Keine Vergleiche im Strafrecht – Die aufgeschobene Anklageerhebung für Unternehmen
- Einleitung Das Wichtigste in Kürze | Position economiesuisse
- Kapitel 1 1. Schweizerisches Unternehmensstrafrecht – Quo vadis?
- Kapitel 2 2. Deferred Prosecution Agreement (DPA) als Pate
- Kapitel 3 3. Lösung oder Scheinlösung AAU?
- Kapitel 4 4. Wie weiter?
3. Lösung oder Scheinlösung AAU?
3.1. Risiken sind marktwirtschaftsimmanent
Ein marktwirtschaftliches System beruht definitionsgemäss auf Chancen und auch Risiken. Fortschritt ist nur möglich, wenn gewisse Risiken eingegangen werden.
«While a company may die a quick death if it does not manage its critical risks, it will certainly die a slow death, if it does not take enough risks».
Daher ist wichtig, zwischen einer Einleitung eines Strafverfahrens und einer allfälligen Verurteilung eines Unternehmens in einem Strafverfahren sowie der Sanktionierung von unerwünschten Handlungen von Unternehmen mittels zivil- oder verwaltungsrechtlicher Verfahren zu differenzieren. Oft existiert auf nationaler Ebene ein feines Zusammenspiel zwischen Straf- und Aufsichtsrecht, welches nicht ohne Not aus den Fugen geraten darf. Bezüglich amerikanischer Lösungen lassen sich für die Schweiz nur bedingt Schlüsse ziehen, da die Stellung der Staatsanwaltschaft oder das Verhältnis zwischen straf- und zivilrechtlicher Verantwortlichkeit in den beiden Rechtsordnungen sehr unterschiedlich sind.
3.2. Chancen oder Gefahren für Unternehmen durch Einführung der AAU?
Das Institut der AAU wirft rechtsstaatliche Fragen auf.
Den Staatsanwälten kommt bei Einführung von DPA-ähnlichen Modellen eine grosse Macht zulasten der Unternehmen und ihrer Aktionäre zu. Bei den abgeschlossenen Vereinbarungen handelt es sich nicht um Verträge zwischen ebenbürtigen Parteien, da die Unternehmen de facto oftmals zu einem Vergleich mit den von den Strafverfolgungsbehörden diktierten Bedingungen gezwungen werden. Dies führt auch dazu, dass DPA (und NPA) auch in Fällen benutzt würden, in denen früher keine Strafuntersuchung eingeleitet worden wäre (zum Beispiel wegen bloss geringfügigen Fehlverhaltens, wegen fehlenden Tatverdachts oder schlicht aus Mangel an Beweisen). Dies legt den Verdacht nahe, dass Staatsanwälte auch in denjenigen Fällen zu DPA greifen, die in der Vergangenheit nicht aufgegriffen worden bzw. eingestellt worden wären. Dies ist bezüglich der Gewaltenteilung kritisch, da es kein systemisches Mittel gegen übereifrige Staatsanwälte gibt. Die Staatsanwälte können aufgrund eigenem Ermessen Unternehmen mittels DPA grosse strukturelle Reformen aufzwingen, ohne einer eigentlichen richterlichen Kontrolle zu unterliegen. Die meisten DPA beinhalten eine Klausel, wonach es in der alleinigen Verantwortung des Staatsanwalts liege, zu entscheiden, ob die vereinbarten Auflagen eingehalten worden seien.
Befürworter von DPA (und NPA) unterstreichen die kosteneffektiven Ahndungsmöglichkeiten (vermeintliche oder effektive) betreffend Wirtschaftskriminalität. Zudem würden dadurch Kollateralschäden verhindert. Gegner dieses Systems stehen teilweise sowohl der Unternehmensstrafbarkeit wie auch der prozessualen Ausgestaltung von DPA (und NPA) kritisch gegenüber. Zunächst kommt den Strafverfolgungsbehörden eine missbräuchliche Machtfülle zu, welche die Rechte der beschuldigten Unternehmen stark einschränkt oder gar ganz aufhebt. Zudem würde dieses System auch die verpönten «revolving doors» fördern, wonach Staatsanwälte nach einiger Zeit die Seite wechseln und in lukrativen Positionen in der Privatwirtschaft die ehemals potenziell beschuldigten Unternehmen beraten. Des Weiteren wird die gänzlich fehlende oder nur minimal existierende gerichtliche Inhaltskontrolle beklagt, obwohl der Staatsanwalt final über die Sanktionierung eines Unternehmens entscheide. Ebenso kritisiert wird die Mutation des Strafrechts zu Regulierungsmassnahmen und die damit einhergehende fachliche Überforderung der verantwortlichen Staatsanwälte.
