Ordner mit Chaotischen PostIt Zetteln

Schäd­li­ches Zah­len­cha­os zur Co­ro­na-Pan­de­mie

Das Bun­des­amt für Ge­sund­heit (BAG) hat ein­ge­ste­hen müs­sen, dass sich bei den ver­öf­fent­lich­ten Daten zu den Covid-19-Fall­zah­len Feh­ler ein­ge­schli­chen haben. Nicht mehr die Clubs und Dis­ko­the­ken seien der Haupt­ort für die An­ste­ckung, son­dern das fa­mi­liä­re Um­feld. Doch auch die kor­ri­gier­ten Zah­len sind in­hä­rent falsch und sagen nichts über die Wahr­schein­lich­keit aus, sich mit dem Virus an­zu­ste­cken. Sie kön­nen sogar zu fal­schen Schlüs­sen füh­ren.

Eine Zahl sorg­te letz­te Woche für Schlag­zei­len: 40 Pro­zent aller rück­ver­folg­ba­ren An­ste­ckun­gen mit dem Co­ro­na­vi­rus er­fol­gen an­schei­nend in Dis­cos, Bars und Clubs. Dies kom­mu­ni­zier­te das BAG noch am Frei­tag ge­gen­über dem Schwei­zer Fern­se­hen. Am Wo­chen­en­de folg­te die Kor­rek­tur: Die meis­ten Über­tra­gun­gen fan­den ge­mäss den neuen Zah­len im fa­mi­liä­ren Um­feld statt, ge­folgt vom Ar­beits­platz. Nicht ein­mal zwei Pro­zent der An­ste­ckun­gen er­folg­ten dem­nach im Aus­gang. Die ur­sprüng­li­chen Daten waren einem fal­schen An­ste­ckungs­ort zu­ge­ord­net wor­den.

Die Em­pö­rung war ent­spre­chend gross: Sind Aus­geh­lo­ka­le nun Co­ro­na-Hot­spots? Oder doch die Fa­mi­lie? Das Zah­len­cha­os sorg­te für gros­se Ver­wir­rung. Doch vor lau­ter Kri­tik am Re­chen­feh­ler der Be­hör­den ge­riet die ei­gent­lich zen­tra­le Frage in den Hin­ter­grund: Was tau­gen die nun kor­ri­gier­ten Zah­len zu den An­ste­ckungs­or­ten über­haupt? Aus Sicht von eco­no­mie­su­is­se nicht viel. Dies aus fol­gen­den vier Grün­den:

Ein­schrän­kung 1: Ver­zerr­te Stich­pro­be

Die Daten des BAG be­ru­hen auf 793 Mel­dun­gen, die zwi­schen dem 16. Juli und dem 1. Au­gust 2020 von Ärz­tin­nen und Ärz­ten über das kli­ni­sche Mel­de­for­mu­lar er­fasst wur­den. Dar­aus er­ge­ben sich zwei Pro­ble­me. Ei­ner­seits hat das BAG im glei­chen Zeit­raum über 2087 Neu­an­ste­ckun­gen kom­mu­ni­ziert. Damit haben gut 1300 Mel­dun­gen gar nicht erst Ein­gang in die Un­ter­su­chung ge­fun­den. An­de­rer­seits han­delt es sich um einen ex­trem kur­zen Zeit­ho­ri­zont. Die meis­ten Schu­len waren ge­schlos­sen und viele Leute hat­ten Som­mer­fe­ri­en. Kurz­um: Die Stich­pro­be ist mit hoher Wahr­schein­lich­keit stark ver­zerrt. 

