Angezogene Handbremse

In­fla­ti­on und Ukrai­ne-Krieg: Die Schwei­zer Wirt­schaft fährt mit an­ge­zo­ge­ner Hand­brem­se

Stei­gen­de In­put­prei­se, Lie­fer­eng­päs­se und eine sich ab­schwä­chen­de Nach­fra­ge be­las­ten die Schwei­zer Wirt­schaft. Zwar pro­fi­tie­ren viele Un­ter­neh­men von dem Nach­ho­lef­fekt nach der Auf­he­bung der meis­ten Co­ro­na-Mass­nah­men im In- und Aus­land. Doch der Ukrai­ne-Krieg, Lie­fer­eng­päs­se und Trans­port­pro­ble­me ver­hin­dern, dass die Welt­wirt­schaft kräf­tig zu­le­gen kann. Zudem re­du­zie­ren die stei­gen­den Prei­se die Nach­fra­ge auf den in­ter­na­tio­na­len Märk­ten. Der Fach­kräf­te­man­gel bremst das Wachs­tum zu­sätz­lich, ge­ra­de in der Schweiz. Das drit­te und vier­te Quar­tal 2022 wer­den daher her­aus­for­dernd. eco­no­mie­su­is­se schätzt, dass das Brut­to­in­land­pro­dukt (BIP) in die­sem Jahr um 1,8 Pro­zent zu­legt. Die Ar­beits­lo­sen­quo­te pro­fi­tiert von der an­hal­ten­den Nach­fra­ge nach Ar­beits­kräf­ten und wird auf durch­schnitt­lich 2,2 Pro­zent zu lie­gen kom­men. Die kon­junk­tu­rel­len Ri­si­ken blei­ben al­ler­dings gross.

Meh­re­re Fak­to­ren wir­ken sich der­zeit ne­ga­tiv auf die Welt­wirt­schaft aus. Ers­tens ver­teu­ern die stark ge­stie­ge­nen En­er­gie- und Roh­stoff­prei­se die Pro­duk­ti­on welt­weit. Der Ukrai­ne-Krieg hat den Preis­auf­trieb noch­mals ver­stärkt. Das­sel­be gilt zwei­tens für die Lie­fer­eng­päs­se. Be­reits 2021 ächz­te die Wirt­schaft unter an­hal­ten­den Be­zugs- und Lie­fer­schwie­rig­kei­ten. Statt einer all­mäh­li­chen Nor­ma­li­sie­rung haben sich die Pro­ble­me jüngst ak­zen­tu­iert, auch auf­grund der re­strik­ti­ven Null-Covid-Stra­te­gie Chi­nas. Drit­tens ist die In­fla­ti­on in vie­len Län­dern so hoch wie seit Jahr­zehn­ten nicht mehr. Be­son­ders in den USA und in der EU be­las­ten die Preis­stei­ge­run­gen auf brei­ter Front den Kon­sum, weil sich die Pri­vat­haus­hal­te real we­ni­ger leis­ten kön­nen. Und schliess­lich hat sich vier­tens die Un­si­cher­heit über die künf­ti­ge Kon­junk­tur­ent­wick­lung auf­grund des Ukrai­ne-Krie­ges noch­mals ver­schärft.

Die­ser öko­no­mi­sche Gift­cock­tail über­trägt sich auf die Schwei­zer Wirt­schaft. Zwar ist die Auf­trags­la­ge nach wie vor gut. Doch auch hier­zu­lan­de stei­gen die Prei­se, wenn auch we­ni­ger mar­kant als im Aus­land. Die Lie­fer­ket­ten­pro­ble­ma­tik trifft die stark auf die in­ter­na­tio­na­le Ar­beits­tei­lung aus­ge­rich­te­te Schwei­zer Wirt­schaft hin­ge­gen be­son­ders und ver­hin­dert, dass die an sich so­li­de Nach­fra­ge auch be­dient wer­den kann. Zudem schwin­den die Mar­gen, weil die In­put­prei­se auch hier­zu­lan­de stark zu­ge­nom­men haben. Schliess­lich ver­hin­dert der Fach­kräf­te­man­gel, dass alle Op­por­tu­ni­tä­ten aus­ge­nutzt wer­den kön­nen. Kurz­um: Die Schwei­zer Wirt­schaft fährt der­zeit mit an­ge­zo­ge­ner Hand­brem­se. Und die Lage wird sich nicht so rasch än­dern. Die Aus­sich­ten für die kom­men­den Mo­na­te sind ent­spre­chend wenig be­rau­schend. Es muss davon aus­ge­gan­gen wer­den, dass die Lie­fer­eng­päs­se an­hal­ten, die Roh­stoff- und En­er­gie­prei­se hoch blei­ben und sich die In­fla­ti­on auch in der Schweiz stär­ker be­merk­bar ma­chen wird.