Hinzu kommt, dass die Strafverfolger Unternehmen aufgrund von DPA zu Massnahmen bewegen können, welche ehemals mangels ausreichender Beweise hätten eingestellt werden müssen. Gleichzeitig wird die Angst der beschuldigten Unternehmen vor dem Verfahrensausgang benutzt, um Ermittlungskosten zu sparen und auf schnelle Weise eine zusätzliche Einnahmequelle für den Staat zu generieren.
Auch das schweizerische Bundesgericht hatte bereits Gelegenheit, sich zur berechtigten Angst eines Unternehmens vor einer Anklageerhebung in den USA zu äussern:
«Wäre in den USA tatsächlich Anklage erhoben worden, hätte dies mit hoher Wahrscheinlichkeit für die UBS existenzbedrohende Folgen mit den dargelegten Auswirkungen gehabt: Es ist – wie die FINMA zu Recht geltend macht – hinlänglich bekannt, dass eine Anklageerhebung in den USA unabhängig von ihrem Ausgang für das betroffene Unternehmen zu einem nicht wiedergutzumachenden Reputations- und einem Vermögensverlust führt, der im Bankenbereich verheerende Folgen hat und rasch zu einer Überschuldung führt. Seit 1989 wurden in den USA sechs Finanzinstitute angeklagt, nur eines davon hat dies überlebt. Selbst die Einleitung eines Anklageerhebungsverfahrens, das sich letztlich als Drohgebärde oder als ungerechtfertigt erweist, gefährdet wegen des damit verbundenen Vertrauensverlustes die Existenz des betroffenen Instituts.»
Gleichzeitig werden Stimmen laut, welche DPA als zu wenig abschreckend betrachten und auch als ungerecht, weil vor allem grosse Unternehmen in den «Genuss» eines DPA kommen würden («too big to fail, too big to jail»). Mit Einführung von DPA werden mindestens teilweise die tradierten klaren Vorstellungen des Strafrechts geopfert (Schuld vs. Unschuld, Strafe vs. Freispruch) und «eingetauscht gegen Konzepte aus dem Reich des Ungefähren». Die Grundlage der vereinbarten Zahlungen und Compliance-Zugeständnisse fussen nicht auf gerichtlicher Feststellung und bei den europäischen, den amerikanischen DPA nachgebildeten Instrumenten, auch nicht auf Geständnissen des betroffenen Unternehmens. Der Staat setzt sein Strafrecht zwecks Abschöpfung von potenziell illegalem Gewinn als Erpressungsmittel ein, ohne im Geringsten die Unschuldsvermutung widerlegen zu müssen. Ob sich ein derartiger Verlust an Rechtsstaatlichkeit und auch Voraussehbarkeit und das leichtfertige Aufgeben von langjährig bewährten Rechtsinstituten- und systemen für einen Wirtschaftsstandort mit einem international anerkannten Rechts- und Justizsystem als zukunftsträchtig erweisen kann, ist äusserst fraglich.
DPA stehen an der Schnittstelle von zwei unterschiedlichen strafrechtlichen Paradigmen:
- Idee der Strafjustiz als Überwachungs, Risk Management und Kontrollinstanz im Zusammenhang mit «Verdächtigen»
- Strafjustiz als Untersuchungs- und Bestrafungsinstanz von Straftätern.
Die angewandten Standards divergieren je nach Paradigma. Die Differenzierung zwischen Zivil- und Strafverfahren wird ausgereizt, was als gefährliche Tendenz gesehen werden kann, bestehende und bewährte Gerichts- und Justizverfahren und auch aufsichtsrechtliche nationale Konzepte auszuhebeln. Mit Aufnahme von DPA in das Rechtssystem werden neue Überwachungs- und Risk Managementsysteme eingeführt, um der Unternehmenskriminalität Herr zu werden. Entsprechend sollten sehr fundierte Abklärungen getroffen werden, bevor leichtfertig neue Rechtsinstitute von solch grosser Tragweite ins Rechtssystem eingeführt werden.
3.3. Schweiz im internationalen Kampf gegen Wirtschaftskriminalität – Internationaler Druck als Veränderungsmotor
Festzustellen ist, dass die Schweiz bereits vor 15 Jahren ein Unternehmensstrafrecht eingeführt hat. Im internationalen Kampf gegen die Wirtschaftskriminalität sollten nicht leichtfertig rechtsstaatlich bedenkliche Institute eingeführt werden, welche potenziell gegen zahlreiche Grundsätze unseres Strafprozesssystems verstossen.
