Brexit: Ein besonderer Montag
Der EU-Austritt Grossbritanniens ist eine Zäsur – da sind sich alle Kommentatoren einig. Über deren Folgen hingegen wird sehr unterschiedlich spekuliert. Was kommen wird, ist ja auch nicht einfach einzuschätzen. Ich wage es trotzdem – aus Sicht der Schweizer Wirtschaft.
Die Idee der Europäischen Union sah ursprünglich nicht vor, dass ein Mitglied austritt. Beim Brexit handelt es sich zudem um den Austritt einer der fünf grossen EU-Staaten, eines Mitglieds der G7 mit ständigem Sitz im UNO-Sicherheitsrat, einer Atommacht mit Marine und grosser Armee. Was aber Brüssel und viele Politiker in Europa wohl noch viel mehr schmerzt ist der Umstand, dass ein Volksentscheid zum Austritt führte. Dem «Europa für die Bürger» sind die Briten abhandengekommen, und zwar endgültig.
In der politischen Einordnung dieses «plebiszitären Unwetters» – oder je nach Sichtweise dieser «Unabhängigkeitserklärung» – fällt auf, dass nun sorgenvoll auf weitere Länder geblickt wird. So gibt es in fast allen EU-Staaten erstarkte Nationalisten. Frankreich, Niederlande, Dänemark und weitere werden genannt. Beginnt nun die Europäische Union auseinanderzubröckeln? Was bedeutet das für die Schweiz?
Zuerst muss kurz erwähnt werden, dass Grossbritannien immer Distanz zur Idee der politischen Integration hatte. Den Briten ging es um den Binnenmarkt. Folgerichtig machten sie weder bei der Währungsunion noch bei Schengen-Dublin mit. Die Briten steigen nun aus. Andere Völker sind erst gar nicht eingestiegen, so etwa in Norwegen, Island, Grönland oder in der Schweiz. Vor diesem Hintergrund ist das Plebiszit in Grossbritannien nicht so einmalig.
Grossbritannien distanzierte sich immer von der Idee der politischen Integration.
Die Europäische Union ist geschwächt, aber sicher nicht in Auflösung. Die Distanz Grossbritanniens gegenüber der EU gibt es in anderen Ländern, beispielsweise der Eurogruppe, weniger. Vielerorts hat man auch erkannt, dass es falsch ist, die Schulden- und Wirtschaftskrise, Sparmassnahmen oder Zukunftssorgen der EU anzulasten. Schliesslich sind die Probleme hausgemacht und die eigenen Regierungen dafür verantwortlich. Viele Mitgliedstaaten haben zudem mit Reformen begonnen. Dennoch ist die Gesamtsituation in der Europäischen Union stark von politischen und makroökonomischen Unsicherheiten geprägt. Für die Schweiz ist ein stabiles Europa genauso wichtig wie für die anderen Länder – gerade vor dem Hintergrund der engen wirtschaftlichen Verflechtung und der sich rasant entwickelnden globalen Herausforderungen.
Die EU-Kommission und die Aussenminister von Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und den Niederlanden haben am Samstag knallhart auf Brexit reagiert und Grossbritannien aufgefordert, die Austrittsverhandlungen zügig einzuleiten. Es ist klar, dass mit einem schnellen Vorgehen nicht nur Klarheit geschaffen, sondern auch ein deutliches Signal an alle EU-Mitglieder gegeben werden soll: Reisende werden nicht aufgehalten, sondern zügig vor die Türe gestellt. Wer auf Nachverhandlungen setzte, steht mit leeren Händen da.
Die EU muss an einer einvernehmlichen Lösung Interesse haben.
Die Schweiz ist als Teil Europas von diesen Entwicklungen politisch und wirtschaftlich betroffen. Zur Wirtschaft: Grossbritannien ist der fünftwichtigste Absatzmarkt unserer Exportwirtschaft – noch vor China, oder wichtiger als Österreich und Spanien zusammen. Wenn es daher in Grossbritannien zu einer Strukturkrise käme – Studien rechnen mit einem Einbruch von 5.5 Prozent des BIP und dem Verlust von über 900'000 Arbeitsplätzen bis 2020 – ist auch unser Wirtschaftsstandort betroffen. Sollte auch die europäische Wirtschaft einen konjunkturellen Dämpfer erleiden, dann wäre der Effekt auf die Schweiz umso stärker. Wenn die genannten Unsicherheiten zudem den Aufwertungsdruck auf unsere Währung wieder ansteigen lassen, wären das weitere schlechte Nachrichten für Exporteure, Investoren und Konsumenten.
Bei der Politik steht die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative im Fokus. Einerseits hat die EU auch gegenüber Grossbritannien keine grossen Zugeständnisse bei der Personenfreizügigkeit gemacht. Andererseits hat gerade Brexit brutal gezeigt, dass die Europäische Union eine griffigere Migrationspolitik braucht und ein Interesse an einer einvernehmlichen Lösung mit der Schweiz haben muss.
Die Schweizer Innenpolitik ist besonders gefordert. Unsere Europapolitik wird nicht nur in Bern entschieden, sondern ebenso in Brüssel und weiteren (künftig) 27 Mitgliedstaaten. Gut möglich, dass es noch schwieriger wird, unsere europapolitischen Ziele zu erreichen. Umso wichtiger ist es, dass wir einen breiten Konsens aufbauen: Die Sicherung der Bilateralen Abkommen ist zentral für uns und dafür müssen wir uns nun umso stärker einsetzen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer wirtschaftsfreundlichen und europaverträglichen Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative. Da wir das selbst in der Hand haben, müssen uns die am vergangenen Freitag stark gestiegenen Unsicherheiten diesen Montag nicht verunsichern.