gen wei­ter­ent­wi­ckeln will.

Vor ziem­lich genau zwei Jah­ren wurde nach einem sehr emo­tio­nal ge­führ­ten Ab­stim­mungs­kampf die Kon­zern­ver­ant­wor­tungs­in­itia­ti­ve an der Urne ab­ge­lehnt. Die Ab­leh­nung die­ser ex­tre­men In­itia­ti­ve hatte den Weg frei­ge­macht für den in­di­rek­ten Ge­gen­vor­schlag des Bun­des­rats und des Par­la­ments. Die­ser ori­en­tiert sich an der Re­gu­lie­rung in der EU und geht im Be­reich der Kin­der­ar­beit dar­über hin­aus.

Die In­iti­an­ten der In­itia­ti­ve konn­ten die­sem Ge­gen­vor­schlag nie etwas ab­ge­win­nen. Sie haben viel Zeit und Geld in­ves­tiert, ihn schlecht­zu­re­den. Wenig ver­wun­der­lich: An­ders als die In­itia­ti­ve mit ex­tre­men Haf­tungs­be­stim­mun­gen und einer Um­kehr der Be­weis­last gibt ihnen der Ge­gen­vor­schlag nicht die Mög­lich­keit, Kla­gen gegen Un­ter­neh­men in der Schweiz zu or­ches­trie­ren und sich als Auf­sichts­be­hör­de auf­zu­spie­len. Lei­der haben es die In­iti­an­ten aber bis heute nicht ge­schafft, die Zei­chen der Zeit zu ak­zep­tie­ren. Die in­ter­na­tio­na­len Ent­wick­lun­gen gehen auf Basis des Ge­gen­vor­schlags voran und nicht auf Basis ihrer an der Urne ver­wor­fe­nen Vor­stel­lun­gen. Sie ver­dre­hen daher wei­ter­hin die Fak­ten und scheu­en nicht davor zu­rück, hier­für das of­fen­bar noch reich­lich vor­han­de­ne Geld aus­zu­ge­ben.

Be­stimmt haben auch Sie in den letz­ten Wo­chen in Ihrem Brief­kas­ten die Flug­blät­ter der vor­ma­li­gen In­iti­an­ten vor­ge­fun­den. Oder Sie haben eine ent­spre­chen­de Wer­bung im In­ter­net ge­se­hen. Die Schweiz, so wird be­haup­tet, sei das ein­zi­ge Land ohne Kon­zern­ver­ant­wor­tung in Eu­ro­pa. Die Schweiz, ein weis­ser Fleck!? Wirk­lich?

Schau­en wir mal etwas ge­nau­er hin: Am 1. Ja­nu­ar 2022 konn­ten die neuen Be­stim­mun­gen im Ob­li­ga­tio­nen­recht für eine nach­hal­ti­ge Un­ter­neh­mens­füh­rung zum Schutz von Mensch und Um­welt in der Schweiz in Kraft tre­ten. Gros­se Schwei­zer Un­ter­neh­men müs­sen seit­her über die Ri­si­ken ihrer Ge­schäfts­tä­tig­keit in den Be­rei­chen Um­welt, So­zi­al­be­lan­ge, Ar­beit­neh­mer­be­lan­ge, Men­schen­rech­te und Be­kämp­fung der Kor­rup­ti­on sowie über die da­ge­gen er­grif­fe­nen Mass­nah­men Be­richt er­stat­ten. Sie schaf­fen damit Trans­pa­renz und er­mög­li­chen es auch, dass Nach­hal­tig­keits­kri­te­ri­en bei Ent­schei­den von In­ves­to­ren kla­rer be­rück­sich­tigt wer­den kön­nen.

Die Schweiz ist alles an­de­re als ein weis­ser Fleck.

Dar­über hin­aus müs­sen Un­ter­neh­men mit Ri­si­ken in den sen­si­blen Be­rei­chen der Kin­der­ar­beit und der so­ge­nann­ten Kon­flikt­mi­ne­ra­li­en be­son­de­re und weit­ge­hen­de Sorg­falts- und Be­richts­er­stat­tungs­pflich­ten ein­hal­ten. Im Be­reich Kin­der­ar­beit geht die Schweiz über die Re­geln in der EU hin­aus. Noch heute kennt die EU keine der­ar­ti­gen Re­geln. Die Schweiz ist also alles an­de­re als ein weis­ser Fleck bei der Kon­zern­ver­ant­wor­tung, son­dern geht über den ak­tu­el­len Stand der EU hin­aus.

