Einkaufswagen mit Gemüse

Q&A zum Gegenvorschlag der Fair-Preis-Initiative

Das Parlament hat in seiner Schlussabstimmung vom 19. März 2021 den parlamentarisch angepassten Gegenvorschlag zur Fair-Preis-Initiative angenommen. Dieser geht wesentlich weiter als der vom Bundesrat vorgeschlagene Gegenvorschlag und nimmt die Anliegen der Initiative nahezu unverändert auf. Die neuen Regelungen werden voraussichtlich noch im Laufe des Jahres 2021 oder Anfang 2022 in Kraft treten.

Die Neuerungen umfassen die Einführung der relativen Marktmacht sowie eines neuen Missbrauchstatbestands ins Kartellgesetz. Ausserdem wird ein Geoblocking-Verbot im Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb eingeführt.

Die mit den neuen Bestimmungen verbundene Rechtsunsicherheit ist gross. Die nachfolgenden Fragen und Antworten zum Gegenvorschlag zur Fair-Preis-Initiative sollen den Unternehmen als eine erste Auslegeordnung dienen.

Die Neuerungen

Einführung der «relativen Marktmacht»: Relative Marktmacht liegt vor, wenn ein Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager eines bestimmten Produktes oder einer Dienstleistung von einem anderen Unternehmen abhängig ist. Eine Abhängigkeit ist schon dann gegeben, wenn für ein Unternehmen keine «ausreichenden oder zumutbaren Möglichkeiten bestehen, auf andere Anbieter oder Nachfrager auszuweichen».

Beispiel: Zumutbare Ausweichmöglichkeiten fehlen in der Regel bei Exklusivverträgen, durch welche der abhängige Vertragspartner verpflichtet wird, seinen Gesamtbedarf für eine bestimmte Art bzw. Gattung von Produkten von einem einzelnen Anbieter zu beziehen, so dass er nicht auf Anbieter konkurrierender Produkte dieser Art bzw. Gattung ausweichen kann.

Neue Lieferpflicht im Ausland: Zusätzlich wird ein neuer Missbrauchstatbestand im Kartellgesetz eingeführt. Dieser statuiert ein Bezugsrecht für Schweizer Unternehmen im Ausland zu den dortigen Preisen und Konditionen. Dementsprechend werden relativ marktmächtige Unternehmen verpflichtet, die von ihnen abhängigen Unternehmen zu den im Ausland geltenden Bedingungen zu beliefern (Liefer- und Konditionenzwang).

Beispiel: Besteht eine individuelle Abhängigkeit zwischen einem Detailhändler sowie einem Softgetränke-Hersteller, kann der Abnehmer auf die gleichen Konditionen bestehen, zu denen der Produzent seine Getränke im Ausland verkauft.

Geoblocking-Verbot: Unlauter handelt demnach insbesondere, wer im Online- und Fernhandel Schweizer Kunden beim Preis oder den Zahlungsbedingungen diskriminiert, den Zugang von Kunden zu einem Onlineportal beschränkt oder Kunden ohne deren Einverständnis zu einer anderen als der ursprünglich aufgesuchten Version des Online-Portals weiterleitet. Ausgenommen vom Geoblocking-Verbot sind einzelne Dienste wie etwa der öffentliche Verkehr, Glückspiele oder auch Finanzdienstleistungen.

Beispiel: Ein Verstoss gegen das Geoblocking-Verbot liegt u.a. vor, wenn einer Kundin der Zugriff auf eine ausländische Website verwehrt wird.

Die Initianten lancierten die Fair-Preis-Initiative mit dem Ziel, die Hochpreisinsel Schweiz zu bekämpfen. Inwiefern die neuen Regelungen hierzu geeignet sind, erscheint fraglich. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass keine Bestimmung vorgesehen ist, wonach allfällig erlangte Preisvorteile weiterzugeben sind. Darüber hinaus stellt auch die schwerfällige Durchsetzung der Lieferpflicht im Ausland eine erhebliche Hürde für die nachhaltige Senkung des Preisniveaus dar.

Einführung der «relativen Marktmacht» / Neue Lieferpflicht im Ausland

Als relativ marktmächtig gelten Unternehmen, von denen andere Unternehmen beim Angebot oder der Nachfrage wirtschaftlich abhängig sind. Dies hat zur Folge, dass potentiell eine Vielzahl aktuell nicht marktbeherrschender Unternehmen neu als relativ marktmächtig anzusehen sind, sofern für die Nachfrager oder Zulieferer dieser Unternehmen keine zumutbaren Ausweichmöglichkeiten bestehen.

Eindeutige Kriterien für die Bestimmung einer relativ marktmächtigen Stellung bestehen noch nicht. Diese müssen zunächst durch die WEKO resp. die Zivilgerichte festgelegt werden. Es handelt sich dabei stets um eine Einzelfallwürdigung. Die Marktanteile oder Grösse des Unternehmens sind hierbei nicht relevant. Vielmehr müssen die individuellen Verhältnisse zwischen den Unternehmen in Bezug auf einzelne Produkte oder Dienstleistungen geprüft werden.