Licht­bli­cke in ein­zel­nen Bran­chen

Den­noch gibt es auch Licht­bli­cke: Ohne die be­las­ten­den Fak­to­ren wäre nach der Pan­de­mie ein Auf­hol­pro­zess zu be­ob­ach­ten. Ge­ra­de wert­schöp­fungs­in­ten­si­ve Bran­chen wie die Ver­si­che­run­gen, die Ma­schi­nen- und Elek­tro­in­dus­trie oder die Phar­ma­in­dus­trie be­fin­den sich immer noch klar auf Wachs­tums­kurs. Auch die Uh­ren­in­dus­trie oder die Me­di­zi­nal­gü­ter­in­dus­trie kön­nen deut­lich zu­le­gen. Bei der Che­mie- und Tex­til­in­dus­trie schla­gen die Preis­stei­ge­run­gen von In­put­fak­to­ren stär­ker ne­ga­tiv zu Buche. Die Ban­ken kön­nen zwar teil­wei­se vom vo­la­ti­len Markt­um­feld pro­fi­tie­ren, doch das Ver­mö­gens­ver­wal­tungs­ge­schäft wird da­durch auch be­las­tet.

In der Bin­nen­wirt­schaft wir­ken sich die in­ter­na­tio­na­len Ent­wick­lun­gen vor allem auf die Bau­wirt­schaft aus. Hier sind die Preis­stei­ge­run­gen teil­wei­se be­son­ders ekla­tant und die Lie­fer­eng­päs­se be­wir­ken gros­se Kos­ten­fol­gen. Auch der Gross­han­del und der De­tail­han­del wer­den her­aus­ge­for­dert, doch die Lie­fer­eng­päs­se füh­ren hier vor allem dazu, dass ge­wis­se Pro­duk­te nicht lie­fer­bar sind und Kon­su­men­tin­nen und Kon­su­men­ten auf an­de­re Pro­duk­te aus­wei­chen müs­sen. Wei­ter­hin auf Wachs­tums­kurs sind die Bran­chen Un­ter­neh­mens­be­ra­tung und das Ge­sund­heits­we­sen. Die Nor­ma­li­sie­rung nach der Pan­de­mie wirkt sich auch po­si­tiv auf den Trans­port und den Tou­ris­mus aus. Die En­er­gie­ver­sor­ger pro­fi­tie­ren von hö­he­ren Prei­sen. Durch viele Bran­chen zieht sich aber das Pro­blem des Fach­kräf­te­man­gels. Wäh­rend der Co­ro­na-Pan­de­mie zö­ger­ten viele Ar­beit­neh­me­rin­nen und Ar­beit­neh­mer, die Stel­le zu wech­seln. Nun füh­ren die sehr guten Job­aus­sich­ten dazu, dass Wech­sel wie­der deut­lich zu­neh­men und Stel­len län­ger un­be­setzt blei­ben.

Licht und Schat­ten wech­seln sich also ab. Selbst in­ner­halb der­sel­ben Bran­che gibt es gros­se Un­ter­schie­de zwi­schen den Un­ter­neh­men. Je nach En­er­gie­in­ten­si­tät, Aus­ge­stal­tung der Lie­fer­ket­ten, Ab­hän­gig­keit von spe­zi­fi­schen Vor­pro­duk­ten und Kun­den­be­zie­hun­gen bie­tet die ak­tu­el­le Krise Chan­cen oder sorgt für gros­se Nach­tei­le.

In­fla­ti­ons­ra­te macht sich auch in der Schweiz immer stär­ker be­merk­bar

Der star­ke Fran­ken, die hohe En­er­gie­ef­fi­zi­enz der Wirt­schaft und der re­la­tiv tiefe Kon­su­m­an­teil für fos­si­le En­er­gi­en haben die Preis­stei­ge­run­gen aus dem Aus­land in etwas ab­ge­schwäch­ter Form bei den Schwei­zer Kon­su­men­tin­nen und Kon­su­men­ten an­kom­men las­sen. Doch die In­fla­ti­on macht sich auch hier­zu­lan­de immer stär­ker be­merk­bar. Die Im­port­prei­se für Roh­stof­fe, Halb­fa­bri­ka­te und End­pro­duk­te haben sich deut­lich ver­teu­ert. Viele Un­ter­neh­men sehen sich ge­zwun­gen, ihre Prei­se in den kom­men­den Wo­chen nach oben an­zu­pas­sen. Ent­spre­chend wer­den auch viele End­kon­sum­prei­se er­höht wer­den.

Die Geld­po­li­tik der gros­sen No­ten­ban­ken war lange zu ex­pan­siv. Die US-No­ten­bank (Fed) hat erste Zins­schrit­te be­schlos­sen, wei­te­re wer­den fol­gen. An­ge­sichts der sehr hohen In­fla­ti­ons­ra­te im Euro-Raum wird auch die Eu­ro­päi­sche Zen­tral­bank (EZB) nicht darum her­um­kom­men, die Zin­sen zu er­hö­hen. Für die Schweiz soll­te dies zur Folge haben, dass die Schwei­ze­ri­sche Na­tio­nal­bank (SNB) die Ne­ga­tiv­zin­sen auf­he­ben kann. Die lang­fris­ti­gen Zin­sen, die be­reits deut­lich zu­ge­legt haben, wer­den daher wei­ter stei­gen.

