# 3 / 2017
24.03.2017

Mit Disziplin und Kontrolle aus dem Regulierungssumpf

Ursachen der wachsenden Regulierungsdichte

Übersteigerte Hoffnung

Haupttreiber der Regulierungsdichte ist der weitverbreitete Glaube, mit neuer Regulierungen Herausforderungen aller Art lösen zu können. Diese Haltung findet sich nicht nur in der Verwaltung, sondern auch in der Politik (unabhängig vom Parteibuch), der Gesellschaft und der Wirtschaft. Der Wunsch nach Regulierung ist dabei eng mit dem jeweiligen Wertekompass verknüpft. Die wachende Regulierungsdichte ist das Resultat dieser Hoffnungen und mangelnder Disziplin im gesetzgeberischen Prozess.

Ein gewisses Mass an Regulierung ist für eine funktionierende Marktwirtschaft unabdingbar. Oft gibt es gute Gründe, den Marktteilnehmern Vorgaben zu machen. Auch die fortschreitende internationale Vernetzung beeinflusst die Regulierung unausweichlich. In einigen Fällen entspringt der Wunsch nach Regulierung auch Bedürfnissen der Wirtschaft: Regulierung bietet Rechts- und Investitionssicherheit sowie – wenn sie sorgfältig ausgestaltet ist - einen international abgestimmten Rahmen.

Zum Problem wird Regulierung, wenn sie zu wuchern beginnt oder ausser Kontrolle gerät, wenn veraltete Gesetze und Verordnungen weiterbestehen oder wenn Regulierung für ideologische oder parteipolitische Zwecke missbraucht wird. Exemplarisch zeigt sich dies beim Versuch, gesellschaftspolitische Herausforderungen mittels Regulierung anzugehen: In den letzten Jahren hat man unter anderem versucht, hohe Managerlöhne, einen als zu gering empfundenen Anteil von Frauen in Führungsetagen oder den Erwerb von Liegenschaften durch Ausländer zu regulieren. Alle diese Eingriffe haben hohe Kosten für die Beteiligten zur Folge, während der Erfolg der Regulierung im besten Falle fragwürdig ist.

Schädliche Dynamiken

Ein weiteres Grundproblem liegt in den Dynamiken der Politikgestaltung und den Eigeninteressen der Akteure. Einerseits innerhalb von Politik, Verwaltung und den Regulierten, andererseits auch im Zusammenspiel dieser Akteure. Denn oft ziehen Politik und Verwaltung zusammen mit einem Teil der Regulierten in die gleiche Richtung. Es fehlt ein eigentliches Gegengewicht und an korrigierenden Anreizsystemen.

Regulierungsdynamik im Parlament

Oftmals führt ein medienwirksames Ereignis zu einem Regulierungsvorschlag. Die Aufmerksamkeit der politischen Akteure ist dabei selten auf die wichtigsten Herausforderungen gerichtet, sondern auf diejenigen, die als drängend dargestellt werden. Gute Absichten enden so überhastet in schädlichen Gesetzen. Der Abbau von Regulierungen steht nicht im Fokus. Er wirft primär abstrakte Fragen auf und ist kein Thema, mit welchem sich Wählerstimmen gewinnen lassen. Zusätzlich haben sich die Regulierten meist mit einer Regulierung arrangiert, so dass im Einzelfall jeweils wenig Druck besteht, die Regulierung in Frage zu stellen.

Regulierungsdynamik in der Verwaltung

Die Behörden geben keinen Gegendruck, im Gegenteil. Die Verwaltung sieht ihren Auftrag in der Regel darin, neue oder bestehende Regulierungen zu perfektionieren und lückenlos auszugestalten. Eine grundsätzliche Infragestellung einer Regulierung kommt selten vor. Regulierungsfolgen-Abschätzungen werden durch die Ämter selber in Auftrag gegeben und bezahlt: entsprechend unkritisch fallen diese aus.

Regulierungsdynamik bei den Regulierten

Nicht zu vergessen ist schliesslich, dass Regulierungen nicht selten auch von einzelnen Kreisen ausdrücklich gewünscht werden: So gibt es Wirtschaftskreise, welche von einer neuen Regulierung profitieren oder die sich gegen die Aufhebung einer sie schützenden oder bevorzugenden Regulierung wehren (Strukturerhalt). Generell wird Regulierung nur dann als störend empfunden, wenn sie einen direkt betrifft, nicht aber, wenn sie andere betrifft.

Gewaltenteilung

Das System der Gewaltentrennung dient nur in sehr beschränktem Ausmass zur Eindämmung des regulatorischen Wildwuchses. Denn die Interessen der Legislative und der Exekutive sind beim Erlass spezifischer Regeln oder bei der Aufhebung bestehender Regeln oft gleichgerichtet. Die Gerichte wiederum haben keine Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen. Ihre Aufgabe ist es, Rechte anzuwenden und nicht solche zu hinterfragen.

Grafik 1

In einem ausbalancierten Staats-System kontrollieren sich die Instanzen gegenseitig.

Unzureichende Regulierungsfolgen-Abschätzungen

Art. 170 BV verpflichtet das Parlament „die Massnahmen des Bundes auf ihre Wirksamkeit“ zu überprüfen. Als Folge wurde die sogenannte Regulierungsfolgen-Abschätzung (RFA) für wichtige Gesetzesvorhaben eingeführt und seither vom Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) weiterentwickelt. Heute werden die meisten rechtlichen Vorlagen des Bundes mit einer Schätzung zu den Regulierungsfolgekosten ergänzt.