Beispiele: Die deutsche Rechtsprechung hat bei der Erarbeitung von Kriterien für die Bestimmung der relativen Marktmacht folgende Fallgruppen entwickelt:

  • Sortimentsbedingte Abhängigkeit: Abhängigkeit bezüglich des Führens von Waren bestimmter Hersteller im Sortiment (sog. «must-in-stock»-Produkte) (bspw. sind Sportartikelverkäufer auf das Führen bestimmter Sportmarken angewiesen, um im Markt bestehen zu können);
  • Unternehmensbedingte Abhängigkeit: Abhängigkeit von einem bestimmten Unternehmen infolge Ausrichtung des Geschäftsbetriebs auf eine langfristige Vertragsbeziehung (bspw. Abhängigkeit von Kfz-Zulieferern in Bezug auf Originalersatzteile oder Abhängigkeit von Softwareentwicklern hinsichtlich entsprechender Updates);
  • Knappheitsbedingte Abhängigkeit: Abhängigkeit, da durch plötzlichen Ausfall von Liefermöglichkeiten keine Alternativen bestehen (bspw. aufgrund eines streikbedingten Ausfalls des bisherigen Lieferanten);
  • Nachfragebedingte Abhängigkeit: Abhängigkeit der Anbieter von Nachfrager aufgrund fehlender alternativer Abnehmer (bspw. kann eine nachfragebedingte Abhängigkeit zwischen einem Milchproduzenten und einem grossen Detailhandelsunternehmen entstehen).

Abhängige Unternehmen müssen in Bezug auf Preise, Rabatte und sonstige Geschäftsbedingungen diskriminierungsfrei behandelt werden. Um eine solche Nichtdiskriminierung zu ermöglichen, muss jedes Unternehmen in Bezug auf jedes Produkt und jede Abnehmerin bzw. Lieferantin prüfen, ob eine relative Abhängigkeit vorliegt.

Beispiele: Neu als relativ marktmächtig eingestufte Unternehmen dürfen (auch innerhalb der Schweiz) nicht mehr ohne weiteres bspw.

  • bestimmte Rabattsysteme aufsetzen;
  • Geschäftsanfragen zurückweisen;
  • Vertragskündigungen aussprechen;
  • erhebliche Preisnachlässe gewähren oder
  • den Zugriff auf Immaterialgüterrechte verweigern.

Der Liefer- und Konditionenzwang gilt auch bei Reimporten. Ein Schweizer Unternehmen hat somit einen Anspruch darauf, Produkte oder Dienstleistungen eines relativ marktmächtigen Schweizer Anbieters, welche dieser ins Ausland exportiert und dort zu tieferen Preisen oder günstigeren Konditionen anbietet, zu den dortigen Konditionen zu beschaffen und zu reimportieren.

Die relative Marktmacht beschreibt eine individuelle Abhängigkeit. Dementsprechend dürften die bilateralen Ansprüche primär mittels zivilrechtlicher Klage gegen das relativ marktmächtige Unternehmen durchgesetzt werden. Die Wettbewerbskommission (WEKO) hat bereits angekündigt, dass sie rasche Leitentscheide für verschiedene Fallgruppen und Branchen fällen möchte. Diese sollen den Zivilgerichten als Richtschnur für die Beurteilung dienen.

  • Unternehmen, die in der Aufnahme oder Ausübung des Wettbewerbs behindert werden. Dabei ist es nicht erforderlich, dass diese in einem Wettbewerbsverhältnis zum betroffenen Unternehmen stehen.
  • Ausserdem steht es auch Verbraucherverbänden offen, eine Klage bei den Zivilgerichten einzureichen. Diese beschränkt sich jedoch ausschliesslich auf Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche. Schadenersatzansprüche können hingegen nicht geltend gemacht werden.

Die WEKO bzw. die Zivilgerichte werden bei Vorliegen einer relativ marktbeherrschenden Marktstellung Verhaltensanordnungen treffen. Diese können neben Handlungs- auch Unterlassungspflichten beinhalten. Zusätzlich können Zivilgerichte auch Schadenersatz zusprechen.

Beispiele:

  • Als Handlungsanweisungen kommen bspw. Belieferungs-, Abnahmepflichten oder die diskriminierungsfreie Gleichbehandlung von Geschäftspartnern bzgl. Konditionen in Frage.
  • Eine Unterlassungspflicht kann hingegen bspw. ein Verbot von individuellen Rabattsystemen darstellen, sofern für dieses keine sachlichen Gründe vorliegen.

Inland:
Bei Inlandsachverhalten kann gegen das relativ marktmächtige Unternehmen ohne Weiteres am Sitz in der Schweiz geklagt oder bei der WEKO Anzeige erstattet werden.

