Medizinisches Personal informiert sich über iPad

Sin­ken­de Wachs­tums­ra­ten im Ge­sund­heits­we­sen

Das eher­ne Ge­setz des Ge­sund­heits­we­sens ist ins Wan­ken ge­ra­ten: Seit den 1970er-Jah­ren hielt die­ser Be­reich die Po­li­tik mit über­durch­schnitt­li­chen Wachs­tums­ra­ten auf Trab. Be­reits 1982 hat Bun­des­rat Hans Hür­li­mann eine na­tio­na­le Spar­kon­fe­renz in­iti­iert. Seit­her sind in un­zäh­li­gen Re­fe­ra­ten Brut­to­in­land­pro­dukt (BIP) und Ge­sund­heits­kos­ten ver­gli­chen wor­den mit dem Fazit, wir könn­ten uns Letz­te­re bald nicht mehr leis­ten. Fern­ab jeg­li­chen Ram­pen­lichts spielt sich je­doch ein Trend ab, der lange un­er­kannt ge­blie­ben ist: Die Wachs­tums­ra­ten im Ge­sund­heits­we­sen nä­hern sich lang­sam, aber ste­tig dem BIP-Wachs­tum.

Dank der 2022 pu­bli­zier­ten Ar­beit von Shei­la D. Smith und ihren Co-Au­to­ren wurde das Phä­no­men der sin­ken­den Wachs­tums­ra­ten ins Be­wusst­sein der Ge­sund­heits­com­mu­ni­ty ge­ru­fen. In der Hitze der jähr­li­chen Prä­mi­en­auf­schlä­ge haben näm­lich nur we­ni­ge Per­so­nen ge­wagt, der all­ge­mei­nen Un­ter­gangs­stim­mung Pa­ro­li zu leis­ten. Nun ist es amt­lich: Sin­ken­de Wachs­tums­ra­ten sind kein zu­fäl­li­ges Phä­no­men – wenn man die rich­ti­gen Jahre ver­gleicht –, son­dern in der west­li­chen Welt ein Trend seit knapp zwei Jahr­zehn­ten.

Nicht alle Kos­ten­fak­to­ren ak­zen­tu­ie­ren sich

Je wohl­ha­ben­der ein Land ist, desto mehr gibt es für die Ge­sund­heit aus. Diese Regel der über­pro­por­tio­na­len Zu­nah­me der Ge­sund­heits­kos­ten – der Ein­kom­mens­ef­fekt – ist nur ein Fak­tor, der auf die Kos­ten ein­wirkt. Die Au­to­ren haben an­de­re Kräf­te iden­ti­fi­ziert, die zu­sam­men die Hälf­te des Wachs­tums be­schrei­ben. Na­ment­lich sind dies:

  • die zu­neh­men­de Al­te­rung der Ge­sell­schaft, wel­che sich erst Mitte des Jahr­hun­derts ab­schwä­chen wird;
  • der tech­no­lo­gi­sche Fort­schritt;
  • die Prei­se von me­di­zi­ni­schen Gü­tern und Dienst­leis­tun­gen.

Die bei­den Letz­te­ren sind eng mit­ein­an­der ver­knüpft. Bei ihnen be­ob­ach­tet man einen dämp­fen­den Ein­fluss aufs Kos­ten­wachs­tum. Die wir­ken­den Kräf­te sind viel­fäl­tig. Die Stu­die pos­tu­liert, dass der tech­ni­sche Fort­schritt als Kos­ten­trei­ber an Be­deu­tung ver­lo­ren hat. Kos­ten­spa­ren­de In­no­va­tio­nen wer­den also wich­ti­ger. Eine Ver­lang­sa­mung des Wachs­tums könn­te auch in ge­ne­rel­len Spar­an­stren­gun­gen ihre Ur­sa­che haben. Tat­sa­che ist je­doch, dass diese Ent­wick­lung un­ab­hän­gig von den je­wei­li­gen na­tio­na­len Ge­setz­ge­bun­gen ab­läuft. Es han­delt sich also um einen in­ter­na­tio­na­len Trend. Ein mög­li­cher Grund könn­ten die in­ter­na­tio­na­len Preis­ver­glei­che bei der ad­mi­nis­tra­ti­ven Preis­bil­dung sein.

Was kön­nen wir in Zu­kunft er­war­ten?

Die For­schen­den haben eine Faust­re­gel für die USA an­ge­ge­ben, wel­che aber auch auf an­de­re OECD-Län­der an­wend­bar sein dürf­te: Der Wachs­tums­bei­trag des tech­ni­schen Fort­schritts ist in den letz­ten 15 Jah­ren im Ver­gleich zum Zeit­raum davor um fast einen Pro­zent­punkt zu­rück­ge­gan­gen. Seit den 1970er-Jah­ren lag das Wachs­tum der Ge­sund­heits­aus­ga­ben im Schnitt zwei Pro­zent­punk­te über dem­je­ni­gen des BIP. Hält die mäs­si­gen­de Wir­kung des tech­no­lo­gi­schen Fort­schritts an – die Stu­die hat den Zeit­raum bis 2019 ana­ly­siert –, hätte sich diese Dif­fe­renz bis heute fast hal­biert. Das sind gute Neu­ig­kei­ten, die eine Trend­wen­de weg vom Kos­ten­pro­blem be­stä­ti­gen. In Zu­kunft wer­den wir uns mehr mit dem Ver­sor­gungs­pro­blem her­um­schla­gen müs­sen, wäh­rend die Dis­kus­si­on um die Kos­ten in den Hin­ter­grund rü­cken dürf­te.