Weltklasse mit über 100-jährigen Werkzeugen
«Die komplette Einheit» ist es, was Thomas Inderbinen anstrebt, wenn er Blasinstrumente baut. Und darum baut er sie in seiner Werkstatt in Buchs bei Aarau von Hand. Einzig das Ventilstück wird aus Deutschland importiert. Inderbinen Blasinstrumente sind ein Schweizer Exportschlager. In den kommenden Jahren wird es vor allem aus Asien noch viel Arbeit geben.
Die komplette Einheit des Instruments, aber vor allem auch die komplette Einheit von Instrument und Musiker strebt Thomas Inderbinen an. Vor 30 Jahren übernahm er, damals ausgelernter Holz- und Blechblasinstrumente-Reparateur und selbst Musiker in der Bill Banger Band, die heute über 100-jährigen Werkzeuge eines Aargauer Instrumentenbauers. Auch zwei Zürcher Museen wären an der Instrumentenwerkstatt interessiert gewesen. «Von mir hat er wohl weniger dafür bekommen, als die Museen ihm geboten haben, aber er hat sich richtig entschieden», meint Inderbinen mit Schalk im Gesicht zur Entscheidung seines Vorgängers.
Von Buchs bei Aarau nach Übersee
Zu Beginn «frisierte» Inderbinen Instrumente von Musikern und sorgte mit Reparaturen für das Einkommen des Einmannbetriebs. Doch das Streben nach der «kompletten Einheit» liess ihn nicht los. Und so trat er an, für sein grösstes Idol, den Jazzsaxophonisten Michael Brecker, ein Saxophon zu bauen. Es dauerte zehn Jahre, bis ein Prototyp erstellt war. Und danach ging die Arbeit erst richtig los. Wie sollte ein unbekannter, allein arbeitender Instrumentenbauer nicht nur die Aufmerksamkeit, sondern auch das Vertrauen eines weltbekannten amerikanischen Musikers gewinnen?
Inderbinen Blasinstrumente repariert, vermietet, verkauft und baut seit 30 Jahren Blasinstrumente im Kanton Aargau. «Gewachsen sind wir ganz ohne ‹Dünger›. Für Werbung wollten wir kein Geld einsetzen, stattdessen setzen wir noch heute ganz auf die Mund-zu-Mund-Propaganda unter den Musikern», so der Inhaber Thomas Inderbinen.
Eine Portion zivilen Ungehorsams
Beharrlichkeit, die Vertrautheit mit der Musikerwelt hinter der Bühne und eine Portion zivilen Ungehorsams waren die Zutaten von Inderbinens Erfolgsrezept, um seine Instrumente an die Musiker zu bringen. Inderbinen stahl sich während der Proben hinter die Bühne und hielt den Musikern sein Instrument zur Probe hin. Und die Musiker mochten seine Hörner. Nicht nur Michael Brecker, auch andere Jazzgrössen wie Roy Hargrove, Candy Dulfer oder auch Popidole wie Robbie Williams zählen zu den treuen Kunden des Aargauer KMU. Doch der Weg war lange. Auf die zehn Jahre für die Entwicklung des Prototyps folgten zehn Jahre «Klinkenputzen», um Musiker als Kunden zu gewinnen. In den zehn letzten Jahren war dann aber bei Thomas Inderbinen und seinem zehnköpfigen Team endlich «ernten» angesagt. Was die nächsten zehn Jahre folgen wird? Die Sehnsucht nach der Musik, nach der ganz eigenen Musik, lässt Inderbinen nie los. Jeden Tag spielt er morgens eine Stunde sein Saxophon, vielleicht wird es bald wieder mehr. Vieles jedoch hängt im KMU an seiner Person, und der Aufbau einer Nachfolge braucht Zeit.