Die Teue­rung in der Schweiz wird 2022 im Jah­res­durch­schnitt auf knapp drei Pro­zent stei­gen. Auch nächs­tes Jahr ist mit einer für Schwei­zer Ver­hält­nis­se hohen In­fla­ti­ons­ra­te zu rech­nen.

An­hal­tend gros­se Kon­junk­tur­ri­si­ken

Die Kon­junk­tur­ri­si­ken sind nach wie vor aus­ge­spro­chen hoch. Nach­dem sich die Un­si­cher­heit über den Pan­de­mie­ver­lauf re­du­ziert hat, tre­ten nun an­de­re Ab­wärts­ri­si­ken in den Vor­der­grund: Über ein Drit­tel der Teil­neh­men­den an der Mai-Um­fra­ge sehen der­zeit die In­fla­ti­on als das gröss­te Kon­junk­tur­ri­si­ko, ge­folgt von den Lie­fer­eng­päs­sen und der Roh­stoff­knapp­heit. Nicht un­er­war­tet fürch­ten sich viele Un­ter­neh­men vor einer En­er­gie­knapp­heit im Win­ter 2022/23, die dras­ti­sche Aus­wir­kun­gen auf den Kon­junk­tur­ver­lauf haben könn­te. Eine Es­ka­la­ti­on des Ukrai­ne-Krie­ges mit ent­spre­chen­den Ab­wärts­ri­si­ken er­war­ten rund acht Pro­zent der be­frag­ten Un­ter­neh­men. Der Fach­kräf­te­man­gel wird fast von gleich vie­len Um­fra­ge­teil­neh­mern als pro­ble­ma­tisch für die kon­junk­tu­rel­le Ent­wick­lung an­ge­se­hen. In­ter­es­san­ter­wei­se steht der Ver­lauf des Wech­sel­kur­ses nicht mehr so stark im Fokus: Nur rund drei Pro­zent be­trach­ten eine Auf­wer­tung des Fran­kens als we­sent­li­ches Kon­junk­tur­ri­si­ko für die Schweiz.

Diese Um­fra­ge­er­geb­nis­se sind eine Mo­ment­auf­nah­me und zei­gen die gros­se Un­si­cher­heit der Un­ter­neh­men über den künf­ti­gen Kon­junk­tur­ver­lauf. Das Scha­den­s­po­ten­zi­al ist aber un­ter­schied­lich. Wäh­rend ein­zel­ne Ri­si­ken wie der Fach­kräf­te­man­gel und Lie­fer­eng­päs­se die Kon­junk­tur brem­sen, könn­ten an­de­re diese völ­lig ab­wür­gen: Eine En­er­gie­man­gel­la­ge im kom­men­den Win­ter oder eine Es­ka­la­ti­on des Ukrai­ne-Krie­ges hätte schock­ar­ti­ge, ne­ga­ti­ve Aus­wir­kun­gen mit re­zes­si­ven Fol­gen für die Schwei­zer Wirt­schaft. Die vor­lie­gen­de Kon­junk­tur­pro­gno­se geht nur von brem­sen­den, nicht aber von schock­ar­ti­gen Ent­wick­lun­gen aus.

Pro­gno­sen Volks­wirt­schaft­li­che Ge­samt­rech­nung                                                                       

Ver­än­de­rung ge­gen­über Vor­jahr (%)          

 

2019

2020

2021

2022 P

2023 P

Brut­to­in­land­pro­dukt, real

1.2

-2.4

3.8

1.8

1.6

Pri­va­ter Kon­sum

1.4

-3.7

2.6

2.5

1.5

Öf­fent­li­cher Kon­sum

0.7

3.5

4.0

0.2

-1.7

Bau­in­ves­ti­tio­nen

-0.9

-0.4

1.3

-1.0

-2.0

Aus­rüs­tungs­in­ves­ti­tio­nen

1.4

-2.5

4.7

-2.5

2.0

           

Ex­por­te (Total)1

1.5

-5.6

11.8

4.7

4.0

Im­por­te (Total)1

2.3

-8.0

5.9

4.1

2.8

           

1 Ohne nicht mo­ne­tä­res Gold und Wert­sa­chen

           

Pro­gno­sen Prei­se und Ar­beits­markt

In­fla­ti­ons­ra­te

0.4

-0.7

0.5

2.9

2.5

Ar­beits­lo­sen­quo­te

2.3

3.1

3.0

2.2

2.3

           
           

Exo­ge­ne An­nah­men*

         
 

2022

2023

     

Wech­sel­kurs CHF/Euro

1.02

0.98

     

Wech­sel­kurs CHF/$

0.93

0.90

     

Öl­preis in $

115

100

     

Wachs­tums­ra­te U.S.

2.5

1.9

     

Wachs­tums­ra­te Euro-Zone

1.8

1.5

     

Wachs­tums­ra­te China

2.5

5.0

     

Kurz­fris­ti­ge Zin­sen

-0.5

0.0

     

Ren­di­te Bun­des­ob­li­ga­tio­nen

1.0

1.6

     
           

* In­put­grös­sen für die Schät­zung der Kon­junk­tur­pro­gno­sen