Ein­schrän­kung 2: Feh­len­de An­ga­ben

Von den 793 Mel­dun­gen feh­len in gut 40 Pro­zent der Fälle kon­kre­te An­ga­ben über den An­ste­ckungs­ort. In wei­te­ren 13 Pro­zent ist die­ser ent­we­der un­be­kannt oder wird unter dem Label «an­de­re» ge­führt. Damit feh­len für mehr als die Hälf­te der Stich­pro­be ent­spre­chen­de An­ga­ben. Ge­mes­sen an den ver­mel­de­ten Neu­an­ste­ckun­gen im sel­ben Zeit­raum ist der An­ste­ckungs­ort damit nur bei rund einem Fünf­tel der In­fi­zier­ten über­haupt be­kannt. 

Ein­schrän­kung 3: Frag­wür­di­ge Qua­li­tät der An­ga­ben

Für die Qua­li­tät der Daten ist ent­schei­dend, wie diese er­ho­ben wer­den. In­fi­zier­te Per­so­nen wer­den be­fragt, wo sie mög­li­cher­wei­se an­ge­steckt wor­den sind. Es ist zu ver­mu­ten, dass die In­fi­zier­ten sich eine plau­si­ble Story aus­den­ken. Doch jede sol­che Er­klä­rung ist nicht mehr als eine mehr oder min­der plau­si­ble Ver­mu­tung. Per­sön­li­che Grün­de kön­nen zudem zu Falsch­an­ga­ben ver­lei­ten. So ent­ste­hen Daten, die auf der Basis von Ver­mu­tun­gen, Ver­schleie­rungs­stra­te­gi­en oder Halb­wis­sen be­ru­hen, und die von Ärz­ten un­ter­schied­lich er­ho­ben und wei­ter­ge­lei­tet wer­den. 

Ein­schrän­kung 4: Feh­len­des Ver­hält­nis

Selbst wenn die er­fass­ten An­ga­ben alle kor­rekt sind und die Stich­pro­be nicht ver­zerrt wäre, wären die Daten völ­lig nutz­los für die Frage, wo die An­ste­ckung am häu­figs­ten pas­siert. Denn dazu müss­ten die Daten in ein re­le­van­tes Ver­hält­nis ge­setzt wer­den. Wenn man bei­spiels­wei­se die 216 An­ste­ckun­gen in­ner­halb der Fa­mi­lie ins Ver­hält­nis zu den über 3,6 Mil­lio­nen Haus­hal­ten in der Schweiz setzt, wird die Zahl sehr, sehr klein. An­ders die 15 An­ste­ckun­gen in Clubs mit (theo­re­tisch an­ge­nom­me­nen) 2000 Aus­geh­lo­ka­len. Hier ist das Ver­hält­nis deut­lich höher, wäh­rend die 69 rap­por­tier­ten Über­tra­gun­gen am Ar­beits­platz bei 600’000 Be­trie­ben wie­der­um im Run­dungs­feh­ler­be­reich lie­gen. Al­ler­dings ist der An­ste­ckungs­weg damit noch nicht be­rück­sich­tigt. Dass viele An­ste­ckun­gen in­ner­halb der Fa­mi­lie pas­sie­ren, ist nicht wei­ter über­ra­schend. Die ent­schei­den­de Frage wäre aber, wie das Virus über­haupt in die Fa­mi­lie ge­langt. Doch auch hier­zu feh­len im Mo­ment jeg­li­che Zah­len. 

Daten des BAG eig­nen sich nicht als Ent­schei­dungs­grund­la­ge

Die Daten des BAG zum An­ste­ckungs­ort sug­ge­rie­ren eine Ge­nau­ig­keit, wel­che sie nicht be­sit­zen. Die Po­li­tik soll­te sich statt­des­sen an den bis­he­ri­gen wis­sen­schaft­li­chen Er­geb­nis­sen zum Über­tra­gungs­ri­si­ko ori­en­tie­ren. Oder am ge­sun­den Men­schen­ver­stand: Es liegt auf der Hand, dass die Wahr­schein­lich­keit, sich in einem Club an­zu­ste­cken, deut­lich grös­ser ist als am Ar­beits­platz, wo die Ab­stands­re­geln ein­ge­hal­ten wer­den.