Wasserstoff und erneuerbare Gase: Der Energieträger der Zukunft
- Einleitung Das Wichtigste in Kürze | Position economiesuisse
- Kapitel 1 Wasserstoff – Zahlen und Fakten
- Kapitel 2 Wasserstoff und erneuerbare Gase diversifizieren und stärken unsere Versorgungssicherheit
- Kapitel 3 Die Europäische Union setzt auf Wasserstoff
- Kapitel 4 Die Schweiz kann und muss aufholen
- Kapitel 5 Wo brauchen wir wie viel Wasserstoff und erneuerbare Gase?
- Kapitel 6 Forderungen der Wirtschaft
Wasserstoff und erneuerbare Gase diversifizieren und stärken unsere Versorgungssicherheit
Das Sackmesser der Schweizer Energiewende
Wasserstoff ist so etwas wie ein Energie-Lego-Baustein. Das häufigste Element in unserem Universum scheint ideal für die klimaneutrale Gestaltung unseres Energieverbrauchs zu sein, da es so viele bemerkenswerte Eigenschaften aufweist:
- Es ist sehr vielseitig einsetzbar. Man kann es direkt als Brennstoff verwenden, es lagern, zu Methan oder anderen synthetischen Brennstoffen weiterverarbeiten oder in Strom umwandeln.
- Bei seiner direkten Verbrennung werden keine Treibhausgase freigesetzt und bei seiner Verwendung in einer Brennstoffzelle entsteht nur Wasser als Nebenprodukt.
Wie jede Energiequelle ist Wasserstoff jedoch keine Wunderlösung, da seine Herstellung und Nutzung mit erheblichen Einschränkungen verbunden sind:
- Er muss aktiv produziert werden, was kostspielig sein kann und mit den derzeitig gängigen Verfahren zu erheblichen Treibhausgasemissionen führt. Über 90 Prozent des Wasserstoffs werden heute noch als industrieller Rohstoff genutzt und aus Erdgas oder Kohle hergestellt. Dies könnte sich durch die Produktion von «grünem» Wasserstoff und durch die Erschliessung von natürlichen Wasserstoffvorkommen in der Erdkruste («weisser» Wasserstoff) ändern. Es besteht auch die Möglichkeit, weiterhin aus Brennstoffen Wasserstoff zu produzieren, allerdings verbunden mit der Einlagerung des resultierenden CO2 («blauer» Wasserstoff).
- Ein Kilogramm Wasserstoff enthält dreimal so viel Energie wie ein Kilogramm Erdöl, nimmt aber bei atmosphärischem Umgebungsdruck ein Volumen von etwa elf Kubikmeter ein. Er lässt sich gut durch Pipelines transportieren, aber aufgrund seiner geringen Dichte muss er sehr stark komprimiert oder verflüssigt werden, um ihn in einem vernünftigen Volumen transportieren zu können.
Speichervolumen für ein Kilogramm Wasserstoff
Von Grau zu Grün – die Transformation der Wasserstoffproduktion und -nachfrage
Im Jahr 2022 erreichte die weltweite Wasserstoffproduktion 95 Millionen Tonnen. Praktisch 99 Prozent stammen aus fossilen Brennstoffen, was zu erheblichen Treibhausgasemissionen führt. China ist der grösste Wasserstoffproduzent. Zusammen mit den USA, Indien, Russland und den Ländern des Nahen Ostens stellen sie 70 Prozent des globalen Wasserstoffs her. Dieser Wasserstoff wird fast ausschliesslich in industriellen Prozessen verwendet, nicht als Energieträger.
Quellen für die Wasserstoffproduktion im Jahr 2022
Um die Nutzung von Wasserstoff vor allem als Energieträger auszubauen, muss seine Produktion klimaneutral gestaltet werden. Das bedeutet, dass mit dekarbonisiertem Strom betriebene Elektrolyseanlagen, die dieses Gas aus Wasser gewinnen, massiv ausgebaut werden müssen. Die Kosten für diese Produktionsmethode sind derzeit etwa zwei- bis dreimal so hoch wie bei herkömmlichen Methoden und hängen stark vom Strompreis ab. Um die Produktion wettbewerbsfähig zu machen, ist der vielversprechendste Weg, sie in sonnenreichen Ländern, wie den Maghreb-Staaten oder den Mittleren Osten, zu lokalisieren, wo Fotovoltaikstrom sehr billig ist. Denkbar ist auch die Nutzung von Überschüssen aus der erneuerbaren Stromproduktion in Europa. Es ist jedoch kaum damit zu rechnen, dass diese Option im grossen Stil in der Schweiz wirtschaftlich sein wird.
Ein Konsum, der steigen und sich diversifizieren wird
Heute wird Wasserstoff in der überwiegenden Mehrheit als Rohstoff in industriellen Prozessen verwendet (bspw. zur Herstellung von Ammoniak). Seine Verwendung als Energieträger, entweder für Wärme, in der Mobilität oder zur Stromerzeugung, ist noch sehr marginal.