Wurden solche Schätzungen zu Beginn von den Amtsstellen noch mit einer gewissen Ernsthaftigkeit vorgenommen, so scheint es, als werde die RFA heute weitgehend als lästige Pflicht empfunden. Die Qualität der RFA hat bereits eidgenössische Finanzkontrolle EFK kritisiert. Es mangelt insbesondere an empirischen Untersuchungen und an der Erfahrung der Amtsstellen mit ökonomischen Analysen.

Kritisieren lässt sich auch der Eindruck der Befangenheit: die RFA werden von den mit der jeweiligen Regulierung beauftragten Behörden in Auftrag gegeben. Das schafft zwei Herausforderungen. Einerseits ist das von der Behörde mit der RFA beauftragte Institut an den abgesteckten Rahmen gebunden und kann nicht gegen die Interessen seines Auftraggebers handeln. Andererseits rechtfertigen die Behörden höhere Kosten der Regulierung oft pauschal mit dem Hinweis auf die politischen Entscheide, also den eigenen Auftrag.

RFA werden zudem in der Regel erst am Ende eines Prozesses vorgenommen. Dadurch entfällt die Möglichkeit, eine Regulierung in Bereichen, in denen sie übermässige Kosten verursacht, differenziert anzupassen. So überrascht auch nicht, dass die Ergebnisse der RFA selten einen Einfluss auf die Meinungsbildung und die Entscheidungsfindung im Gesetzesprozess haben.

Zuletzt ist erneut auf politische Dynamiken zu verweisen: Empirische RFA mit transparenten Folge- und Kostenabschätzungen schaffen politische Sachzwänge und minimieren damit den politischen Handlungsspielraum 

Unkontrollierte Dynamiken in den Behörden

Oft sehen die vom Parlament verabschiedeten Gesetze vor, dass der Bundesrat die Kompetenz erhalten soll, Details zur Umsetzung der Regulierung auf Verordnungsstufe zu regeln. Zahlreiche als exzessiv wahrgenommene Regulierungen finden aber gerade auf dieser Stufe statt. So sieht z.B. die Lebensmittelverordnung weitgehende Deklarationspflichten vor. Weitere lähmende Vorschriften finden sich im Arbeitsmarkt oder bei Bauvorschriften.

Regulierung auf Verordnungsstufe durch Behörden

Auch Behörden, darunter Bundesämter, tendieren dazu, die ihnen auf Grund einer Gesetzesvorlage (indirekt) zugesprochenen Kompetenzen bei der Erarbeitung einer Verordnung für sehr weitgehende und bisweilen auch überschiessende Regulierung zu verwenden. Es gibt keine unabhängige Kontrolle, welche den Sinn und die Angemessenheit der jeweiligen Regulierung überprüfen kann.

Finanzmarktaufsichtsbehörde (FINMA)

Ein anderes Beispiel ist die FINMA: diese macht den von ihr regulierten Finanz-Unternehmen durch Rundschreiben immer wieder stark detaillierte Vorgaben. Solche Vorgaben haben den demokratischen Prozess der Rechtssetzung aber nicht durchlaufen. Dennoch haben sie für die angesprochenen Unternehmen faktischen Gesetzescharakter. Eine Anfechtung ist auf Grund des existenziellen Abhängigkeitsverhältnisses der Regulierten höchstens theoretisch denkbar.

In diesen Fällen braucht es nicht nur Zurückhaltung in Bezug auf Regulierungen auf Stufe Rundschreiben, Leitfäden oder gar Verordnung. Es braucht eine Kontrolle durch die Institutionen, damit auch hier die Grundsätze der guten Regulierung und Gewaltentrennung respektiert werden.

Regulierung und Digitalisierung

Die technologische Entwicklung und die damit verbundenen neuen Möglichkeiten haben auch Einfluss auf die Frage, wie Regulierung in Zukunft auszusehen hat. Beispielsweise ist fraglich, ob es bei selbstfahrenden Autos noch derart weitgehende Verkehrsregeln braucht, wie dies heute der Fall ist oder ob solche Regeln einem flüssigen Verkehr nicht eher im Wege stehen.

Die Globalisierung und das offene Netz beeinflussen die Wirtschaft stark und treiben sie zu Wachstum über die nationalen Grenzen hinaus. Durch den Wegfall der nationalen Dimension werden aber auch die Möglichkeiten des primär auf nationaler Ebene agierenden staatlichen Regulators stark zurückgebunden: das Netz lässt sich nicht abschotten, ohne dass gleichzeitig der Standort gefährdet wird.

Um die Standortattraktivität der Schweiz im internationalen Vergleich zu erhalten, müssen Regulierungen so ausgestaltet werden, dass Raum für Entwicklungen besteht und insbesondere auch unbeabsichtigte negative Folgen für die Wirtschaft vermieden werden. Dies wäre dann der Fall, wenn ausschliesslich auf eine technologische Entwicklung hin reguliert würde. In einer globalisierten Wirtschaft und einem hoch dynamischen Umfeld verträgt es keine regulatorischen Experimente oder gar Fehler: angesichts der weiterhin stark zunehmenden Mobilität würden diese sofort zu unbeabsichtigten negativen Konsequenzen und zu der Verlagerung von Wertschöpfung in ein regulatorisch passenderes Umfeld führen.

Hier sind moderne Ansätze gefordert: Interessant ist der sogenannte «Sandbox-Ansatz», der Jungunternehmen bis zum Erreichen einer gewissen Grösse regulatorische Erleichterungen zugesteht, damit diese ihr Geschäftsmodell entwickeln können. Dieses Modell ist zugeschnitten für Start-Ups, stösst aber bei bei Entwicklungen, welche quer durch die Branchen hindurch erfolgen, an klare Grenzen. In diesen Fällen führt kein Weg vorbei am konsequenten Abbau von alten Regulierungen.