Drei Lek­tio­nen, die uns der Brex­it für die Kün­di­gungs­in­itia­ti­ve lehrt

Bei den Ver­hand­lun­gen zwi­schen Gross­bri­tan­ni­en und der EU an­läss­lich des Brex­its geht es nicht vor­wärts. Heute hätte die Ver­län­ge­rung um zwei Jahre ein­ge­lei­tet wer­den müs­sen. Doch die Bri­ten haben das ab­ge­lehnt. Und ein um­fas­sen­des Ab­kom­men zur Re­ge­lung der künf­ti­gen Be­zie­hun­gen ist nicht in Sicht. Wel­che Leh­ren zie­hen wir in der Schweiz aus die­ser Ent­wick­lung und was be­deu­tet das für die be­vor­ste­hen­de Ab­stim­mung über die Kün­di­gungs­in­itia­ti­ve?

Am Ur­nen­gang vom 27. Sep­tem­ber steht viel auf dem Spiel. Für mich ist die Kün­di­gungs­in­itia­ti­ve eine der wich­tigs­ten eu­ro­pa­po­li­ti­schen Vor­la­gen der letz­ten 20 Jahre. Es lohnt sich des­halb, auch ein­mal einen Blick nach aus­sen zu rich­ten. Die Bri­ten haben bei­spiels­wei­se am 23. Juni 2016 für den Brex­it und damit für den Aus­tritt aus der EU ge­stimmt. Und die ge­mach­ten Er­fah­run­gen sind sehr durch­zo­gen. Er­ge­ben sich dar­aus al­len­falls Rück­schlüs­se für uns? Meine Ant­wort ist klar ja. Für mich er­ge­ben sich aus dem Brex­it ins­be­son­de­re drei Lek­tio­nen für die Schweiz:

Es gibt keine Teil­nah­me am eu­ro­päi­schen Bin­nen­markt ohne Per­so­nen­frei­zü­gig­keit.

Lek­ti­on 1: Die Brex­i­teers ver­kün­de­ten vor der Ab­stim­mung, dass ein Aus­tritt aus der EU pro­blem­los sei, da die Bri­ten einen um­fas­sen­den Zu­gang zum eu­ro­päi­schen Bin­nen­markt aus­han­deln kön­nen. Für die Wirt­schaft sei daher nicht mit Nach­tei­len zu rech­nen. Das er­wies sich zwi­schen­zeit­lich als ir­ri­ge Be­haup­tung. Die Teil­nah­me am eu­ro­päi­schen Bin­nen­markt setzt die Per­so­nen­frei­zü­gig­keit vor­aus. Der freie Güter-, Dienst­leis­tungs-, Ka­pi­tal- und Per­so­nen­ver­kehr blei­ben mit­ein­an­der ver­knüpft. Was be­deu­tet das nun für die Kün­di­gungs­in­itia­ti­ve? Ent­ge­gen den Be­haup­tun­gen der In­iti­an­ten würde die Schweiz bei deren An­nah­me eben­falls keine Fort­set­zung der Teil­nah­me am eu­ro­päi­schen Bin­nen­markt aus­han­deln kön­nen. 

Die Funk­ti­ons­fä­hig­keit des Bin­nen­markts ist für die Zu­kunft Eu­ro­pas zen­tral.

Lek­ti­on 2: Gross­bri­tan­ni­en ist die zweit­gröss­te Volks­wirt­schaft Eu­ro­pas. Viele Brex­i­teers waren über­zeugt, dass dank der volks­wirt­schaft­li­chen Be­deu­tung Gross­bri­tan­ni­ens die EU zu Kom­pro­mis­sen be­reit sein wird. Auch das hat sich un­ter­des­sen als falsch er­wie­sen. Die EU-Mit­glie­der waren nicht zu weit­ge­hen­den Kom­pro­mis­sen be­reit, denn für sie ist die Funk­ti­ons­fä­hig­keit des eu­ro­päi­schen Bin­nen­markts aus wirt­schaft­li­chen und po­li­ti­schen Grün­den noch wich­ti­ger. Was be­deu­tet die­ser Fakt für die Kün­di­gungs­in­itia­ti­ve? Die Schweiz ge­hört zu den vier wich­tigs­ten Han­dels­part­nern der EU und liegt geo­gra­fisch im Her­zen West­eu­ro­pas. Den­noch wird die EU – wie be­reits bei Gross­bri­tan­ni­en – auch der Schweiz keine Teil­nah­me am Bin­nen­markt ohne Per­so­nen­frei­zü­gig­keit ge­wäh­ren.

Ein gleich­wer­ti­ger Er­satz für die sie­ben Ver­trä­ge der Bi­la­te­ra­len I zwi­schen der Schweiz und der EU lässt sich nicht in­ner­halb eines Jah­res aus­han­deln.

Lek­ti­on 3: Vor der Brex­it-Ab­stim­mung wurde be­haup­tet, dass die Neu­ge­stal­tung des künf­ti­gen bi­la­te­ra­len Ver­hält­nis­ses mit der EU rasch aus­ge­han­delt wer­den könne. Das hat sich of­fen­sicht­lich als falsch her­aus­ge­stellt. Die Bri­ten wis­sen auch vier Jahre und eine Woche nach dem Ja zum Brex­it noch immer nicht, zu wel­chen Be­din­gun­gen sie ab dem 1. Ja­nu­ar 2021 mit dem eu­ro­päi­schen Bin­nen­markt han­deln kön­nen. Für die Kün­di­gungs­in­itia­ti­ve be­deu­tet dies, dass deren vor­ge­se­he­ne Frist für Ver­hand­lun­gen viel zu kurz ist. Laut In­itia­tiv­text hat die Schweiz ein Jahr Zeit, um mit der EU über die Aus­ser­kraft­set­zung der Per­so­nen­frei­zü­gig­keit zu ver­han­deln. Ge­lingt ihr das nicht, muss sie das Ab­kom­men in­nert 30 Tagen kün­di­gen. Auf­grund der so­ge­nann­ten «Guil­lo­ti­ne-Klau­sel», die be­sagt, dass kein Ab­kom­men des Ver­trags­pa­kets der Bi­la­te­ra­len I ein­zeln ge­kün­digt wer­den kann, wür­den sechs Mo­na­te spä­ter dann die gan­zen Bi­la­te­ra­len I eben­falls weg­fal­len. Folg­lich würde die Schweiz nach einem Ja zur Kün­di­gungs­in­itia­ti­ve be­reits nach 19 Mo­na­ten mit lee­ren Hän­den da­ste­hen.

Eine An­nah­me der Kün­di­gungs­in­itia­ti­ve, ohne einen Plan B in der Ta­sche zu haben, ist mehr als un­ver­ant­wort­lich.

Die drei Lek­tio­nen aus dem Brex­it zei­gen uns deut­lich, dass die Kün­di­gungs­in­itia­ti­ve in­nert kür­zes­ter Zeit zu einem Aus­schei­den der Schweiz aus dem eu­ro­päi­schen Bin­nen­markt füh­ren würde. Und die Schweiz wäre in einer denk­bar schwa­chen Ver­hand­lungs­po­si­ti­on. Aus die­sen Grün­den stim­me ich am 27. Sep­tem­ber über­zeugt für ein NEIN zur Kün­di­gungs­in­itia­ti­ve. Eine An­nah­me wäre schlecht für die Schweiz, weil weit und breit keine gleich­wer­ti­gen Al­ter­na­ti­ven zu den Bi­la­te­ra­len in Sicht sind.