Nun gibt es in der EU zwei we­sent­li­che Ent­wick­lun­gen im Be­reich der Kon­zern­ver­ant­wor­tung. Diese sind gänz­lich un­ter­schied­lich weit fort­ge­schrit­ten:

  1. Die Wei­ter­ent­wick­lung der nicht­fi­nan­zi­el­len Be­richt­er­stat­tung (CSRD). Diese ist be­schlos­se­ne Sache. Damit wird aus­schliess­lich die Linie 1 (vgl. Gra­fik) und damit der Kern des Ge­gen­vor­schlags re­vi­diert.
  2. Die Ideen zum Aus­bau der Sorg­falts­prü­fung (CSDD) sind Ge­gen­stand in­ten­si­ver Dis­kus­sio­nen und bei Wei­tem nicht um­ge­setzt. Dies hat letz­te Woche auch der Bun­des­rat fest­ge­hal­ten. Es ist noch offen, wo hier die Ent­wick­lun­gen hin­ge­hen. Dies gilt ins­be­son­de­re auch für die Haf­tung in der Lie­fer­ket­te, wel­che in der EU glei­cher­mas­sen um­strit­ten ist, wie da­mals in der Schweiz. Ent­schei­dend ist hier aber, dass selbst der ak­tu­ell dis­ku­tier­te Vor­schlag der EU die Ex­trem­for­de­run­gen der Kon­zern­ver­ant­wor­tungs­in­itia­ti­ve mit Be­weis­last­um­kehr nicht vor­sieht. 

Gegenvorschlag zur Konzernverantwortung

Das Nein an der Urne hat den Weg frei ge­macht für den in­ter­na­tio­nal ab­ge­stimm­ten Ge­gen­vor­schlag.

Das Nein zur ex­tre­men Kon­zern­ver­ant­wor­tungs­in­itia­ti­ve an der Urne hat den Weg frei ge­macht für den in­ter­na­tio­nal ab­ge­stimm­ten Ge­gen­vor­schlag. Die­ser konn­te in Re­kord­zeit in Kraft tre­ten und die Schweiz kennt damit über die Be­stim­mun­gen der EU hin­aus­ge­hen­de, ver­bind­li­che Re­geln mit weit­ge­hen­den Be­richt­er­stat­tungs­pflich­ten und Sorg­falts­prü­fungs­pflich­ten im Be­reich Kon­flikt­mi­ne­ra­li­en und Kin­der­ar­beit. Diese Re­geln zu igno­rie­ren und die Schweiz als weis­sen Fleck zu be­zeich­nen, schafft zwei­fels­oh­ne Stim­mung und ge­ne­riert Spen­den, ent­spre­chen­de Aus­sa­gen sind aber schlicht­weg un­zu­tref­fend.

Der Bun­des­rat hat ver­gan­ge­ne Woche über das wei­te­re Vor­ge­hen bei der nach­hal­ti­gen Un­ter­neh­mens­füh­rung in­for­miert. Er be­ab­sich­tigt, die jüngs­ten Ent­wick­lun­gen im Be­reich der nicht­fi­nan­zi­el­len Be­richt­er­stat­tung der EU nach­zu­voll­zie­hen. Die­ses Vor­ge­hen ist an­ge­sichts der Ent­wick­lun­gen fol­ge­rich­tig: Die Schweiz hat ein In­ter­es­se, sich an ge­fes­tig­ten in­ter­na­tio­na­len Stan­dards zu ori­en­tie­ren. Der Bun­des­rat be­stä­tigt damit ins­be­son­de­re auch, dass die Schweiz mit dem Ge­gen­vor­schlag zur Un­ter­neh­mens­ver­ant­wor­tungs­in­itia­ti­ve auf die rich­ti­gen In­stru­men­te ge­setzt hat.

Was die Dis­kus­sio­nen in der EU zum Aus­bau der Sorg­falts­prü­fungs­pflich­ten an­geht, so las­sen sich dar­aus noch kei­nes­falls kon­kre­te For­de­run­gen für die Schweiz her­lei­ten.

Es ist rich­tig, dass der Bun­des­rat die Dis­kus­si­on in der EU zwar zur Kennt­nis nimmt, aber noch kein kon­kre­tes Vor­ge­hen fest­legt. Das er­mög­licht es den hie­si­gen Un­ter­neh­men auch, mit den weit­ge­hen­den und an­spruchs­vol­len neuen Re­geln des Ge­gen­vor­schlags die er­for­der­li­chen Er­fah­run­gen zu sam­meln.