Vielmehr sind anlässlich der vorgeschlagenen Evaluation eines allfälligen Handlungsbedarfs zur Revision des schweizerischen Unternehmensstrafrechts auch internationale Vorgaben zu analysieren. In neuster Vergangenheit wurden international sehr hohen Bussen gegen ausländische Unternehmen ausgesprochen (zum Beispiel UBS in Frankreich; UBS, CS und andere Banken in den USA). Gerade die Bundesanwaltschaft hat ihren Vorschlag nach Einführung der AAU damit begründet, es brauche Lösungen, um Konzerne in der Schweiz zu bestrafen, weil man auf internationalem Parkett über die Schweiz rede und bemängle, die Bussen seien zu tief, es dauere alles viel zu lange und die Strafen würden zu spät kommen. Ob dies zutrifft und ein allfälliges Untätigbleiben auf dem internationalen Strafparkett der schweizerischen Wirtschaft abträglich wäre oder ob es sich dabei vielmehr um einen «Wettbewerb der Staaten um einen möglichst attraktiven Wirtschaftsstandort» handelt, kann an dieser Stelle nicht beurteilt werden. Jedenfalls wäre interessant zu analysieren, in welchem Umfang den DPA- bzw. NPA-anwendenden Staaten Gelder aufgrund von Bussen von nationalen und vergleichsweise international ansässigen Unternehmen zugeflossen sind. Aufhorchen lässt jedenfalls eine aktuelle Studie einer amerikanischen Kanzlei, welche den zahlenmässigen Ausreisser von aussergerichtlichen Vereinbarungen der USA im Jahr 2015 mit dem «Swiss Bank Program Category 2 Agreements» begründet.
Die Einführung von DPA ist auch in internationalem Kontext zu sehen. Staaten setzen DPA, wenn auch nicht ausschliesslich, so doch zunehmend ein, um gegen ausländische Unternehmen vorzugehen. Nennenswert ist, dass die USA aus dem bereits mehrfach erwähnten und wegweisenden Fall «Arthur Anderson» ihre Lektion gelernt zu haben scheinen. Diesbezüglich sei auch auf den Fall des US-amerikanischen Postunternehmens FedEX im Jahr 2016 verwiesen, wo der Vorwurf erhoben wurde, es seien Medikamente aus illegalen Onlineverschreibungen zu den Kunden transportiert worden. FedEx lehnte ein vorgeschlagenes «guilty plea» ab und bestand auf einer gerichtlichen Hauptverhandlung. Da die Strafverfolgungsbehörde offensichtlich Zweifel bekam, dass der subjektive Tatbestand beweisbar sein würde, beantragte sie kurz vor Beginn der Hauptverhandlung selbst die Einstellung des Verfahrens.
DPA sind aus Sicht der Strafverfolgungsbehörden kosteneffiziente Mittel im Kampf gegen mutmassliche Wirtschaftskriminalität. Nach der Finanzkrise im Jahr 2008 vertrat man immer häufiger die Auffassung, dass mittels DPA gravierende Schäden auf nationalen und internationalen Märkten verhindert werden konnten, als wenn Strafuntersuchungen gegen Unternehmen hätten eingeleitet werden müssen. DPA seien als regulatorische Antwort für multinationale Unternehmen, welche als «too big to fail and too big to jail» angesehen würden, zu sehen. Gleichzeitig werden Stimmen laut, welche bemerken, dass Unternehmensunrecht dadurch nicht verhindert werden könne («Justice should neither be bought nor sold»).
3.4. Ressourcenengpass der Bundesanwaltschaft
Die Bundesanwaltschaft machte deutlich, dass sie national eine Diskussion zu diesem Thema anstossen wolle.Dies ist ihr mit ihrem Vorstoss zur Einführung der aufgeschobenen Anklageerhebung für Unternehmen aufgrund der Publikation dieses Papiers geglückt.
Wiederholt wurde in den Raum gestellt, dass den Strafverfolgungsbehörden und insbesondere der Bundesanwaltschaft zu wenig Ressourcen zur Verfügung stehen würden und auch die Fachkompetenz zur Beurteilung von komplexen Wirtschaftsstraffällen fehlen würde. Ob in dieser Hinsicht Handlungsbedarf besteht oder nicht, kann hier nicht beurteilt werden. Wenn der Bundesanwaltschaft Ressourcen fehlen sollten, dann ist dies aber genauso zu adressieren und nicht mittels «Abkürzung» über Vorschläge nach (systemfremden) Instituten wie die AAU zu lösen.