Fünf Irrungen zum Mercosur
Der Schweizerische Bauernverband hat in einem neuen Papier dargelegt, dass er nicht grundsätzlich gegen ein Freihandelsabkommen mit dem Mercosur ist. Er anerkennt, dass auch die Bauern auf eine starke, exportierende Wirtschaft angewiesen sind. Der Bauernverband fordert aber rote Linien. Natürlich darf die Landwirtschaft in der Schweiz keinesfalls abgeschafft werden – aber gerade deswegen müssen die roten Linien zielführend sein. In folgenden fünf Punkten sind sie das nicht.
1) Südamerikaner haben durchaus Interesse an Schweizer Qualität, aber die Handelshürden sind hoch.
«Die Mercosur-Staaten haben aktuell wenig Interesse an unseren Produkten. […] Der Käseexport ist unbedeutend.»
260 Millionen Menschen leben im Mercosur, also in Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay. Und sie verdienen dort gemeinsam 2,4 Billionen Dollar im Jahr. Tendenz steigend. 60 Millionen der Einwohner können zur Mittelschicht gezählt werden, mit der entsprechenden Kaufkraft. Allein diese Zahlen verdeutlichen, welches Potenzial im Mercosur für Schweizer Produkte vorhanden wäre. Trotzdem fallen die Exporte vergleichsweise niedrig aus. Das hat aber nicht mit mangelndem Interesse zu tun, so wie es der Bauernverband darstellt. Sondern mit hohen Handelshürden. Essen die Südamerikaner so wenig Schweizer Käse, weil er ihnen nicht schmeckt? Nein, aber der Mercosur erhebt auf Schweizer Hartkäse Zölle von 28 Prozent, weshalb dieser für viele zu teuer wird. Genau deswegen braucht es ein Freihandelsabkommen, das diese Zölle und weitere Handelshürden abbaut. Ein solches Abkommen wäre auch für die Schweizer Landwirtschaft eine grosse Chance.
2) Wir exportieren Kaffee und Schokolade in den Mercosur, weil wir bei diesen Produkten frei handeln können.
«Exportseitig dominieren dabei Produkte, die für die einheimische Landwirtschaft kaum Wertschöpfungspotenzial bergen. Sinnbildlich dafür steht der Kaffee.»
Während der Absatz von Hartkäse im Mercosur noch weit von seinem Potenzial entfernt liegt, finden Schweizer Schokolade und Kaffee eher Anklang. Der Bauernverband hält hierzu fest, dass dies für die Landwirtschaft keine Rolle spiele, da sie nicht davon profitiere. Damit unterschlägt er aber zwei wichtige Gegebenheiten: Erstens wird zum Beispiel in der Schokolade Schweizer Zucker und Milch exportiert. Zweitens sind Schokolade und Kaffee genau deshalb wettbewerbsfähige Produkte, weil sie nicht mit Zöllen abgeschottet werden. Kakao und Kaffee können daher günstig in die Schweiz importiert und verarbeitet werden. Deshalb hat zum Beispiel Nestlé für Nespresso drei Fabriken in der Schweiz, in Orbe, Avenches und Romont. Dort arbeiten Hunderte von Leuten, bedienen auch die Nachfrage aus dem Mercosur und verdienen so ihr Einkommen, das sie letztlich auch für landwirtschaftliche Produkte aus der Region ausgeben.
3) Der Schweizer Konsument will Thurgauer Gala, keine argentinischen Birnen.
«Durch die Lagerungsmöglichkeit von Tafelobst stünden Schweizer Äpfel ausserhalb der Saison mit argentinischen in Konkurrenz.»
Dank unserer erfolgreichen Wirtschaft und auch dank dem offenen Zugang zu den Weltmärkten haben die Schweizer eine hohe Kaufkraft. Der Bauernverband hat recht, wenn er festhält, dass die Schweiz darum für Betriebe aus dem Mercosur interessant ist. Allerdings bedeutet das eben genau auch, dass der Mercosur kein Hauptinteresse daran hat, die Schweiz mit günstigen Massenprodukten zu beliefern. Denn dadurch würde er nicht von der hohen Kaufkraft profitieren. Es geht dem Mercosur vor allem um Nischenprodukte. Und hier weiss der Schweizer Konsument sehr wohl, was er will, und ist auch bereit, dafür zu bezahlen. Das zeigt der Erfolg von regionalen Produkten in der Schweiz. Der Bauernverband warnt vor Äpfel und Birnen aus Argentinien. Damit unterschätzt er den Stellenwert, den Ostschweizer Früchte bei Schweizer Konsumenten geniessen. Das verdeutlicht auch das Beispiel Wein: Hier gibt es offene Grenzen in der Schweiz, und trotzdem können sich Schweizer Winzer behaupten.
4) Was die Schweiz fordert, muss sie auch selbst vorleben.
«Anforderungen an Produktionsstandards aufrechterhalten.»
Das Freihandelsabkommen mit dem Mercosur muss unbedingt auch Handelshürden abbauen, die sich nicht auf Zölle beziehen. Diese Forderung des Bauernverbands ist richtig und wichtig. Denn es sind tatsächlich nicht nur hohe Zölle, die Schweizer Käseexporteuren im Mercosur zu schaffen machen, sondern auch abweichende Produktvorschriften. Allerdings muss der Bauernverband dann auch akzeptieren, dass dies ebenso für südamerikanische Produkte in der Schweiz gilt. Die Forderung nach hohen Produktionsstandards ist daher widersprüchlich.
5) Zölle und Kontingente sind das Gegenteil eines marktorientierten und effizienten Systems. Sie sind innovationshemmend und reduzieren die Wettbewerbsfähigkeit.
«Dies gilt insbesondere für sensible Produkte, wo wir ein effizientes, marktorientiertes System mit Kontingenten und Zöllen haben.»
Grundsätzlich bleibt festzuhalten: Zölle und Kontingente verzerren den Markt, denn sie verhindern Wettbewerb und führen zu Fehlanreizen. Unter anderem deshalb sind in der Schweiz die Lebensmittelpreise deutlich höher. Durchschnittlich liegen diese 50 Prozent über dem weltweiten Schnitt – der Schweizer Konsument bezahlt für Lebensmittel dadurch 600 Millionen Franken pro Jahr mehr, was pro Haushalt 162 Franken ausmacht. Beim Fleisch betragen die Zölle sogar 150 Prozent. Statt acht Franken kostet das argentinische Steak 20 Franken. Dadurch nimmt nicht nur der Konsument Schaden. Weil wir an unserer Grenze hohe Hürden aufziehen für Agrarprodukte, treffen unsere innovativen Betriebe aus dem Agrarsektor und der Lebensmittelindustrie im Ausland ebenfalls solche an. Das verringert den Anreiz, sich in der Landwirtschaft über Qualität auszuzeichnen. Denn was bringt einem Produzenten ein gutes Produkt, wenn er es nicht jenen Menschen liefern kann, die es gerne kaufen würden?