# 8 / 2017
16.11.2017

Bundesfinanzen: Jetzt Spielraum schaffen

Ablehnung der AHV-Reform verändert Ausgangslage

Der ablehnende Volksentscheid vom 24. September 2017 zur Reform der Altersvorsorge hat auch Auswirkungen auf die Bundesfinanzen. Sowohl der Voranschlag wie der Finanzplan bis 2021 enthalten Mehrausgaben für die AHV, die mit Annahme der Reform wirksam geworden wären. Durch die Ablehnung wird der Voranschlag um rund 442 Millionen Franken entlastet.

Die Reform der Altersvorsorge hätte insbesondere in zwei Punkten Auswirkungen auf den Bundehaushalt gehabt. Erstens hätte der Bund auf seinen Anteil am sogenannten Mehrwertsteuer-Demografieprozent (17 Prozent) verzichten müssen. Das Demografieprozent wäre künftig in voller Höhe direkt in die AHV geflossen. Der Bund hätte die weggefallenen Einnahmen durch Geld aus dem allgemeinen Bundeshaushalt ersetzen müssen. Mittel in der Höhe von 500 bis 700 Millionen Franken wären für andere Aufgaben nicht mehr zu Verfügung gestanden. Durch die Ablehnung verfügt der Bund weiterhin über seinen 17-Prozent-Anteil am Demografieprozent. Damit deckt er einen Teil seines Beitrags, den er an die AHV leistet (siehe Box AHV).

Zweitens hätte der mit der Reform erfolgte Rentenausbau mittel- bis langfristig erhebliche Mehrausgaben zur Folge gehabt. Die Mehrausgaben hätten nicht nur die AHV betroffen, sondern auch den Bund. Zwar wäre der Bundeshaushalt durch die Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 Jahre kurzfristig entlastet worden. Die AHV wäre aber gleichzeitig leistungsseitig ausgebaut worden. Die dadurch entstehenden Mehrausgaben hätten die Einsparungen bereits ab 2026 wieder übertroffen, weil die Babyboomer dann das Rentenalter erreichen und die AHV-Ausgaben ab diesem Zeitpunkt stark ansteigen werden. Da der Bundesbeitrag an die AHV-Ausgaben gekoppelt ist, hätte der Bund die Mehrausgaben in voller Höhe mitfinanzieren müssen.

In Zahlen hat die Ablehnung der Altersvorsorgereform für den Bundeshaushalt folgende Auswirkungen:

  1. Der Bund behält seinen Anteil von 17 Prozent an den Einnahmen des Mehrwertsteuer-Demografieprozents und finanziert damit wie bisher einen Teil seines AHV-Beitrags; es müssen keine zusätzlichen Mittel aus dem Bundehaushalt aufgewendet werden (Minderausgaben von 500 Millionen Franken)
  2. Weil das Frauenrentenalter nicht auf 65 Jahre erhöht wird, wird die AHV nicht entlastet; es fällt die kurzfristige Reduktion des Bundesbeitrags an die AHV weg (Mehrausgaben von 50 bis 80 Millionen Franken)

Kleinere finanzielle Auswirkungen ergeben sich zudem bei den Ergänzungsleistungen. Die geplante höhere Mehrwertsteuer wäre vollständig der AHV zugute gekommen; der Verzicht auf diese Erhöhung ist für den Bundhaushalt entsprechend neutral. In der Summe ergeben sich für den Bund Minderausgaben von 442 Millionen Franken (0,6 Prozent der Ausgaben). Um diesen Betrag erhöht sich das Finanzierungsergebnis bzw. der strukturelle Überschuss. 

