# 8 / 2021
18.06.2021

Nein zur Tier- und Menschenversuchsinitiative: Die Volksgesundheit nicht aufs Spiel setzen

Tier- und Menschenversuche in der Schweiz

Starker Rückgang der Tierversuche

Der Begriff Tierversuch wird im Schweizer Tierschutzgesetz (TSchG) definiert als Massnahme, bei der lebende Tiere unter anderem für die Prüfung wissenschaftlicher Annahmen oder der Feststellung der Wirkung von Stoffen verwendet werden. Tierversuche werden mit überwiegender Mehrheit in der medizinischen Forschung für die Gewinnung von neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen eingesetzt und dienen zur Entwicklung neuer Medikamente und Heilverfahren. Bis heute sind zahlreiche medizinische Errungenschaften auf Tierversuche zurückzuführen.

Was genau unter Menschenversuchen zu verstehen ist, bleibt unklar, denn der Begriff ist nicht definiert. In seiner Botschaft schreibt der Bundesrat: «Je nach Auslegung des nicht definierten Begriffs ‹Menschenversuche› kann dieser als Synonym von ‹Forschung am Menschen› verstanden werden. Damit wäre jegliche Forschung am Menschen verboten – dies nicht nur in der Medizin und Biologie, sondern beispielsweise auch in der Psychologie, Soziologie und Sportwissenschaft. Es wäre nicht länger zulässig, ein Forschungsvorhaben mit erwachsenen, urteilsfähigen Personen durchzuführen, die sich aus wissenschaftlichem Interesse oder aus solidarischen oder altruistischen Überlegungen daran beteiligen möchten.»

Im Jahr 2019 wurden in der Schweiz knapp 600'000 Tiere für die Forschung eingesetzt, wovon etwa 80 Prozent Labortiere, also überwiegend Mäuse und Ratten waren. Wie in der Abbildung ersichtlich wird, ist die Anzahl durchgeführter Tierversuche seit 1983 stark rückläufig und lag 2019 mit 572'069 Versuchen auf dem zweittiefsten Wert der letzten 40 Jahre. Knapp 60 Prozent aller Tierversuche finden an Hochschulen oder in Spitälern statt, während die Industrie nur rund 28 Prozent ausmacht. Knapp vier Prozent sind dem Bund und den Kantonen anzurechnen, während die restlichen rund zehn Prozent auf unterschiedliche Institutionen entfallen.

Bei Tierversuchen werden vier Schweregrade unterschieden: keine Belastung (Schweregrad 0), leichte Belastung (Schweregrad 1), mittlere Belastung (Schweregrad 2) sowie starke Belastung (Schweregrad 3). 39 Prozent aller Tierversuche wiesen 2019 keine Belastung für die Tiere aus. 30 Prozent bzw. 28 Prozent der Versuche konnten den Schweregraden 1 und 2 zugeordnet werden, während nur etwa 3 Prozent aller Tierversuche mit schweren Belastungen verbunden waren.

Quelle: Tierversuchsstatistik, BLV

Strenge Gesetzgebung schützt Tiere und ermöglicht Güterabwägungen

Die Schweiz verfügt über eines der striktesten Tierschutzgesetze der Welt. Gemäss dem World Animal Protection Index von 2020 ist die Schweiz neben Grossbritannien, Schweden, Dänemark, Holland und Österreich das Land mit der höchsten Wertung. Viele unserer Nachbarländer wie Deutschland, Frankreich und Italien schneiden schlechter ab. Länder wie die USA, Kanada oder Australien liegen in diesem Ranking sogar deutlich zurück.

