Die Schweizer Steuer-Salami ist alles andere als mager

Anders als vielfach angenommen und behauptet, belegt die Schweiz hinsichtlich der steuerlichen Umverteilung geradezu einen Spitzenplatz.

Es ist zum Weinen. Das Schweizer Steuersystem: Kapitalisten haben es kaputtgemacht. Nach dem Vorsatz «für wenige, das reicht» haben sie es scheibchenweise ausgebeutet und zum eigenen Nutzen umgebaut. So sagt es die Linke. Die Salami ist schon ganz mager.

Oxfam, die internationale Entwicklungs-NGO, ist unverdächtig. Sie ist nicht bekannt für eine ausgeprägte Liebe zu Kapitalisten. Zum diesjährigen WEF hat sie einen Bericht unter dem Titel «Umsteuern für soziale Gerechtigkeit» veröffentlicht. «Umsteuern» heisst: das Steuersystem umbauen. Mehr gute Steuern. Weniger schlechte.

«Gute» und «schlechte» Steuern

Schlechte Steuern sind für Oxfam hohe Konsumsteuern, die zulasten der Einkommensschwächeren gehen. Schlechte Steuern sind Lohnsteuern ohne starke Progression, es sind extra tiefe Steuern auf Kapitalerträgen, und wenn die Vermögenssteuer fehlt, ist das auch schlecht. Oxfam zeigt es anhand eines Kuchendiagramms: Wenn weltweit 44 Prozent der Steuern auf dem Verbraucher erhoben werden, nur 41 Prozent auf Löhnen und Firmengewinnen und mickrige vier Prozent auf Vermögen, dann sind das keine guten Verhältnisse. Steuern, sagt Oxfam, spielen eine Schlüsselrolle bei der Verringerung von Armut und Ungleichheit. Die Welt ist insbesondere arm und ungleich, weil die Steuersysteme schlecht sind.

Ob und wie Steuersysteme zur Verringerung von Armut und Ungleichheit beitragen können, ist durchaus eine Diskussion wert. Sinnvoll umzuverteilen, ohne grossen Schaden anzurichten, ist eine Kunst. Kaum zu bestreiten ist hingegen, dass die Schweiz hinsichtlich geringer Armut und tiefer Ungleichheit spitze ist. Und ob Zufall oder nicht: Die von Oxfam empfohlenen steuerlichen Grundmerkmale sind gerade in der Schweiz ausgeprägt vorhanden.

Die Einkommenssteuer: Sie ist in der Schweiz stark progressiv, insbesondere beim Bund. Ein Prozent Steuerzahlende zahlt fast die Hälfte, die Hälfte der Steuerzahlenden zahlt fast nichts. Extra tiefe Steuern auf Kapitalerträgen: Sie sind in der Schweiz nicht bekannt. Kapitalerträge unterliegen ebenfalls der Progression; wo die Einkommenssteuer fehlt (bei Kapitalgewinnen), schlägt die Vermögenssteuer zu. Letztgenannte ist eine Schweizer Spezialität: Gerade die vielen Unternehmerinnen und Unternehmer in diesem Land lieben sie nicht, denn die Steuer ist gewinnunabhängig und die Belastungen sind hoch. Die Gewinnsteuer der Unternehmen: Sie ist anteilsmässig gewichtiger als anderswo, und noch mehr als bei den Einkommen gilt, dass wenige Zahlende fast alles bezahlen. Die Mehrwertsteuer schliesslich: In kaum einem Industriestaat ist sie so tief wie hierzulande – die Menschen werden in der Schweiz beim Konsum steuerlich geschont.

Und so hat der Schweizer Steuermix denn eine ganz andere Farbe: Lohn- und Firmensteuern (sowie einkommensabhängige Sozialabgaben mit teilweisem Steuercharakter) bilden das Schwergewicht (67 Prozent Steuerbeitrag), weniger als ein Viertel (22 Prozent) stammt aus der Besteuerung von Konsum und ein vergleichsweise hoher Aufkommensbeitrag von sieben Prozent leistet die Vermögenssteuer.

Oxfam verlangt auch Übergewinnsteuern, hohe Erbschaftssteuern und Krisen-Solidaritätsabgaben – allesamt nicht matchentscheidende Zutaten, die für ein Steuersystem mehr Probleme schaffen als lösen.

Die Steuerschweiz ist weit davon entfernt, perfekt zu sein; das soll auch nicht behauptet werden. In einer idealen Welt würde man Dinge anders machen. Steuern sollten den Wohlstand, wenn sie ihn schon nicht befördern, möglichst wenig belasten. Die Emissionsabgabe, die unternehmerisches Kapital vernichtet, bleibt ein Unding. Und mit der Verrechnungssteuer in der heutigen Form vergeben wir uns Chancen, jeden Tag, jedes Jahr. Aber so ist es. Das ist gelebte Welt.

In dieser aber schneidet die Steuer-Schweiz nicht schlecht ab, im Gegenteil. Die Linke mag es ungern zugeben. Aber von kapitalistischem Umbau aus dunklen Zwecken kann keine Rede sein. Die Schweiz, um in den Kategorien von Oxfam zu bleiben, muss nicht «umsteuern». Andere sich eventuell aber mehr in Richtung Schweiz bewegen.

Die Salami, scheint es, ist hierzulande doch nicht so mager.

 

Die Erstpublikation dieses Beitrags erfolgte am 13. Februar 2023 in der «NZZ».