Das Parlament muss nun entscheiden, was mit dem höheren Überschuss geschieht. Der Bundesrat schlägt vor, einen Teil der von der AHV nicht beanspruchten Mittel dem Bahninfrastrukturfonds zukommen zu lassen (295 Millionen). Der Rest soll regelkonform in den Schuldenabbau fliessen. Für kommende Reformen (SV17, Ehepaarbesteuerung, Kauf Kampfflugzeuge) soll auf diese Weise finanzpolitischer Spielraum geschaffen werde. Die Finanzkommission des Nationalrats hat vorgeschlagen, die Gelder wie mit der Altersvorsorgereform beabsichtigt in die AHV zu leiten, da diese künftig auf eine Zusatzfinanzierung angewiesen sein würde. Für ein solches Vorgehen müsste jedoch erst noch eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden.

AHV: der Bund zahlt mit

Die Beiträge an die Soziale Wohlfahrt und vor allem an die AHV stellen die grössten gebundenen Ausgaben des Bundes dar. Gemäss Gesetz finanziert der Bund jährlich 19,55 Prozent der AHV-Ausgaben. Das entspricht einem Betrag von 8,5 Milliarden Franken (2017). Steigen die AHV-Ausgaben, steigt auch der Beitrag des Bundes. Aufgrund der demografischen Entwicklung wird vor allem für das nächste Jahrzehnt mit einer starken Zunahme der AHV-Ausgaben gerechnet.

Der Bund finanziert seinen Beitrag zu zwei Dritteln aus dem allgemeinen Bundeshaushalt – d.h. er verwendet dafür Steuereinnahmen, die nicht für spezielle Zwecke gebunden sind und grundsätzlich allen Aufgaben zukommen. Einen Drittel deckt der Bund durch Spezialfinanzierungen. Es handelt sich zum einen um die Einnahmen aus der Tabak- und Spirituosensteuer, zum andern behält der Bund 17 Prozent der Einnahmen aus dem sogenannten Mehrwertsteuer-Demografieprozent zurück.

Das Demografieprozent ist ein Prozentpunkt der Mehrwertsteuer, das seit 1999 zur Abfederung der finanziellen Konsequenzen der demografischen Entwicklung erhoben wird. Die Einnahmen kommen ausschliesslich der AHV zugute. 83 Prozent fliessen direkt in die AHV. 17 Prozent gehen an den Bund. Dies aus der Überlegung, dass der Bund durch die Koppelung seines Beitrags an die AHV-Ausgaben ebenfalls von der demografischen Entwicklung betroffen ist. Der Bund darf die Mittel aus dem Demografieprozent ausschliesslich für die Deckung seines AHV-Beitrags verwenden.

Zusammensetzung der Bundesfinanzen

Die Reform der Altersvorsorge hätte dieses Beitragsregime geändert. Der Bund hätte seinen Anteil am Demografieprozent verloren und diese Einnahmen aus Mitteln aus dem allgemeinen Bundeshaushalt ersetzen müssen. Die neue Lösung hätte das Problem der gebundenen Ausgaben im Bundeshaushalt noch verschärft: es hätte künftig noch weniger Geld zur freien Verfügung gestanden. Der Verdrängungseffekt der gebundenen Ausgaben auf Aufgabengebiete ohne privilegierte Ausgabenbindungen hätte sich noch verstärkt.

Die Neuauflage der Reform der Altersvorsorge bietet die Möglichkeit, eine bessere Lösung zu finden. Wie bei der Invalidenversicherung sollten die Haushalte entflochten werden. Der Bundesbeitrag sollte sich nicht mehr an den AHV-Ausgaben orientieren (die vom Bund direkt nicht steuerbar sind), sondern an den Einnahmen der Mehrwertsteuer. Der Bundesrat hatte eine solche Lösung in der Vernehmlassung zur Altersvorsorgereform vorgeschlagen. Das Problem der gebundenen Ausgaben würde damit entschärft. Der Verdrängungseffekt, der von der mit Abstand grössten gebundenen Ausgabe des Bundes auf andere Ausgaben und Aufgabengebiete ausgeht (Bildung und Forschung, Landwirtschaft, Landesverteidigung, Entwicklungshilfe), würde reduziert und der Bundeshaushalt stabilisiert.