Die Kün­di­gung der Bi­la­te­ra­len ohne Al­ter­na­ti­ve ist ver­ant­wor­tungs­los

Die Kün­di­gungs­in­itia­ti­ve be­deu­tet das Ende der Ab­kom­men der Bi­la­te­ra­len I. Als Folge die­ses so­ge­nann­ten «Swe­xits» würde die Schweiz die Teil­nah­me am eu­ro­päi­schen Bin­nen­markt ver­lie­ren – und zwar schon 19 Mo­na­te nach An­nah­me der In­itia­ti­ve. Eine sinn­vol­le Al­ter­na­ti­ve? Fehl­an­zei­ge. Der von den In­iti­an­ten er­wähn­te Rück­fall auf das Frei­han­dels­ab­kom­men mit der Eu­ro­päi­schen Union und auf die Welt­han­dels­or­ga­ni­sa­ti­on WTO ist völ­lig un­ge­nü­gend für die Ex­port­na­ti­on Schweiz und könn­te den be­währ­ten bi­la­te­ra­len Weg nicht er­set­zen.

Kaum ein an­de­res eu­ro­pa­po­li­ti­sches Ge­schäft ist der­art ra­di­kal wie die Kün­di­gungs­in­itia­ti­ve. Das Per­so­nen­frei­zü­gig­keits­ab­kom­men zwi­schen der Schweiz und der Eu­ro­päi­schen Union (EU) und damit ver­bun­den das ge­sam­te Ver­trags­pa­ket der Bi­la­te­ra­len I sol­len in­nert kür­zes­ter Zeit ge­kün­digt wer­den. Damit ver­liert die Schweiz auf einen Schlag ihre be­währ­te Grund­la­ge für eine er­folg­rei­che Eu­ro­pa­po­li­tik. Um die­sen Schritt zu wagen, braucht es einen über­zeu­gen­den Plan B. Denn die Schweiz als Ex­port­na­ti­on ist auf gute Be­zie­hun­gen zu ihren aus­län­di­schen Han­dels­part­nern an­ge­wie­sen. Dies gilt ins­be­son­de­re für die EU, in die gut die Hälf­te all un­se­rer Ex­por­te geht. Beim Scrol­len durch die Ar­gu­men­ta­ti­on der Be­für­wor­ter finde ich aber nur sehr knap­pe Aus­füh­run­gen zur künf­ti­gen Aus­ge­stal­tung der Schwei­zer Eu­ro­pa­po­li­tik: Nach Be­en­di­gung der Bi­la­te­ra­len I wer­den die Be­zie­hun­gen zur EU über das be­ste­hen­de Frei­han­dels­ab­kom­men und die Welt­han­dels­or­ga­ni­sa­ti­on WTO ge­re­gelt. Doch ist das wirk­lich so ein­fach? Im­mer­hin ist die Spra­che von einem «Swe­xit», also einem Schwei­zer Brex­it.

Die kon­zept­lo­se Kün­di­gungs­in­itia­ti­ve führt zu einem eu­ro­pa­po­li­ti­schen Va­ku­um.

Nun, das Frei­han­dels­ab­kom­men stammt aus dem Jahr 1972 und senkt die Zölle zwi­schen der Schweiz und der EU bei In­dus­trie­pro­duk­ten auf null. Ich finde, es ist ein wich­ti­ges und gutes Ab­kom­men. Auch die Re­geln der WTO sind zen­tral und bil­den das Fun­da­ment des Welt­han­dels­sys­tems. Für mich steht aber aus­ser Frage, dass beide Re­gel­wer­ke als gleich­wer­ti­ger Er­satz für die Bi­la­te­ra­len I bei Wei­tem nicht aus­rei­chen wür­den. Sie kön­nen den heu­ti­gen Stand un­se­res Wirt­schafts­stand­orts im Her­zen Eu­ro­pas nicht hal­ten. 

Warum nicht? Be­reits nach dem Nein zum Eu­ro­päi­schen Wirt­schafts­raum EWR am 6. De­zem­ber 1992 war allen in der Schweiz klar, dass die WTO und das Frei­han­dels­ab­kom­men mit der EU von 1972 un­ge­nü­gend sind für eine Teil­nah­me am da­mals ent­ste­hen­den eu­ro­päi­schen Bin­nen­markt. Die Schweiz ris­kier­te mit­ten in Eu­ro­pa zur Insel zu wer­den. Die Fol­gen sah man in den Jah­ren da­nach. Die Schweiz wies in den 1990er-Jah­ren das tiefs­te Wirt­schafts­wachs­tum aller west­eu­ro­päi­schen Staa­ten auf. Die WTO ist kein Er­satz, da Li­be­ra­li­sie­run­gen auf Jahre blo­ckiert sein dürf­ten. 

