Die Pandemie als digitale Nagelprobe: Lehren und Handlungsbedarf
Lösungsansätze
Regulierung muss kohärent in allen Bereichen dem digitalen Anspruch gerecht werden
Bundesbern mit seinen zahlreichen Behörden kann – ebenso wie die Kantone – als riesiges Unternehmen mit den unterschiedlichsten Bereichen und Tochterunternehmen angesehen werden. Der grosse Unterschied zu privaten Unternehmen ist jedoch, dass Behörden existieren und auch bestehen bleiben, egal ob sie wirtschaftlich lukrativ und innovativ sind oder an lang bestehenden Prozessen festhalten. Daher werden Digitalisierungsansätze wie zum Beispiel in der E-Government-Strategie 2020 bis 2023, welche das Prinzip «Digital First» als Priorität feststellt, zwar aufgenommen, aber selten konsequent oder zeitnah umgesetzt. Diese Einstellung von Digitalisierung als Option und «nice to have» muss sich dringend zu einer konsequenten Anwendung der Digitalisierung als Regelfall ändern.
Der Bundesrat hat zuletzt Schritte in die richtige Richtung getan, indem er mit dem neuen «Bundesgesetz über den Einsatz elektronischer Mittel zur Erfüllung von Behördenaufgaben» eine durchgängige Grundlage für gewisse Prinzipien wie «Open Government Data» geschaffen hat. Dennoch manifestiert sich auch bei dieser Vorlage der starke Fokus auf die digitale Bereitstellung kundenseitiger Dienstleistungen. Die Prozessdigitalisierung und die Anschlussfähigkeit an private Soft- und Hardware bleiben dagegen weitgehend auf der Strecke. Im Unternehmensentlastungsgesetz soll künftig die Möglichkeit eingeräumt werden, dass die zentrale elektronische Plattform «easygov.swiss» auch für Einzelpersonen und weitere Akteure geöffnet werden kann. Das ist zumindest ein Schritt in die richtige Richtung. Die Plattform allein reicht jedoch nicht aus, um die Prozesse zufriedenstellend zu digitalisieren. Wenn es als Anstoss dient, ist aber bereits einiges erreicht.
Es ist unerlässlich, dass bei der Überarbeitung oder Neuentwicklung von Regulierung sichergestellt wird, dass überall die gleichen Prinzipien angewandt werden. Es kann nicht sein, dass beispielsweise in einem Bereich Ausnahmeregelungen festgelegt werden, die eine konsequente Digitalisierung verhindern. Eine prinzipienbasierte Regulierung könnte sich am Lebenszyklus von Daten orientieren und für jeden Teilbereich dieses Zyklus spezifische Grundsätze vorsehen. Diese Grundsätze sollten auch über föderale Strukturen hinweg gelten. Der private Sektor hat sich für die Digitalisierung und die Datennutzung bereits vor längerer Zeit eine solche Selbstregulierung auferlegt. Das «Grundbekenntnis der Schweizer Wirtschaft zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Daten» liesse sich mit gewissen Anpassungen auch auf den Kontext der öffentlichen Verwaltung übertragen. Prinzipien für die öffentliche Hand könnten umfassen:
- Technologieneutrale Anforderungen
- Digital first/once only bei der Datenerfassung und -nutzung
- Neue Softwarelösungen kooperativ und als open source software
- In hoheitlichem Auftrag erhobene Daten als Open Government Data
- Standardisierte Lösungen
Wird durchgehend nach solchen Grundlagen reguliert, erleichtert dies die Einhaltung von gesellschaftlich geforderten Konventionen wie Datenschutz und -sparsamkeit oder Transparenz. Daraus entsteht Vertrauen in die digitalen Lösungen des Staates.
Interoperabilität, Standardisierung und Offenheit
Bei der Prozessdigitalisierung geht es vor allem um mehr Interoperabilität und Standardisierung. Funktional verknüpfte Systeme aller Staatsebenen und Ämter sollten immer nahtlos ineinandergreifen. Das ist weniger eine technische, sondern vor allem eine institutionelle, organisatorische und politische Herausforderung. Bund und Kantone haben dies prinzipiell erkannt. Mit der Schaffung der Organisation «Digitale Verwaltung Schweiz» wurden erste Voraussetzungen für die durchgehende Prozessdigitalisierung geschaffen. Die neue Stelle bei der Bundeskanzlei soll die strategische Steuerung und Koordination von Digitalisierungsaktivitäten von Bund, Kantonen und Gemeinden durch eine Zusammenführung bestehender Strukturen und eine Bündelung der entsprechenden Kräfte wirksamer gestalten. Das ist ein zögerlicher Schritt in die richtige Richtung: weniger System- und IT-Föderalismus, ohne dass der politische Föderalismus tangiert wird.
Dieser Transformationsprozess ist als Führungsaufgabe zu verstehen. Es braucht den vollständigen Rückhalt der Landes-, Kantons- und Gemeinderegierungen, die entsprechende Weisungsbefugnis und speziell zugewiesene Ressourcen, damit ein «streamlining» von Verwaltungsprozessen möglich ist.
Massgeschneiderter Behördenaustausch für unterschiedliche Anspruchsgruppen
Behördendienstleistungen als Teil eines Ökosystems
Indem sich der Staat zurücknimmt und stärker mit Dienstleistern interagiert, verliert er keineswegs an Einfluss, sondern kann sich in einem neuen Administrationsökosystem (z.B. für KMU) als verlässlicher Partner etablieren.
Nach der Ausnahmesituation sollten pragmatische Lösungen weiterverfolgt werden
Als Beispiel könnte das Covid-Zertifikat auch für andere Impfungen oder sonstige Zulassungsbeschränkungen in Zukunft gebraucht werden. Ebenfalls sollten die guten Erfahrungen, welche das Justizsystem in dieser Zeit mit digitalen Prozessen gemacht hat, einen Anreiz dazu bieten, die Digitalisierung in diesem Bereich voranzutreiben. Beispielsweise gibt es keinen Grund, Erleichterungen für elektronische Unterschriften nicht über die Pandemie hinaus beizubehalten.
Covid-Zertifikat: Gelungenes Digitalisierungsprojekt der öffentlichen Hand
Das Covid-Zertifikat ist in der Pandemie bisher eindeutig der Silberstreifen am digitalen Horizont. Es wurde in Rekordzeit in Zusammenarbeit verschiedener Behörden und mit Unterstützung privater Softwareentwickler als Open-Source-Software erstellt. Diese Vorgehensweise hat sich als extrem erfolgreich herausgestellt und die sonst jeweils auftretenden Hindernisse konnten kurzfristig beseitigt werden. Bis heute verfügen fast 3,5 Millionen Geimpfte und rund 90'000 Genesene über ein digitales Covid-Zertifikat. Dank einer ganzheitlich gedachten Prozessarchitektur ist das Zertifikat inhärent datensparsam: Beim Scan werden keine persönlichen Daten abgerufen, es wird lediglich die Authentizität des Zertifikats überprüft. Auch genügt das Zertifikat hohen Sicherheitsansprüchen und die Einbindung in europäische Systeme wurde frühzeitig aufgegleist.
Das Beispiel veranschaulicht vor allem, dass letztlich nicht technische Voraussetzungen oder finanzielle Ressourcen für erfolgreiche Digitalisierung ausschlaggebend sind, sondern Führung und Kultur. Die beim Covid-Zertifikat geschaffene und gelebte Dynamik sollte bei zukünftigen Digitalisierungsprojekten unbedingt beibehalten werden.