Für eine Datenpolitik der Selbstbestimmung
Durch die Digitalisierung können heute in nahezu allen Bereichen Daten gesammelt werden, egal ob dies mithilfe unseres Zugtickets oder unserer Kreditkarte geschieht. Doch wie soll nun mit den gesammelten Daten umgegangen werden?
Sie sind in Mumbai gelandet und gönnen sich einen Tee, bezahlt mit Ihrer Kreditkarte. Plötzlich meldet sich Ihr Smartphone. Der Kreditkartenherausgeber fragt nach, ob es wirklich Sie sind, die die Karte verwendet haben. Wie kommt es dazu? Grund ist ein sogenanntes Profiling: Ihre Daten wurden in Ihrem Interesse durch Algorithmen nach bestimmten Kriterien ausgewertet. Aufgrund von Abweichungen zum gewohnten Verhalten hat das System automatisch Alarm geschlagen, um Betrug zu verhindern. Ein praktisches, hier aber noch nicht perfektes Schutzsystem: so wäre die Anfrage nicht nötig gewesen, wenn das System Kenntnis von Ihrer Reise nach Indien gehabt hätte. Denkbar wäre das, wenn Sie auch den Flug über dieselbe Karte bezahlt hätten oder Sie die Information, dass Sie in Indien sind, anderweitig freiwillig zur Verfügung gestellt hätten, beispielsweise über die von Ihnen für die Hotelreservation genutzte Buchungsplattform.
Datengetriebenes Handeln durchdringt heute nahezu alle Bereiche des modernen Wirtschaftslebens. Gegenwärtig entstehen das digitale Ökosystem und die Infrastruktur, auf der Wirtschaft und Gesellschaft aufbauen werden. Allen Überlegungen mit Blick auf digitale Geschäftsmodelle ist gemein, dass die Sammlung und Auswertung von Daten darin eine entscheidende Rolle spielen. Opportunitäten sind gross, gerade für die Schweiz als innovative und wettbewerbsfähige Wirtschaft.
Die rasch fortschreitende technologische Entwicklung und die damit einhergehende Zunahme der Komplexität führen aber vermehrt auch zum Ruf nach neuen Regeln und staatlichen Eingriffen. Hier ist Vorsicht angesagt. Die EU hat sich für einen weitgehenden, bevormundenden Datenschutz entschieden, der den Bürgern detailliert vorschreibt, wie sie sich verhalten müssen. Es zeichnet sich bereits ab, dass dieser Ansatz die Entwicklungen hemmt. Die Schweiz kann zwar die Vorgaben ihres wichtigsten Handelspartners wegen der Bedeutung des grenzüberschreitenden Datenaustausches nicht ignorieren und muss eine gleichwertige Lösung finden. Gleichwohl kann und muss sich unser Land soweit wie möglich differenzieren. Entscheidend ist, dass Fragen des Datenschutzes sich in eine kluge Datenpolitik einbetten. Denn die erfolgreiche Nutzung von Daten als «Rohstoffe der digitalen Welt» muss auf dem Markt möglich sein, wenn die betroffenen Akteure dies wünschen.
Bei der laufenden Datenschutzrevision hat der Bundesrat im September in der Botschaft die Kritik der hiesigen Unternehmen gehört und deren Anliegen in wichtigen Teilen berücksichtigt. So konnte vor allem die breit kritisierte Verschärfung gegenüber den internationalen Vorgaben eingedämmt werden. Das Parlament wird aber an der Vorlage arbeiten und weitere Verbesserungen vornehmen müssen, damit sie den Anforderungen an einen modernen Datenschutz unter gleichzeitiger Wahrung der Innovationskraft standhalten kann.
Wenn Sie online nur noch nach zahlreichen Klicks auf Ihrem Geschmack entsprechende Filmangebote oder passende Kleider aufmerksam gemacht werden können, hat dies letztlich negativen Einfluss auf das Angebot.
Eine durchregulierte Welt wird den digitalen Herausforderungen nicht gerecht. Wir müssen uns davor zurückhalten, bei jeder Unklarheit oder Verunsicherung gleich nach dem Staat zu rufen. Der Staat ist angesichts der dynamischen Entwicklungen einerseits zu langsam, andererseits beschränkt im Instrumentarium. Er verfügt nur über stumpfe, klobige Werkzeuge. Auflagen und Verbote, mit denen er Unternehmen und Menschen ein aus Sicht der Politik ideales Verhalten vorschreiben will, sind zu wenig differenziert und regelmässig sogar bevormundend. Eine gute Datenpolitik setzt bei der Verantwortung und Information des Einzelnen an. Sie gewährleistet dadurch die persönliche Wahlfreiheit des Individuums auf undogmatische Art und legt national und grenzüberschreitend dar, wie die Schweiz und wir alle als Gewinner aus den aktuellen Fragen im Spannungsfeld zwischen Vertrauen, Innovation und Austausch von Daten hervorgehen können. Dabei auf «richtige» und «falsche» Verhaltensweisen zu fokussieren und diese in Gesetzestexte zu giessen, greift zu kurz.
Dies sieht man exemplarisch am eingangs genannten Profiling: Dieses wird regelmässig schlechtgeredet und ist auch in der aktuellen Vorlage zur Datenschutzrevision mit übermässigen Auflagen beschwert. Stattdessen braucht es Vertrauen in die Privatautonomie. Wenn Sie online nur noch nach zahlreichen Klicks auf Ihrem Geschmack entsprechende Filmangebote oder passende Kleider aufmerksam gemacht werden können, hat dies letztlich negativen Einfluss auf das Angebot. Die Auflagen trocknen dieses aus, das Ödland setzt sich durch. Letztlich sind dann alle, Unternehmen – aber gerade auch die Konsumenten – die Leidtragenden.
Dieser Beitrag erschien am 24.10.2017 als Gastkommentar in der NZZ.