Für die Ex­port­na­ti­on Schweiz wäre ein Swe­xit ein schwe­rer Schlag.

Alle Bun­des­rats­par­tei­en un­ter­stütz­ten daher den Ab­schluss der Bi­la­te­ra­len Ab­kom­men I. Es sind sie­ben Ab­kom­men in einem Paket zu­sam­men­ge­fasst. Sie re­geln die eu­ro­päi­sche Zu­sam­men­ar­beit in den Be­rei­chen Per­so­nen­frei­zü­gig­keit, Land- und Luft­ver­kehr, Tech­ni­sche Han­dels­hemm­nis­se, For­schungs­zu­sam­men­ar­beit, Öf­fent­li­ches Be­schaf­fungs­we­sen sowie Land­wirt­schaft. Die po­li­ti­sche Un­ter­stüt­zung war sehr gross und das Stimm­volk nahm die Bi­la­te­ra­len I am 21. Mai 2000 mit 67,2 Pro­zent an der Urne an. Wir alle waren sehr er­leich­tert. Denn mit die­sem Ent­scheid haben sich auch mehr als zwei Drit­tel der Schwei­zer Stimm­be­rech­tig­ten für die Teil­nah­me der Schweiz am eu­ro­päi­schen Bin­nen­markt aus­ge­spro­chen. Dies war des­halb ein wich­ti­ges Si­gnal, weil die EU die mit Ab­stand wich­tigs­te Han­dels­part­ne­rin der Schweiz ist. Ge­re­gel­te und sta­bi­le Han­dels­be­zie­hun­gen sind es­sen­zi­ell.

Damit die Schweiz auch künf­tig eine er­folg­rei­che Ex­port­na­ti­on bleibt, brau­chen wir mehr als ein Frei­han­dels­ab­kom­men und die WTO.

Die Kün­di­gungs­in­itia­ti­ve würde der Teil­nah­me der Schweiz am für sie so wich­ti­gen eu­ro­päi­schen Bin­nen­markt ein ab­rup­tes Ende set­zen. Ge­mäss In­itia­tiv­text wäre der «Swe­xit» schon nach 19 Mo­na­ten Tat­sa­che. Mir ist wich­tig, dass die Schweiz eine Ex­port­na­ti­on bleibt. Des­halb brau­chen wir mehr als ein Frei­han­dels­ab­kom­men und die WTO. Denn diese er­leich­tern zwar den Zu­gang zum eu­ro­päi­schen Bin­nen­markt, nicht aber die Teil­nah­me zu glei­chen Be­din­gun­gen wie die EU-Kon­kur­renz. Ich stel­le fest, dass wir in einer Zeit der Markt­ab­schot­tung leben. Das Um­feld für un­se­re Ex­port­na­ti­on ist daher be­reits schwie­rig genug. Wir brau­chen nicht noch einen «Swe­xit» aus dem eu­ro­päi­schen Bin­nen­markt. 

Die In­iti­an­ten der Kün­di­gungs­in­itia­ti­ve neh­men mit dem Swe­xit Wohl­stands­ver­lus­te in Kauf.

Ich fände es daher wich­tig, dass die In­iti­an­ten ihre Vi­si­on einer Eu­ro­pa­po­li­tik kon­kre­ti­sie­ren. Wie soll künf­tig die Zu­wan­de­rung, die An­er­ken­nung tech­ni­scher Nor­men, der Land- und Luft­ver­kehr, die For­schungs­zu­sam­men­ar­beit, der Zu­gang zu öf­fent­li­chen Auf­trä­gen und Agrar­pro­duk­ten ge­re­gelt wer­den? Und: Wird die EU bei neuen Vor­schlä­gen auch mit­ma­chen? Was, wenn nicht? Zudem wäre zu be­rück­sich­ti­gen, dass kein Land pro Kopf so stark von der Teil­nah­me am eu­ro­päi­schen Bin­nen­markt pro­fi­tiert wie die Schweiz. Es geht um jähr­lich 4400 Fran­ken mehr Ein­kom­men pro Kopf. So­lan­ge die In­iti­an­ten keine brauch­ba­ren Kon­zep­te für eine Eu­ro­pa­po­li­tik ohne Bi­la­te­ra­le I lie­fern, neh­men sie of­fen­sicht­lich Wohl­fahrts­ver­lus­te für die Schweiz in Kauf. Für mich ein Grund mehr, am 27. Sep­tem­ber ein über­zeug­tes Nein gegen diese In­itia­ti­ve ein­zu­le­gen.