Ausland:
Die Durchsetzung des Bezugsrechts im Ausland gestaltet sich demgegenüber schwieriger. Ohne Einvernehmen mit den betroffenen Unternehmen sind einer verwaltungsrechtlichen Durchsetzung im Ausland aufgrund des Territorialprinzips Grenzen gesetzt.

Bessere Chancen bestehen auf dem zivilrechtlichen Weg. Eine zivilrechtliche Klage kann sowohl am

  • ausländischen Sitz des Beklagten oder
  • am Erfolgsort des kartellwidrigen Handelns und damit wohl in der Schweiz

eingereicht werden.

Hinsichtlich des anwendbaren Rechts dürfte gemäss Botschaft zur Fair-Preis-Initiative sowohl in der Schweiz als auch in einem EU-Mitgliedsstaat im vorliegenden Kontext schweizerisches Recht zur Anwendung gelangen.

Liegt ein Urteil aus einem durch das LugÜ gebundenen Staat (Schweiz/EU/EWR ohne Liechtenstein) vor, ist dieses in anderen LugÜ-Staaten grundsätzlich vollstreckbar. In Drittstaaten richtet sich die Urteilsanerkennung nach den dort geltenden Vorschriften.

Um Unklarheiten zu vermeiden, empfiehlt es sich proaktiv den Gerichtsstand sowie das anzuwendende Recht in den Verträgen mit den Geschäftspartnern festzulegen. Allerdings ist fraglich, inwiefern entsprechende zivilrechtliche Verfahren aufgrund der mit dem Konzept der relativen Marktmacht verbundenen Rechtsunsicherheit und dem Verfahrensrisiko tatsächlich durchgeführt würden.

Die Einführung der relativen Marktmacht wird dahingehend abgemildert, dass keine direkten Sanktionen vorgesehen sind. Die Rechtsfolgen beschränken sich auf ein Tun oder Unterlassen sowie gegebenenfalls Schadenersatz.

Zu beachten gilt jedoch, dass bei Widerhandlungen gegen Verhaltensanordnungen der WEKO Sanktionen ausgesprochen werden können.

Die Verhaltenspflichten für Schweizer wie auch ausländische Unternehmen im Geschäftsverkehr werden sich deutlich verschärfen. Die neuen Regeln sind grösstenteils noch unerprobt und damit interpretationsbedürftig. Es wird eine geraume Zeit dauern, bis man im Vorfeld bereits einordnen kann, ob ein Unternehmen im Verhältnis zu einem anderen relativ marktmächtig ist oder nicht. Unternehmen sind gut beraten sich bereits proaktiv mit den neu einzuführenden Regeln auseinanderzusetzen und ihre bestehende Compliance danach auszurichten.

Geoblocking-Verbot

Für die Umsetzung des Geoblocking-Verbots könnte es unter Umständen einer Anpassung der Internetseite bedürfen.

Beispiele: Als mögliche Verstösse gegen das Geoblockings-Verbot gelten bspw.

  • die automatische Weiterleitung auf eine Schweizer Website mit höheren Preisen,
  • uneinheitliche Zahlungsmethoden oder Lieferbedingungen auf in- und ausländischen Websites,
  • die Beschränkung des Zugangs von Kunden zu einem Onlineportal.

Das Geoblocking-Verbot begründet keine Lieferpflicht in die Schweiz. Ein im Ausland kostengünstiger erworbenes Produkt muss daher allenfalls vor Ort selbst abgeholt werden.

Das Geoblocking-Verbot wird ausschliesslich durch die Zivilgerichte durchgesetzt.

  • Wer in seiner Kundschaft, seinem Kredit oder beruflichen Ansehen, in seinem Geschäftsbetrieb oder sonst in seinen wirtschaftlichen Interessen bedroht oder verletzt wird (bspw. Mitbewerber, Lieferanten, Lizenzgeber, etc.);
  • Kunden, die in ihren wirtschaftlichen Interessen bedroht oder verletzt sind;
  • Berufs- und Wirtschaftsverbände, die nach den Statuten zur Wahrung der wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder befugt sind;
  • Organisationen von gesamtschweizerischer oder regionaler Bedeutung, die sich statutengemäss dem Konsumentenschutz widmen;
  • unter bestimmten Umständen kann auch der Bund klagen, wenn er es zum Schutz des öffentlichen Interesses als nötig erachtet.

Die Zivilgerichte können bei Vorliegen eines Verstosses gegen das Geoblocking-Verbot eine entsprechende Beseitigung dieses Verhaltens anordnen. Ausserdem steht es der klagenden Partei grundsätzlich offen auch Schadenersatz und Genugtuungsansprüche geltend zu machen.

Nein, bei einem erstmaligen Verstoss gegen das Geoblocking-Verbot sind keine Sanktionen vorgesehen. Allerdings kann das Zivilgericht in seinem Urteil für den Wiederholungsfall eine Busse vorsehen (Art. 292 StGB). Diese darf sich nicht gegen das Unternehmen selbst, sondern ausschliesslich gegen die zuständigen Organe bzw. Vertreter des Unternehmens richten.