In der Schweiz sind Forschende dazu verpflichtet, Tierversuche auf ein Minimum zu beschränken und wenn immer möglich Alternativmethoden anzuwenden. Jeder einzelne Tierversuch sowie das Halten von Versuchstieren sind hierzulande bewilligungspflichtig. Dabei muss dargelegt werden, was der Nutzen des Versuchs ist und wie stark die Tiere voraussichtlich belastet werden. Das Gesuch wird von einer kantonalen Tierversuchskommission beurteilt. Diese Kommission, in der auch Tierschutzorganisationen Einsitz haben, gibt eine Empfehlung ab. Das kantonale Veterinäramt erteilt schliesslich die Bewilligung. In der Tierschutzverordnung sind zusätzlich auch Abbruchkriterien festgelegt. Somit wird sichergestellt, dass eine übermässige Belastung der Tiere verhindert wird. Mit der Erteilung der Bewilligung ist das Prozedere aber noch nicht abgeschlossen: Artgerechte Lebensbedingungen und eine ständige Betreuung durch Fachpersonal sind gesetzlich vorgeschrieben. Ein Tierschutzbeauftragter und die zuständige Veterinärbehörde überprüfen regelmässig unangekündigt, ob die Vorgaben eingehalten werden. Die heutige rechtliche Situation ermöglicht es abzuwägen, ob der Nutzen die Belastung der Tiere rechtfertigt. Damit ein Tierversuch zugelassen wird, muss der erwartete Nutzen für die Gesellschaft grösser sein als das Leiden und die Verletzung der Würde der Tiere. Tierversuche werden also nur durchgeführt, wenn sie aus wissenschaftlichen, ethischen und regulatorischen Gründen unerlässlich und nicht durch Alternativen ersetzbar sind.

Auch bei der Humanforschung sind mit dem Humanforschungsgesetz die ethischen und rechtlichen Grundsätze und Grenzen festgeschrieben. Somit wird der Schutz des Menschen in hohem Masse gewährleistet. Die Humanforschung gehört zu den am stärksten regulierten und kontrollierten Forschungsfeldern weltweit, so auch in der Schweiz.

Weshalb braucht es Tierversuche?

Tierversuche sind ein wesentlicher Bestandteil der Medikamentenentwicklung. Die Lebenserwartung in der Schweiz hat sich in den letzten 100 Jahren fast verdoppelt. Die medizinische Forschung hat zu grossen Errungenschaften geführt. Lebensbedrohliche Erkrankungen konnten weitgehend ausgerottet werden. Mit Impfungen konnten viele Infektionskrankheiten unter Kontrolle gebracht werden, und auch die Krebsforschung hat in den letzten Jahren grosse Fortschritte erzielt. Die Sterberate von an Krebs erkrankten Personen konnte in den letzten 30 Jahren deutlich gesenkt werden. Tierversuche und klinische Studien haben bei dieser Entwicklung eine zentrale Rolle gespielt. Dennoch wurde auch stetig nach Alternativen gesucht.

Alternativmethoden ergänzen Tierversuche und helfen deren Anzahl zu vermindern. Jedoch können sie nach heutigem Stand der Wissenschaft und Technik Tierversuche nicht gänzlich ersetzen. Man unterscheidet drei Methoden:

In silico: simulationsbasierte Untersuchungen

In vitro: Untersuchung mittels Zellkultur

In vivo: klassische Tierversuche

Auch wenn die Alternativmethoden ein grosses Potenzial aufweisen, so können sie Tierversuche nicht vollends ersetzen, insbesondere dann, wenn der Organismus als Ganzes und in seiner ganzen Komplexität betrachtet werden muss. Auch im Falle der aktuellen Corona-Pandemie kann kein Impfstoff für den Menschen freigegeben werden, ohne zuvor an Tieren (in vivo) getestet worden zu sein. Denn unerwünschte systemische Wirkungen oder Nebenwirkungen können derzeit nur mit Tierversuchen zuverlässig ausgeschlossen werden.

Die Forschung ist dabei bestrebt, Tierversuche zu minimieren und ihre hohen Standards laufend weiterzuentwickeln. Im Zentrum stehen hierbei die 3R-Prinzipien: Refine, Reduce, Replace. Die pharmazeutische Industrie, Forschende, Versuchstierfachleute, der Bund, der Tierschutz und die Politik setzen sich seit 30 Jahren für die Anwendung der 3R-Prinzipien ein. Diese Prinzipien sind gesetzlich verankert und müssen – wie weiter oben erläutert – bei jedem Projekt berücksichtigt werden. Mit der erfolgreichen Förderung der 3R durch die 1987 gegründete Schweizer Stiftung 3R, die 2018 zum nationalen 3R-Kompetenzzentrum wurde, ist es gelungen, die Zahl der Tierversuche und die Belastung der Versuchstiere insgesamt kontinuierlich zu reduzieren. Erst kürzlich hat der Bundesrat zudem das mit 20 Millionen Franken dotierte Forschungsprogramm «Advancing 3R – Tiere, Forschung und Gesellschaft» lanciert. Mit dem Programm wird erforscht, wie die Anzahl Tierversuche weiter reduziert werden kann und wie die Versuche selbst weniger belastend werden.