Richtiger Entscheid mit fadem Beigeschmack: EZB erhöht die Leitzinsen
Angesichts der rekordhohen Inflationsrate im Euroraum hat die Europäische Zentralbank (EZB) erstmals seit elf Jahren den Leitzins erhöht. Der Anstieg von 50 Basispunkten fällt etwas stärker aus als von den Märkten erwartet. Damit setzt die EZB ein längst überfälliges Signal gegen die starke Teuerung. Dieser zu späte, aber richtige Entscheid wird jedoch von der Einführung eines neuen Anleihenkaufprogramms überschattet. Damit greift Europa ein weiteres Mal zur monetären Staatsfinanzierung, um ein Aufflammen der Schuldenkrise zu vermeiden.
Sie war bereits überfällig: Nachdem die Inflation im Euroraum im Juni mit 8,6 Prozent auf ein Rekordhoch gestiegen war, rechneten alle mit einer Zinserhöhung durch die EZB. Andere Zentralbanken wie die Schweizerische Nationalbank (SNB) oder die amerikanische Notenbank (FED) hatten den Zinsschritt bereits viel früher getan. Die Währungshüter in Frankfurt waren deshalb unter Zugzwang und wurden von verschiedenen Seiten kritisiert, die Zinswende auf die lange Bank zu schieben. Zwar fällt der geldpolitische Schritt nun grösser aus als ursprünglich erwartet. Er dürfte aber nicht ausreichen, um die Inflation nachhaltig unter Kontrolle zu bringen.
EZB zögert aus Angst vor Schuldenkrise
Die Zentralbanken befinden sich mit ihrer Zinspolitik in einem Dilemma: Einerseits wollen und müssen sie die Inflation bekämpfen, die sie mit ihrer ultralockeren Geldpolitik zumindest mitverschuldet haben. Andererseits befürchten sie, bei einem zu starken Tritt auf das Bremspedal die Wirtschaft in die nächste Rezession zu stürzen.
Die EZB hat noch einen weiteren Grund, vorsichtig zu sein: Sie befürchtet, dass steigende Zinsen stark verschuldete Länder wie Griechenland und Italien in Bedrängnis bringen und somit nach 2012 eine weitere Schuldenkrise auslösen könnten. Diese Sorge ist nicht unberechtigt, denn in beiden Ländern ist der Schuldenberg mit Corona nochmals gewachsen. Mit der steigenden Unsicherheit ist auch die Rendite zehnjähriger italienischer Staatsanleihen zuletzt in die Höhe geschnellt – ein deutliches Zeichen dafür, dass die Risiken steigen. Der Rücktritt des italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi kommt deshalb zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt, denn er wird die Unsicherheit noch vergrössern. Italien steht wieder einmal vor einem politischen Scherbenhaufen.
Neues Anleihenkaufprogramm TPI gestartet
Damit die Finanzierungskosten der Eurostaaten nicht zu stark divergieren und die nächste Schuldenkrise ausbricht, hat die EZB ein sogenanntes «Transmission Protection Instrument» (TPI) eingeführt. Mit diesem Programm kann sie nötigenfalls mit dem Kauf von Staatsanleihen einzelner Euroländer intervenieren, sollten deren Zinsen in die Höhe schnellen.
Ein solches Instrument birgt grosse Gefahren. Erstens entfernt sich die EZB damit immer weiter von der Rolle einer unabhängigen Zentralbank, die sich der Preisstabilität verschrieben hat. Stattdessen wandelt sie sich zu einem politischen Player, der darüber entscheidet, welche Regierung gerettet wird und welche nicht. Zweitens wird an die Regierungen in den hoch verschuldeten Ländern ein falsches Signal gesendet. Sie können sich weiterhin vor den dringend notwendigen Strukturreformen drücken und müssen ihre Hausaufgaben nicht schnellstmöglich lösen, denn im schlimmsten Fall wird ihr Land von der EZB gerettet. Die disziplinierende Wirkung von Marktpreisen wird somit untergraben. So dürften die schuldenbelasteten Länder Südeuropas kaum auf einen grünen Zweig kommen.