Fachkräftemangel mit Eigeninitiative bekämpft
Nach einer vierjährigen Lehre sind die Lernenden im Betrieb noch weit davon entfernt, selbst ein Instrument bauen zu können. Die Ausbildung zum Instrumentenbauer erfordert ein feines Gespür für Klang und Musik, kombiniert mit einem hohen handwerklichen Geschick. Der Lehrlingsmangel ist in der Branche besonders akut. So wurde der Lehrgang des Musikinstrumentenbauers vor einigen Jahren beinahe eingestellt. Inderbinen, der anteilsmässig viele Lehrlinge ausbildet, hat sich gegen die Kostensparmassnahme gewehrt und mit Berufskollegen zusammen auf die Gründung des Berufsbildungsfonds Musikinstrumentenbauer (BBF MIB) hingewirkt. Seit 2010 zahlen nun alle Betriebe der Branche in den Fonds ein, der die Ausbildung der Instrumentenbauerinnen und Instrumentenbauer in einem schweizweit einmaligen Ausbildungszentrum am Thurgauer Arenenberg ermöglicht.
«Verschont vom technischen Fortschritt» fertigen Thomas Inderbinen sowie zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Blasinstrumente an. Die Preise für die Unikate liegen im vier- bis fünfstelligen Bereich.
Kunden bleiben tagelang, bis das Instrument passt
Zwei Dinge fallen beim Blick in Inderbinens Werkstatt auf: Die Mehrheit der Mitarbeitenden ist noch sehr jung, und die Geräte, mit denen sie arbeiten, sind sehr alt. «Wir bewegen uns in der Werkstatt immer weiter weg von Maschinen und machen so viel wie möglich von Hand. Vom technischen Fortschritt sind wir grösstenteils verschont geblieben», sagt Inderbinen. Er legt sehr viel Wert auf Handarbeit, weil jedes Instrument bis ins Detail auf die Vorlieben des einzelnen Musikers angepasst wird. Um zu spüren, was für ein Instrument ein Musiker genau braucht, nimmt sich Inderbinen sehr viel Zeit. Manche reisen gleich für eine ganze Woche aus aller Welt nach Buchs und spielen täglich stundenlang auf einem Instrument. So lange, bis das Instrument dem Spielenden erlaubt, sein Innerstes in Klänge zu übertragen. So lange, bis Instrument und Mensch die perfekte Einheit bilden.
Das Rohmaterial, das Messingblech, ist immer gleich: Die Spannung im Blech bestimmt die Schwingung und damit die Tonlage eines Blasinstruments. Das erklärt Thomas Inderbinen im hauseigenen Konzertsaal, wo Kundinnen und Kunden Konzerte spielen.
Wachstumsmarkt Asien
Die Werkzeuge sind über Jahre die gleichen geblieben, die Instrumentenbauerbranche jedoch hat sich fundamental verändert. Auch sie ist betroffen von der Konkurrenz aus Billiglohnländern, wie Inderbinen sich ausdrückt. Doch diese Konkurrenz sei für Unternehmen wie seines, die alles auf die Karte Qualität setzen, eher ein Vorteil. Profimusiker sind bereit, für ein massgeschneidertes Instrument einen entsprechenden Preis zu bezahlen. Vor allem aus Asien werde es in den kommenden Jahren noch viel Arbeit geben. Solisten aus Japan und Südkorea seien bereits Kunden, und auch aus Shanghai wurde nach Inderbinens Auftritt an einer Shanghaier Messe Interesse angemeldet. Das Gefühl für die Spannung und die Vibration im Messing könne keine Maschine ersetzen. Inderbinen selbst hat Werke von Grossherstellern besucht, wo CNC-gesteuerte Maschinen mit einem «Chaos»-Programm laufen – ein Versuch, die menschliche Note beim Instrumentenbau zu erhalten. Profimusikern jedoch ist das wohl nicht Mensch genug. Eine gute Voraussetzung für Inderbinen, den Weltmarkt für Qualitätsinstrumente noch ein Weilchen mitzuprägen und Nachfolger aufzubauen, die seine Passion weitertragen.