In der Zukunft wird die Nutzung von Wasserstoff voraussichtlich zunehmen und sich diversifizieren. Die Internationale Energieagentur (IEA) schätzt, dass die Nachfrage bis 2035 auf 215 Millionen Tonnen und bis 2050 auf 430 Millionen Tonnen ansteigen wird. Dies wird einen deutlichen Ausbau der Anlagen zur Herstellung von «sauberem» Wasserstoff, der Transportnetze und der Speicherung mit sich bringen. Mit Wasserstoff lassen sich unter anderem folgende Bedürfnisse befriedigen:
- Fossile Brennstoffe in bestimmten Bereichen ersetzen, zum Beispiel bei industriellen Prozessen, die hohe Temperaturen erfordern, oder zur Versorgung von Kraftwerken, WKK-Anlagen und Anlagen zur Spitzenlastabdeckung von thermischen Netzen.
- Speicherung von überschüssigem erneuerbarem Strom, der durch Elektrolyse in Wasserstoff umgewandelt und dann als Gas genutzt oder in weitere Derivate (bspw. Erdgas, Ammoniak) verarbeitet wird.
- Betrieb von Nutzfahrzeugen und Schiffen, wenn die Verwendung von batterieelektrischen Antrieben technisch oder wirtschaftlich nicht umsetzbar ist.
Die «Familie» der erneuerbaren Gase ist viel grösser
Der «grüne» Wasserstoff steht oft im Zentrum des Interesses. Auch andere erneuerbare Gase können jedoch eine bedeutende Rolle für die klimaneutrale Energiezukunft spielen. So ist etwa Biomethan bereits heute in nicht unbedeutenden Mengen am Markt verfügbar, das mit Energie aus der Zersetzung von organischem Material gewonnen wird. Methan kann aber auch aus Wasserstoff hergestellt werden, unter der Verwendung von CO2. Auf die grundsätzlich gleiche Weise können auch flüssige Kraftstoffe (Synfuels) produziert werden. Im Bereich Biomethan hat die Schweiz Pionierarbeit geleistet. Derzeit besteht das in unserem Land verbrauchte Erdgas zu beinahe zehn Prozent aus Biogas, von dem ein erheblicher Teil importiert wird, da das Produktionspotenzial in der Schweiz begrenzt ist. Ein anderes vielversprechendes Wasserstoffderivat ist Ammoniak: Dieses wird via Haber-Bosch-Verfahren in Kombination mit Stickstoff hergestellt. Diese übrigen erneuerbaren Gase und Flüssigtreibstoffe diversifizieren unsere Energiequellen und haben gegenüber reinem Wasserstoff den gewichtigen Vorteil, dass sie über eine höhere volumetrische Energiedichte verfügen und problemlos in der bestehenden Infrastruktur transportiert werden können. Dadurch erhöhen sie potenziell schnell die Versorgungssicherheit und sind mindestens ein Zwischenschritt zu einer vollständigen Wasserstoffwirtschaft. Dies ist ein weiterer Grund, warum der Anschluss an europäische Märkte für die Schweiz so wichtig ist (bspw. European Hydrogen Backbone). Der grösste Nachteil der übrigen erneuerbaren Gase und Kraftstoffe ist der noch tiefere Gesamtwirkungsgrad im Vergleich zu Wasserstoff. Für die Herstellung braucht es folglich noch mehr erneuerbare Energie.
«Weisser» Wasserstoff könnte die Lage verändern
Unter unseren Füssen soll es genügend Wasserstoff geben, um den Bedarf der Menschheit für Hunderte von Jahren zu decken. Diese Information schlug wie eine Bombe ein, nachdem Anfang 2024 ein Bericht der amerikanischen Geologen des USGS veröffentlicht wurde.
Bis Anfang der 2000er-Jahre herrschte Einigkeit darüber, dass es keine Wasserstoffvorkommen gibt, die mit Gas- oder Ölvorkommen vergleichbar wären, obwohl es zahlreiche Hinweise auf das Gegenteil gab. Das änderte sich ab 2012, als in Mali eine Wasserstoffquelle erschlossen wurde. Zehn Jahre später ist sie immer noch aktiv und lässt nicht nach. Seitdem häufen sich die Hinweise auf Wasserstoffvorkommen. Mehr noch: Es gibt gute Chancen, dass dieses Gas in bestimmten geologischen Schichten kontinuierlich produziert wird. In Europa wurde bereits ein grosses potenzielles Vorkommen in Nordfrankreich entdeckt. Überall gibt es Start-ups, die sich mit der Erforschung und Nutzung dieser neuen Ressourcen beschäftigen, auch in der Schweiz. Es müssen jedoch noch viele Schritte unternommen werden, bevor wir sicher sein können, dass uns mit natürlichem Wasserstoff eine neue, saubere Energiequelle zur Verfügung steht. Es bestehen noch grosse Zweifel an den verfügbaren Mengen, an der Art und Weise, wie das Gas aufgefangen und transportiert werden kann, sowie an den Kosten dieser Energie. Sollten sich diese Entdeckungen jedoch bestätigen, könnte dies die Aussichten für die globale und schweizerische Energieversorgung grundlegend verändern.